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       # taz.de -- Ampelparteien zur Kindergrundsicherung: Knete für die Kids
       
       > Die Ampelkoalition will arme Familien besser unterstützen – und streitet.
       > Was plant die Familienministerin? Was kostet es? Und ist es der große
       > Wurf?
       
   IMG Bild: Geld fürs Einkaufen: Bedürftige Familien sollen mehr bekommen
       
       ## Was ist die Idee?
       
       Die Kindergrundsicherung soll bereits bestehende Sozialleistungen bündeln.
       Dazu gehören Kindergeld und Kinderfreibetrag, Kinderzuschlag, Leistungen
       nach dem Sozialgesetzbuch und Teile des Bildungs- und Teilhabepakets. Die
       Leistungen müssen bislang an ganz unterschiedlichen Stellen beantragt
       werden. Künftig sollen Familien auch darüber informiert werden, inwiefern
       sie leistungsberechtigt sind: Regelmäßig soll der Anspruch anhand von
       Steuerdaten überprüft werden. Eine besondere Unterstützung muss immer noch
       beantragt werden, das Verfahren soll aber vereinfacht werden und der Antrag
       zentral digital gestellt werden können: über das sogenannte
       Kindergrundsicherungsportal.
       
       ## Wer bekommt wie viel Geld?
       
       Grundsätzlich soll es bei der Kindergrundsicherung einen Betrag geben, den
       alle Eltern bekommen: den „Garantiebetrag“. Dieser soll zunächt der Höhe
       des heutigen Kindergeldes entprechen, also 250 Euro. Dazu soll es einen
       „Zusatzbetrag“ geben, der armen Familien zugutekommen soll.
       Zusammengerechnet sollen Garantiebetrag und Zusatzbetrag das
       Existenzminimum des Kindes sichern. Auch das Existenzminimum selbst will
       Paus neu definieren, zuletzt wurde es 2013 berechnet, Bedarfe von Kindern
       wurden dabei aus dem Existenzminimum Erwachsener abgeleitet, was Kosten für
       beispielsweise Windeln außer Acht lässt.
       
       Es ist noch nicht klar, wie hoch der Zusatzbetrag sein wird und wer von ihm
       profitieren wird. Familienministerin Lisa Paus (Grüne) will mehr Geld
       ausgeben, um vor allem arme Familien zu entlasten, Finanzminister Christian
       Lindner (FDP) möchte lediglich die bereits bestehenden Angebote bündeln.
       Weil aber voraussichtlich mehr Eltern als bisher die Leistungen abrufen
       werden, kommt es in jedem Fall zu staatlichen Mehrausgaben.
       
       ## Woher kommen die Milliarden, die die Familienministerin für die
       Kindergrundsicherug veranschlagt?
       
       12 Milliarden Euro wird die geplante Kindergrundsicherung kosten, hat das
       Familienministerium ausgerechnet. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund
       rechnet mit 12,5 Milliarden Euro jährlichen Mehrausgaben. So [1][viel will
       der Finanzminister nicht lockermachen.] Im Haushaltsstreit der Koalition
       beharrt Lisa Paus aber auf ihren finanziellen Vorstellungen. „Zwölf
       Milliarden Euro sind eher am unteren Ende dessen, was man benötigen würde,
       um Kinderarmut in Deutschland deutlich zu verringern“, [2][sagte sie der
       Neuen Osnabrücker Zeitung vom Samstag]. Ein Großteil des Geldes werde schon
       „für den Inflationsausgleich und die höhere Inanspruchnahme“ gebraucht.
       
       Zu Gegenfinanzierung fordern die Grünen die [3][Abschaffung
       klimaschädlicher Subventionen]. Verbände bringen unterdessen die
       Finanzierung durch die Abschaffung des Ehegattensplittings ins Spiel:
       Bereits 2001 bestätigte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung
       (DIW) in einem Gutachten, dass die Kindergrundsicherung durch eine
       Reduktion des Ehegattensplittings finanzierbar wäre. Die damalige
       Familienministerin Christine Bergmann (SPD) sperrte sich gegen den
       Vorschlag der Grünen, heute spricht sich auch die SPD für die
       Kindergrundsicherung aus. Kanzler Olaf Scholz ist laut seines
       Regierungssprechers ein „großer Fan der Kindergrundsicherung“. Die Grünen
       fordern in der heutigen Koalition mit SPD und der FDP allerdings nicht mehr
       die Abschaffung des Ehegattensplittings, sie stünden auf verlorenem Posten.
       
       ## Wie ist der Zeitplan?
       
       Die Bundesarbeitsagentur steht laut Ministerin Paus „in den Startlöchern“
       für eine Machbarkeitsstudie. Bis zum Ende der Sommerpause soll dann ein
       Gesetzentwurf fertig werden. Die ersten Gelder sollen voraussichtlich 2025
       ausgezahlt werden. Für den Haushalt 2024 braucht das
       Bundesfamilienministerium trotzdem schon Geld, um das Verfahren in die Wege
       zu leiten.
       
       ## Geben Eltern das Geld für Alkohol und Zigaretten aus?
       
       Das behauptete Markus Herbrand, finanzpolitischer Sprecher der FDP, [4][in
       einem Gastbeitrag in der Wirtschaftswoche.] Das Familienministerium
       wiederum argumentiert mit einer [5][Studie der Bertelsmann-Stiftung von
       2018], wonach ein Zusammenhang zwischen Armut und Alkohol- oder
       Zigarettenkonsum nicht festzustellen ist. „Die meisten armutsgefährdeten
       Eltern sparen an allem – nur nicht an ihren Kindern“, [6][sagte auch Sabina
       Schutter von SOS Kinderdorf in der taz].
       
       ## Sollte man das Geld nicht lieber direkt in Bildung investieren?
       
       Finanzminister Lindner jedenfalls möchte das Geld nicht den Familien selbst
       zukommen lassen, sondern in Bildung investieren: „Die Kinderarmut ist ja
       vor allem durch Zuwanderung gestiegen. Nehmen wir also das Beispiel einer
       Familie, in der die Eltern keine Arbeit haben und kein Deutsch sprechen.
       Überweisen wir ihnen dann einfach mehr Geld? Oder investieren wir in die
       Sprachförderung von Eltern und Kindern?“ Ähnlich argumentiert die CDU: „Wir
       wollen, dass Kinder das bekommen, was sie brauchen: eine bedarfsorientierte
       Kinderinfrastruktur mit einer qualitativ hochwertigen Förderung in Kita und
       Grundschule, einer guten gesundheitlichen Versorgung und auch vielfältige
       Freizeitmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche“, so die
       familienpolitische Sprecherin der CDU, Silvia Breher. Das Bündnis
       Kindergrundsicherung nennt in einem Papier diese Argumentation ein
       „Scheingefecht zwischen Geld und Bildung“.
       
       Das Bundesfamilienministerium vertritt die Ansicht, dass mit der
       Kindergrundsicherung Arbeitsanreize verbessert würden. Die bereits
       erwähnte Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt, dass die finanzielle
       Sicherheit sowohl die Bildungsbeteiligung als auch die Erwerbsmotivation
       der Eltern erhöht. Für die Grünen hat das Ifo-Institut in München bereits
       2021 verschiedene Varianten der Kindergrundsicherung durchgerechnet: Im
       Ergebnis konnte sie den Anteil der von Armut bedrohten Menschen um 1,4 bis
       3,5 Prozentpunkte senken.
       
       ## Für wen wird sich die Kindergrundsicherung lohnen?
       
       Momentan profitieren vor allem Gut- und Spitzenverdiener_innen vom
       Kinderfreibetrag von bis zu 354 Euro im Monat, der würde mit der
       Kindergrundsicherung nach derzeitigem Stand wegfallen. Grundsätzlich würde
       sich die Kindergrundsicherung direkt vor allem für arme Familien lohnen.
       Momentan leben laut Paritätischem Wohlfahrtsverband 21,3 Prozent aller
       Kinder in Armut. Besonders betroffen sind Familien mit Alleinerziehenden.
       Wenn eine Kindergrundsicherung tatsächlich Familien aus der Armut holt,
       würde indirekt die ganze Gesellschaft davon profitieren, weil sie die
       gesellschaftliche Teilhabe aller Menschen ermöglichen kann.
       
       ## Ist das jetzt der ganz große Wurf?
       
       Die Pläne von Familienministerin Lisa Paus gelten innerhalb der Koalition
       zwar als zu teuer, aber vielen Verbänden und auch der Linkspartei gehen sie
       nicht weit genug. So verabschiedete die Linke jüngst [7][ein Konzept für
       die Kindergrundsicherung, das 26 Milliarden Euro kosten würde].
       
       Das Bündnis Kindergrundsicherung schlägt vor, alle Kinder mit einer
       Kindergrundsicherung von 354 bis 746 Euro im Monat abzusichern, gestaffelt
       nach Einkommen der Eltern. Bei Kindern mit Behinderung, die von den Eltern
       versorgt werden, soll die Kindergrundsicherung über das 25. Lebensjahr
       hinaus gezahlt werden. Das wären 32 Milliarden Euro Mehrkosten. So sagt
       Miriam Hoheisel vom Verband alleinerziehender Mütter und Väter, der Teil
       des Bündnisses Kindersicherung ist: „12 Milliarden sind bereits an der
       unteren Kante.“ Man sollte sich nicht am kleingerechneten Existenzminimum
       von Kindern orientieren, sondern realitätsgerecht abbilden, was ein Kind
       tatsächlich brauche. „Die Kindergrundsicherung ist eine Investition in die
       Zukunft von Kindern und somit auch in die Zukunft unserer Gesellschaft“,
       sagt sie.
       
       18 Mar 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Ampel-streitet-ueber-den-Haushalt/!5914204
   DIR [2] https://www.noz.de/deutschland-welt/politik/artikel/kindergrundsicherung-familienministerin-paus-will-hart-bleiben-44367528
   DIR [3] /Gruenen-Chefin-Ricarda-Lang-ueber-Ampel/!5917267
   DIR [4] https://www.wiwo.de/politik/deutschland/streit-um-kindergrundsicherung-noch-mehr-geld-fuer-eltern-fuehrt-in-den-wenigsten-faellen-zu-mehr-erfolg/29017080.html
   DIR [5] https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/kommt-das-geld-bei-den-kindern-an
   DIR [6] /Eckpunkte-zur-Kindergrundsicherung/!5914203
   DIR [7] /Linken-Konzept-fuer-Kindergrundsicherung/!5918773
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nicole Opitz
       
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