URI: 
       # taz.de -- Nachruf auf Ulf Mann: Einer, der Umwege ging
       
       > Ohne Ulf Mann ginge es der alternativen Szene schlechter. Der Gründer der
       > Stiftung Umverteilen ist im Februar 81-jährig verstorben.
       
   IMG Bild: Ulf Mann, ein Wohltäter. Einer, der wohl tat
       
       Ulf Mann ist tot. Er war ein Wohltäter – im wörtlichen Sinn. Einer, der
       wohl tat. Als er viel Geld erbte, wurde ihm das zur Last. Deshalb hat er
       eine Stiftung gegründet, die [1][Stiftung Umverteilen]. Viele linke,
       feministische, sozialkritische, antikapitalistische, antirassistische,
       ökologisch orientierte Projekte, nicht nur in Berlin, sondern weltweit,
       erhielten Zuschüsse für ihre Arbeit von der Stiftung. Auch die taz. Jetzt
       ist Mann tot, am 23. Februar friedlich gestorben im Bett, „genau so, wie er
       es verdient hat“, sagte die Nachbarin, die ihn fand. Er wurde 81 Jahre alt.
       
       Viele kannten ihn – vor allem in Kreuzberg, wo er auch lebte. Er war dieser
       Mann, der gern dort auftauchte, wo gegen die Ungerechtigkeiten der Welt, wo
       gegen die Zerstörung des Planeten, wo gegen die Zersetzung des sozialen
       Friedens protestiert wurde. Mit dem Fahrrad tauchte er auf wie Christian
       Ströbele. Aber anders als Ströbele war er immer mit einer blauen Latzhose
       und darüber einem ausrangierten Bundeswehrhemd gekleidet. Das Gelb des
       schwarz-rot-goldenen Aufnähers am Ärmel schnitt er raus. Bleiben Rot und
       Schwarz – die Farben des Sozialismus und der Anarchie.
       
       Ulf Mann wurde 1941 in Berlin geboren – mitten im Krieg. Sein Vater,
       Apotheker an der Heimatfront, versuchte in seiner Weddinger Hinterhofküche
       aus den Chemikalien, die er noch bekommen konnte, Schmerz- oder
       Desinfektionsmittel zu mischen, für die Verwundeten, die Gebrandmarkten,
       die seelisch Zerstörten. Nach dem Krieg kommt der Vater zu Geld mit einer
       Heilsalbe und dem Schmerzmittel Vivimed. Derweil stromert sein Sohn in der
       Weddinger Trümmerlandschaft umher – auf eine eigenartige Weise bezugslos.
       „Verloren als Kind“, sagte Ulf Mann.
       
       Diese Verlorenheit blieb ihm. Sie zeigte sich auch daran, dass er nicht
       ehrgeizig war, in der Schule nicht und später ebensowenig. Er studierte
       Pharmazie, strebte aber nirgendwo hin, er mäanderte, immer auf der Suche
       nach einer inneren Haltung. Dafür ging er Umwege. Bevor er
       kapitalismuskritisch war, war er mal in der FDP. Erst hasste er die Mauer,
       dann hielt er die DDR für den besseren Staat. Zuerst war er in der
       freiwilligen Polizeireserve, später stand er bei Demos auf der anderen
       Seite.
       
       Weil sein Vater reich wurde, war es der Sohn auch. Nur dass er Geld nicht
       hortete. Wer einen potenten Freund suchte, war bei Mann gut aufgehoben.
       Meins ist deins. Noch bevor er die Stiftung gründete, unterstützte er
       Umweltfestivals, finanzierte Heime für Treber, freie Radios und
       Gesundheitsprojekte für Frauen. Auch Befreiungsbewegungen interessierten
       ihn. Dazu kamen all die Freunde, die etwas brauchten, um ein Haus zu kaufen
       zum Beispiel. Ob echte Freundschaft oder Freundschaft wegen des Geldes – es
       wurde zu einer Herausforderung, die er am Ende nicht mehr ertrug. „Es gab
       wenig Leute, bei denen ich das Gefühl hatte, die sind mit mir zusammen
       nicht wegen des Geldes.“
       
       ## Der Reichtum als Fluch
       
       Der Reichtum wurde ein Fluch und machte ihn einsam. Nachdem das
       Pharmaunternehmen des Vaters 1985 verkauft wurde, war er noch reicher. Er
       wollte das Geld loswerden. Deshalb die Stiftung. Fortan lebte er von dem,
       was ihm sein Job als Pharmazeut im Apothekerkollektiv am Viktoriapark
       einbrachte. Und später von der Rente. Extrem bescheiden war er. Seinen
       Blaumann, seine Schuhe zog er an, bis sie auseinander fielen. Ein Konto
       wollte er nicht, die Rente wurde auf das Konto eines Freundes überwiesen.
       Dort holte er das Geld ab.
       
       Ulf Mann hat das vorgelebt, was den Planeten wahrscheinlich noch retten
       kann. Zufriedenheit mit wenig. Vielleicht war er sehr radikal in seinen
       reduzierten Ansprüchen, aber mit dem Reichtum war er durch. „Ich war 20
       Jahre lang Millionär. Das hält man als normaler Mensch nicht aus.“
       
       Woher ich all diese Zitate von Ulf Mann habe? Weil ich einmal, und das ist
       Jahre her, in seiner Küche saß. Ich wollte diesen Mann kennenlernen, um
       über ihn zu schreiben. Und dann beschrieb ich nicht nur ihn, sondern auch
       den Ort, wo er lebte: Seine Küche war gleichzeitig Vorratskammer und
       Bibliothek, Archiv und Apotheke, Krämerladen und Labor, Pflanzenlabor,
       Gedankenlabor, Kochlabor. Eine Stube eben, in der es nach Camembert und
       Pfirsich roch. Unter dem Tisch am Fenster hatte er seine Vorräte gelagert,
       darüber ein altes Radio, Gläser voll farbiger Pillen, eine Porzellanfigur –
       Reh mit Kitz. Dazu Apothekerschränke mit allem, was ein Mensch braucht. In
       der Schublade „Folia Chamomillae“ zeigte er mir die Gummis und Kronkorken,
       die er aufbewahrte, in „Folia Salvia“ Nadeln und Garne. Obendrauf eine alte
       Schreibmaschine samt Tipp-Ex. Daneben Töpfe, Papier, Geschenke aus Mexiko –
       Totenköpfe natürlich –, Aktenordner und Aphorismen. „Die Selbstveränderung
       und die Veränderung der Gesellschaft gehören zusammen“ ist so einer. Er hat
       sich verändert, in der Hoffnung, so auch die Gesellschaft ändern zu können.
       
       [2][Den Text über ihn] habe ich also geschrieben. Und ich glaube, er hat
       sich gefreut, sich wiedererkannt.
       
       Danach schrieb er mir immer wieder Briefe, schickte Ausschnitte aus
       Zeitungen, beschriftete noch den kleinsten Rand um den Text. Kein Fleckchen
       Papier, auf dem er nicht seine Worte und Sätze setzte. Und ich verstand
       nichts. Ich verlor mich auf der Suche nach dem Zusammenhang. Seine Gedanken
       wanderten, und ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Und deshalb
       antwortete ich nicht. Lange ließ ich die Briefe in meinem Postfach in der
       taz liegen. Jetzt, wo er gestorben ist, suchte ich sie wieder und fand sie
       nicht mehr.
       
       9 Mar 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://de.wikipedia.org/wiki/Stiftung_Umverteilen
   DIR [2] /Archiv-Suche/!557260/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Waltraud Schwab
       
       ## TAGS
       
   DIR Nachruf
   DIR Stiftung
   DIR taz
   DIR Erbe
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA