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       # taz.de -- Country in der Hamburger Laeiszhalle: Cowboys gehen nie nach Hause
       
       > Zum Auftakt ihrer Jubiläumstour gastierte die norddeutsche Countryband
       > Truck Stop in Hamburg. Die dreistündige Show war professionell gefüllt.
       
   IMG Bild: Yeehaw: Drei vergnügliche Stunden mit Truck Stop am Freitag in der Hamburger Laeiszhalle
       
       Trotz Schneegestöber strömen die Fans am Freitag zur Hamburger
       Laeiszhalle, um die Gruppe zu erleben, die auf den Tag genau 50 Jahre
       zuvor ihren Einstand feierte. Damals trat Truck Stop allerdings nicht im
       prunkvollen Neobarock-Bau auf, in dem zumeist Klassik- und Jazzkonzerte
       stattfinden, sondern im Klub Remter in der Neuen Rabenstraße.
       
       1973, als Entertainer wie Leinemann, [1][Otto Waalkes] und die Rentnerband
       in verrauchten Kaschemmen wie dem Onkel Pö das Bier auf dem Klavier zum
       Kochen brachten, gab die inzwischen berühmteste Countryband Deutschlands
       noch mit englischsprachigen Texten den Anheizer von Stars wie Fats Domino.
       
       Die Anerkennung blieb, trotz relevanter TV-Auftritte, etwa im „Musikladen“,
       zunächst bescheiden. Inspiriert durch den lässig auf Deutsch nölenden Udo
       Lindenberg versuchten Truckstop es nach dem vierten Album auch mit der
       Muttersprache, was dann den bis heute konstanten Erfolg einbrachte.
       
       Die Chartbreaker von 1977 sind längst Evergreens: „Ich möcht so gern Dave
       Dudley hörn“, der erste deutsche Trucker-Song schlechthin, und „Die Frau
       mit dem Gurt“ – gemeint war das Schild vor den Autobahnen, auf dem eine
       Frau „die nichts anhat als den Gurt“, die freiheitsverwöhnten
       Fahrer:Innen vom Zweck des Sicherheitsgurts überzeugen sollte.
       
       In den folgenden Jahrzehnten hat Truck Stop sich inhaltlich der
       Gemütsverfassung des kleinen Mannes im großen Brummi oder in der großen,
       weiten Welt angenommen. Egal, ob dieser sich auf einer langen Fahrt mit
       Musik aus dem US-Armeesender AFN wach hielt oder, wie in „Take It Easy,
       altes Haus“, ohne Gewissensbisse versumpfen durfte. Die Nordlichter mit dem
       Studio in Maschen blieben für ihre Fans eine feste Bank irgendwo zwischen
       den Stühlen von Country und [2][Schlager]. Ausnahmen wie „Country New
       Wave“, 1982, bestätigen die Regel.
       
       ## „Spart Wasser, trinkt Bier“
       
       Selbst viele Umbesetzungen konnten der Beliebtheit von Truck Stop nichts
       anhaben. Neben Schlagzeuger und Gründungsmitglied Wolfgang „Teddy“ Ibing,
       74, vertritt Knut Bewersdorff, seit 1983 an der Pedalsteel-Guitar, die
       alte Garde, ansonsten sind an der sechsköpfigen Band aktuell drei
       Generationen beteiligt. Ein rundes Jubiläum erfordert, dass aus Unmengen
       von Hits und neuen Songs ein maßvolles Programm für das zumeist seniore
       Publikum gestaltet wird. Zeit zu verschwenden geht da nicht.
       
       Der große Saal ist zumindest im Parkett gut gefüllt mit Stetson-Hüten
       tragenden Ü-60ern, gut gelaunten 30-Jährigen und kompletten Familien. Dann
       wird eingeklatscht, was den Bühneneinmarsch der Band zur Folge hat.
       Moderiert von einer Kompressorstimme aus dem Off und dem „Hey-hey-hey“ des
       Publikums beziehen alle Musiker ihre Plätze vor einem Triptychon aus
       Videoscreens.
       
       Der Auftaktsong kommt vom Jubiläums-Album. In „50 Jahre“ halten Truck Stop
       Rückschau und geben zugleich ein Versprechen: „Cowboys werden nie nach
       Hause gehen“. Nahtlos definiert „Moin Moin“ Lokalkolorit und wird von
       „Helden“ (beide 2019) abgelöst, unterbrochen durch den „Happy Birthday“
       singenden Saal. „Spart Wasser, trinkt Bier“ quittiert Sänger Andreas Cisek
       mit einem Schluck koffeinhaltige Limo, für die er eine spezielle Halterung
       am Mikrofonständer hat.
       
       ## An verstorbenen Gründer erinnert
       
       Teil des Programms ist die Vorstellung jedes Bandmitglieds. Dazu werden
       jeweils Fotos der Musiker gezeigt, währenddessen jeder seine persönliche
       Verbindung zur Band anhand eines Schwanks erläutert. Los geht es mit dem
       Youngster an der Leadgitarre, David Rick, 36, der sich erst seit 2022 den
       Traum erfüllt, zu der Band zu gehören, deren Fan er seit Kindertagen ist.
       Bassist Uwe Frenzel ist etwas älter, aber die Fotos, die ihn als Kind mit
       Tischtennisschlägergitarre zeigen, seien von 1971 und bewiesen, dass er
       schon vor Bandgründung der Sparte zugewandt war, um sich dann auf Umwegen
       über Jazz und Rock mit Texas Lightning wieder dem Country zu öffnen.
       
       Tim Reese, der oft die Fiddle beisteuert, ist seit seinem Einstand beim
       Countryfest 2014 in Drochtersen dabei. Auch an die bereits verstorbenen
       Gründer wird erinnert: Stimm-Einspielungen lassen sie postum in neuen Songs
       wiederauferstehen: „Wilde Pferde, wilde Wölfe, wildes Land“ (Cisco
       Berndt, gestorben 2014) und „Von Arizona bis Old Texas Town“ (Burkhard
       „Lucius“ Reichling, gestorben 2012).
       
       Sehr charmant sind die Momente, in denen Drummer Wolfgang „Teddy“ Ibing vom
       Schlagzeug nach vorn an die Rampe kommt, um mit herzerweichend monotoner
       Brummstimme zu singen, dabei dezent an Stefan Remmler von Trio erinnernd.
       Besonders gelungen ist seine Coverversion von Lee Marvins „Wandering Star“.
       Auch eiserne Fans haben ihren Auftritt: Eine Gruppe umrundet das Parkett
       mit der „Polonäse Blankenese“, und ein Kind macht den Paketboten, klettert
       auf die Bühne und verteilt Fangeschenke an sämtliche Musiker. Drei Stunden
       Show werden prall und professionell gefüllt. Von oben ist zu sehen: Der
       Saal war es nicht ganz. „In Drochtersen ist die Stimmung doller“, höre ich
       jemanden sagen.
       
       12 Mar 2023
       
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