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       # taz.de -- Maerzmusik-Festival für Neue Musik: Musikalischer Hochleistungssport
       
       > Bei der Berliner Maerzmusik ist zu erleben, was Musik alles hörbar macht.
       > Neben dem Ungezähmten ist auch die schadhafte Gegenwart Thema beim
       > Festival.
       
   IMG Bild: Auch mal schrill: Das Ensemble Mosaik spielt Laura Bowler bei der Maerzmusik
       
       Schwitzen in einem Konzert ist durchaus eine sinnvolle Option. Es spricht
       von einer intensiven Teilhabe. Dort sein vor der Bühne, wo der Punk abgeht,
       inmitten einer schwitzenden Meute. Musik ist auch eine körperliche Sache.
       Verschärftes Tanzen ist schweißtreibend. Musik. Zappeln. Schon fein.
       
       Deswegen muss so eine Werbedurchsage wie die folgende einen aufmerksam
       stimmen: „Das Ensemble Mosaik widmet sich dem Ungezähmten, dem
       Wildgewordenen, der schmerzhaften Erinnerung und der schadhaften
       Gegenwart.“ Aufregend das Versprechen: „Ein Konzert, in dem geschwitzt
       werden darf.“
       
       Die Bestuhlung allerdings hatten sie im Haus der Berliner Festspiele – Ort
       dieses [1][im Rahmen des Maerzmusik-Festivals] stattfindenden Konzerts –
       gar nicht rausgeräumt. Es war ein Sitzkonzert. Gängiger Brauch bei der
       Klassik und der mit ihr eng verwandten Neuen Musik, der die Maerzmusik
       gewidmet ist. In den gepolsterten Klappsesseln aber hatte man gar keinen
       Platz, sich derart hin- und herzuwerfen, dass der Körper auch ins Schwitzen
       käme.
       
       Und einfach aufstehen zum Zappeln bei so einem Konzert? Das macht man halt
       auch nicht.
       
       Dabei hätte es durchaus reichlich motorische Energie gegeben in den
       Kompositionen von Sara Glojnarić. In ihren „sugarcoating“-Stücken schöpft
       die 1991 in Zagreb geborene Komponistin Klangformate einer Musikdatenbank
       ab, die ansonsten gern von Entwicklern von Musiksoftware benutzt wird. Eine
       Auseinandersetzung mit musikalischen Formatierungen, die sich in furiose
       Musik übersetzte: Mal klang es wie Minimal Music mit ADHS, dann wieder
       seltsam ausgebeint, schartig. Hyperaktives und Defizitäres in einer
       reizvollen Spannung. Und in den rasenden Geschwindigkeiten und
       Atemlosigkeiten eine Herausforderung für die MusikerInnen des Ensemble
       Mosaik. Gut konnte man sich vorstellen, dass wenigstens sie bei diesem
       musikalischen Hochleistungssport ins Schwitzen kamen.
       
       Eine kleine Abschweifung, weil es halt wegen der Transpiration gerade
       passt. Deswegen soll mal wieder an eine Berliner Band um [2][den
       Schauspieler und Musiker Lars Rudolph] erinnert sein, die zwanglos die
       „Capri Fischer“ mit freizügigem Impronoise zusammendenken konnte. Einfach
       des aparten Namens wegen. Sie hieß: Ich schwitze nie.
       
       Zugegeben. Die Band hat rein gar nichts mit diesem Festival zu tun.
       Andererseits aber wurde einem an dem Abend auch immer wieder ein Übermaß an
       Informationen vor den Latz geknallt. Eine musiktaktische Herangehensweise,
       klar, die auch etwas Anrührendes hatte mit den sehr persönlichen
       Einlassungen beim „Memory“-Stück von Sergej Newski, bei dem es zur Musik
       alte Videoaufnahmen von der Loveparade und den MusikerInnen des Ensemble
       Mosaik von 1997 zu sehen gab. Das Jahr, in dem das Ensemble sich gegründet
       hat.
       
       In Laura Bowlers Komposition „FFF“ hatte dieses Informationsgeballere etwas
       Verstörendes mit einer schrill sich aufschaukelnden Musik und den Videos
       mit Aufnahmen von Straßenkämpfen, Satzfetzen, historischen Fotos vom
       Vietnamkrieg, alles bunt durcheinandergewirbelt. Wenn dann noch theatrale
       Elemente hineingebrockt wurden, spielte die Musik gar keine so große Rolle
       mehr, weil man so viel gucken musste auf der Bühne. Flaggen wurden
       geschwenkt, Papier geknüllt und weggeworfen. Dazu in schnellen Schnitten
       die Videos, dass man nur noch taumeln wollte in seinem Sessel.
       
       Das Ensemble Mosaik widmet sich dem Ungezähmten, dem Wildgewordenen, der
       schmerzhaften Erinnerung und der schadhaften Gegenwart, hieß es. Stimmte
       alles. Gut auch, dass man dabei gar nicht ins Schwitzen kam. Mancher Musik
       hört man besser einfach zu, ohne sie gleich zum Workout zu nehmen.
       
       23 Mar 2023
       
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