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       # taz.de -- Ramadan in Hamburg: Die Feier nebenan
       
       > Der Ramadan hat begonnen und viele Leute kriegen das nicht mit. Dabei
       > geht es darum, gemeinsam zu feiern – unabhängig von der
       > Religionszugehörigkeit.
       
   IMG Bild: Gemeinsamkeit beim Mahl am Abend: Hamburger Muslim*innen während des Ramadan 2022
       
       Der Fastenmonat Ramadan hat für mich am Donnerstag begonnen. Wie jedes Jahr
       einen Tag früher als im Jahr davor, weil im Islam die Monate nach dem
       Mondkalender gezählt werden, der zehn Tage kürzer ist als der
       Sonnenkalender. Wusstet ihr das?
       
       Als ich in Syrien lebte, habe ich den [1][Ramadan] sehr anders erlebt als
       heute. Als Jugendlicher, mit Schulprüfungen und später mit kürzeren
       Arbeitstagen und mehr Zeit zu Hause. Bei uns waren meistens Verwandte und
       Gäste eingeladen und sobald Sonnenuntergang war, gab es viel zu Essen. Als
       Großfamilie aßen wir gemeinsam sehr viel und danach ging ich mit meinem
       Vater und meinen Brüdern in die Moschee, die nicht weit von unserem Haus
       entfernt war. Morgens und abends beteten wir gemeinsam.
       
       Wenn ich jetzt an meine ersten Ramadane in Hamburg zurückdenke, habe ich
       gemischte Gefühle. 2016 haben wir, so gut es ging, in der Zeltunterkunft
       [2][in der Schnackenburgallee Ramadan gemacht], allerdings konnten wir
       nicht selbst Essen zubereiten. In den folgenden Jahren war es besser, ich
       fühlte mich sicher und gut integriert in Hamburg, in mein Umfeld und in
       meine Arbeit. 2018 fragte mich eine Kollegin, ob ich mit zum Mittagessen
       gehe und ich sagte „Nein, ich mache Ramadan“. Da bemerkte ich, wie groß ihr
       Unwissen war. Ich erklärte ihr, dass ich faste, von Sonnenaufgang bis
       Sonnenuntergang. Und sie fragte: Auch nicht trinken? Nein, auch nicht
       trinken. Aber das kann doch nicht gesund sein? Ich sagte, doch.
       
       Seitdem bekomme eigentlich jeden Ramadan ähnliche Fragen gestellt,
       besonders, wenn ich in dieser Zeit neue Leute kennenlerne. Manchmal
       entwickelt sich daraus ein nettes Gespräch. Und manchmal lassen diese
       Fragen mich überlegen, warum so viele Nicht-Muslim*innen in diesem Land
       immer noch so wenig über ihre muslimischen Nachbar*innen oder
       Kolleg*innen wissen, obwohl seit über 60 Jahren [3][Muslim*innen in
       Deutschland] leben – und fasten. Und obwohl viele Initiativen den Ramadan
       in die Gesellschaft bringen möchten, zum Beispiel der Hamburger Ramadan
       Pavillon, den es seit zehn Jahren gibt.
       
       Wenn ich an Hamburg denke, liegt es vielleicht an einem allgemein
       geringeren Interesse an Religion und religiösem Leben? Vielleicht auch in
       meinem eher linken Umfeld, wo schnell Begriffe wie „Opium fürs Volk“
       fallen.
       
       Ramadan bedeutet im gesellschaftlichen Kontext in mehrheitlich muslimischen
       Ländern Zusammensein, Gemeinsamkeit und familiäre, feierliche Atmosphäre.
       Viele Muslim*innen, die im Exil leben, leben alleine. Ihre Familien, besten
       Freund*innen oder Bekannten, mit denen sie das Fasten brechen könnten,
       sind über die Welt verstreut. Das macht für sie Ramadan schwierig und die
       Erinnerung an die Heimat kann besonders in dieser Zeit schmerzen.
       
       Deswegen ist meine Frage: Wie kann der Ramadan auch in den neuen
       Heimatländern von Muslim*innen Teil ihrer neuen Gesellschaften sein?
       Ohne dass ich dabei das Ziel habe, dass meine neue Gesellschaft in Hamburg
       religiöser, oder meiner syrischen Gesellschaft ähnlicher wird. Deswegen
       fokussiere ich mich auf die soziale Ebene von Ramadan. Ich genieße es sehr,
       gemeinsam mit vielen, ob Muslime oder nicht, zu feiern und gemeinsam zu
       Abend zu essen – Fastenbrechen, in meinem Fall.
       
       Das ist doch ein bisschen so, wie ich in den letzten Jahren Weihnachten
       oder Ostern kennengelernt habe. Auch hier feiern viele Menschen gemeinsam,
       auch wenn die religiösen Bedeutungen nicht unbedingt im Vordergrund stehen.
       
       In diesem Jahr ist besonders schön, dass viele Feste miteinander gefeiert
       werden können. In diesem Sinne: Ramadan kareem, happy Nowruz, Pessach
       Sameach und frohe Ostern!
       
       29 Mar 2023
       
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   DIR Hussam Al Zaher
       
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