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       # taz.de -- Wie geht die Letzte Generation vor?: Klimakleber packen aus
       
       > Die Klimaaktivist:innen der Letzten Generation haben das
       > Unverständnis über sie satt und machen ihr internes Wiki öffentlich.
       
   IMG Bild: Straff organisiert: Klimakleber der Letzten Generation blockieren die Hildesheimer Straße in Hannover
       
       Berlin taz | Vergangenen Mittwoch machte die [1][Klimagruppe Letzte
       Generation] Teile ihrer internen Informationsdatenbank öffentlich. Zwar
       fehlen Dokumente zu Buchhaltung, Termine für kommende Blockaden oder eine
       Klimabilanz der Gruppe. Das Wiki zeigt aber die Strukturen, die sie sich
       innerhalb von eineinhalb Jahren aufgebaut hat.
       
       1. Sie setzen auf Masse 
       
       Die Gruppe setzt auf „Wachstum, Wachstum, Wachstum“, heißt es in den
       Dokumenten. Sie wolle eine kritische Masse erreichen, um „einen sozialen
       Kipppunkt und einen internationalen Dominoeffekt“ zu erreichen. Durch die
       Blockadeaktionen will die Gruppe Aufmerksamkeit auf die Forderungen der
       Gruppe lenken – aber auch mehr Menschen für den Protest gewinnen. Dafür
       finden auch jede Woche Vorträge und Trainings statt.
       
       2. Die Gruppe will bürgerlich wirken 
       
       In den Informationen zu den Straßenblockaden schreibt die Letzte
       Generation: „Wir achten wenn möglich auf bürgerliche Kleidung.“ Es soll zum
       Beispiel niemand barfuß an Aktionen mitmachen. Auf einer anderen Seite in
       der Informationsdatenbank freuen sich die Aktivist:innen über ein
       Treffen mit zwei Staatsanwälten: „Wir werden als bürgerlich genug
       wahrgenommen, yey“.
       
       3. Die Presse ist nicht ihr Freund 
       
       Obwohl die Letzte Generation all ihre Aktionen mit Fotos und Videos
       dokumentiert und mit allen Mitteln versucht, mediale Aufmerksamkeit zu
       bekommen, sieht sie die Presse sehr kritisch. Nur die in Pressetrainings
       ausgebildeten Aktivist:innen sollen mit Journalist:innen sprechen,
       denn die „sind Teil des toxischen Mediensystems und wollen primär ihren
       Profit“.
       
       4. Kleber nur von einer Marke 
       
       Unter den praktischen Tipps und Anleitungen für die Aktivist:innen
       finden sich auch Empfehlungen für das richtige Material: „Kauft
       ausschließlich den Kleber von Tedi“. Im Notfall ginge auch der Kleber von
       Woolworth, der klebe aber nicht gut bei Minusgraden. Zusätzlich gibt es auf
       der Seite der Aktivist:innen Rezepte für „Superkleber“ oder ein
       22-minütiges Video-Tutorial, in dem gezeigt wird, wie man sich die Hand
       einbetoniert.
       
       5. Von Bienen, Wildbienen, Hummeln und Schildkröten 
       
       Aktivist:innen, die sich an Blockaden beteiligen, werden von der
       [2][Letzten Generation] als Bienen bezeichnet. Wildbienen sind jene, die
       auch „hohe Repressionen“ in Kauf nehmen. Zusätzlich gibt es auch noch
       Bienenköniginnen (Bikös). Sie haben besonders viel Erfahrung und halten bei
       Aktionen Kontakt zur Presse. Hummeln sind für die hintergründige
       Unterstützung zuständig. Als Schildkröten werden Aktivist:innen
       bezeichnet, die keine Höhenangst haben und auf Autobahnschilder klettern,
       um von dort den Verkehr zu stören.
       
       6. Historisch inspiriert 
       
       In der Informationsdatenbank sind auch Videos verlinkt, in denen
       Aktivist:innen über ihre Inspiration sprechen. Sie beziehen sich zum
       Beispiel auf die US-Bürgerrechtlerin Rosa Parks oder Mahatma Gandhi. In den
       Videos sprechen die Aktivist:innen auch über ihre Theorie der
       Veränderung. Sich politisch zu engagieren und das System von innen heraus
       zu verändern sei sinnvoll, sagt eine Person in einem internen Vortrag. Aber
       dafür bliebe nicht mehr genug Zeit. Deswegen setzt die Gruppe darauf, die
       Regierung in eine Dilemmasituation zu bringen. Sie will so viel Druck
       aufbauen, dass die Entscheider:innen entweder sehr repressiv gegen die
       Gruppe vorgehen müssen – was Politiker:innen schlecht dastehen lassen
       würde – oder den Forderungen nachgeben müssen. Der Protestforscher Dieter
       Rucht zieht in einem im März erschienenen Beitrag hingegen eine kritische
       Zwischenbilanz über die Gruppe. Sie bekomme zwar durch ihre Aktionen sehr
       viel Aufmerksamkeit, durch die Auswahl der Aktionen in Kombination mit
       ihren Forderungen – erst Lebensmittelverschwendung stoppen, inzwischen
       Gesellschaftsrat, Tempolimit und 9-Euro-Ticket –, vergebe sie allerdings
       ihr Potenzial, ernsthaft etwas zu bewegen.
       
       7. Sie feiert ihre Erfolge 
       
       In einem Dokument hält die Gruppe ihre bisherigen Erfolge fest. Für Mitte
       März steht da zum Beispiel: „Sehr starke Mobi-Woche“. Anfang März verbucht
       die Letzte Generation: „[3][Die Bild] nennt uns jetzt Klimaaktivisten und
       nicht mehr RAF oder Terroristen.“ Auch die Unterstützung von
       Bürgermeister:innen ist in dem Dokument festgehalten, oder dass die
       Aktion am Grundgesetz-Denkmal mehrere Millionen Views auf Twitter erreicht
       hat.
       
       8. Zuweilen skurril 
       
       Im Wiki der Gruppe lassen sich auch irritierende Sätze finden. Sie
       schreiben beispielsweise in ihren Werten: „Auch Entscheider:innen des
       Systems sehen wir als Menschen“ oder “Wir werden die lästigen Freiwilligen
       lieben und uns um sie kümmern, auch wenn wir es nicht wollen.“ In der
       Datenbank ist ein „Kuschelmanifest“ verlinkt.
       
       9. Straff organisiert 
       
       Es gibt mehrere Dutzend Arbeitsgemeinschaften, die sich etwa um
       Buchhaltung, Grafik oder die Protestplanung kümmern. Auch ein Team für
       rechtliche Fragen, Daten oder Presse gibt es. Dazu gibt es in dem Wiki
       unzählige E-Mail-Vorlagen oder Vortragsskripte, die Aktivist:innen
       nutzen können. An verschiedenen Stellen wird auch darauf hingewiesen, dass
       sich niemand überarbeiten soll, „damit Menschen sich auch mittel- sowie
       langfristig für uns einsetzen können“. Der Protestforscher Rucht schreibt,
       dass die Gruppe „relativ straff organisiert“ ist und die Kerngruppe „sich
       zu einer Führungsriege entwickelt hat“.
       
       10. Bezahlte Aktivist:innen 
       
       Unter „Finanzen“ stand direkt nach Veröffentlichung des Wikis erst mal
       wenig. Inzwischen hat die Gruppe ergänzt: „Ausführlicher Inhalt folgt in
       Kürze“. Schon jetzt kann man aber nachlesen, dass die Gruppe Menschen „für
       gemeinnützige Tätigkeiten“ bezahlt. Zuletzt wurden immer wieder Fälle von
       Aktivist:innen bekannt, die ihr Studium für den Protest unterbrechen
       oder ihren Job kündigen. Um das zu ermöglichen, können sich
       Aktivist:innen bei der „Letzten Generation Unterstützungsinitiative“,
       die über den gemeinnützigen Verein Wandelbündnis organisiert wird, ein
       Gehalt zahlen lassen. Die Letzte Generation betonte in den letzten Monaten
       aber immer wieder, dass Aktivist:innen kein Geld für Straßenblockaden,
       sondern nur für die Bildungsarbeit zur Klimakrise bekämen. Im Januar war
       die Rede von 41 Anstellungen. Seitdem sollen es mehr geworden sein. Auf
       Anfrage schreibt die Letzte Generation: „Die Zahl der Anstellungen wächst
       kontinuierlich an.“ Im Januar veröffentlichte die Letzte Generation bereits
       einen Finanzbericht für das Jahr 2022. Mehr als 900.000 Euro hätte die
       Gruppe demnach 2022 eingenommen. 535.000 hat die Gruppe nach eigenen
       Angaben für Transport, Verpflegung oder Werbematerialien ausgegeben.
       
       11. Anleitung zur Straßenblockade 
       
       In der Datenbank finden sich viele praktische Tipps für den Protest, zum
       Beispiel dazu, wie Aktionen geplant werden. Schritt 1: Mögliche Straßen für
       Blockaden in Google Maps markieren. Schritt 2: Wochentag und Uhrzeit „mit
       dem größten Verkehrsaufkommen“ raussuchen, für eine Fahrtrichtung
       entscheiden und am besten vorher schon mal „scouten“, wie es vor Ort
       wirklich aussieht. Schritt 3: Mitstreiter:innen, Warnwesten, Kleber und
       Banner für die Blockade organisieren. Während des Protests dann
       Einsatzfahrzeuge mit Blaulicht durchlassen und posieren, denn „der Ort des
       Protests ist eine Bühne“.
       
       27 Mar 2023
       
       ## LINKS
       
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