URI: 
       # taz.de -- Atomwaffen in Belarus: Minsk und Moskau rüsten verbal auf
       
       > Putin will Atomwaffen in Belarus stationieren, dabei war das Land einst
       > Vorreiter bei der Abrüstung. Kritiker warnen vor einer Gefahr für ganz
       > Europa.
       
   IMG Bild: Zwei außer Rand und Band: Machthaber Lukashenko und Putin haben sich was Neues überlegt, 17.2.2023
       
       Kyjiw taz | Taktische Atomwaffen sollen künftig in Belarus stationiert
       werden. Dies verkündete der [1][russische Präsident Wladimir Putin] im
       russischen Fernsehen. Der Bau einer entsprechenden Lagerstätte solle am 1.
       Juli abgeschlossen sein.
       
       Mit der Entscheidung verstoße man nicht gegen internationale Verträge zur
       Nichtverbreitung von Atomwaffen, behauptete Putin. Auch verbleibe die
       Kontrolle über die Waffen weiterhin in Moskau. Technisch habe man bereits
       Vorbereitungen getroffen, so habe Russland Belarus bereits den
       Iskander-Komplex übergeben, der als Atomwaffenträger dienen kann.
       
       Gleichzeitig kündigte Putin den Einsatz von Munition mit abgereichertem
       Uran in der Ukraine an, sollte Kijiw dergleichen vom Westen erhalten, und
       bezog sich auf die Ankündigung von Großbritannien, Munition mit
       abgereichertem Uran an die Ukraine zu liefern. Dieses ist weit weniger
       radioaktiv als angereichertes Uran und wird zur Erhöhung der
       Durchschlagskraft panzerbrechender Geschosse verwendet.
       
       Es ist nicht das erste Mal, dass mit abgereichertem Uran versetzte Munition
       eingesetzt wird: Die Gronauer Firma Urenco hatte in den vergangenen 20
       Jahren Zigtausende von Tonnen von „Depleted Uranium“ nach Russland
       geliefert. Bei den Luftangriffen auf Jugoslawien hatte die Nato [2][zehn
       Tonnen von Uranmunition eingesetzt].
       
       ## Lukashenkos nukleare Träume
       
       In seiner 1994 demokratisch verabschiedeten Verfassung hat Belarus sein
       Hoheitsgebiet zu einer kernwaffenfreien Zone erklärt. Alexander Lukaschenko
       hatte dies wiederholt als Fehler bezeichnet. Bei der feierlichen Eröffnung
       des ersten Blocks des Atomkraftwerkes Astravez im November 2020 hatte er
       denn auch geschwärmt, nun werde Belarus Atommacht.
       
       Im Februar 2022 hatte der Machthaber laut der oppositionellen
       belarussischen Plattform zerkalo.io gesagt, im Falle einer Bedrohung durch
       den Westen könnten in Belarus Atomwaffen zum Einsatz kommen. Und am 22.
       März, so zerkalo.io weiter, habe Lukaschenko in Chatyn die Ankündigung
       Großbritanniens mit den Worten kommentiert: „Russland wird uns Munition mit
       echtem Uran liefern.“
       
       Die nuklearen Pläne von Belarus und Russland stoßen auf viel Kritik. Die
       schärfste Form kommt von dem früheren stellvertretenden Außenminister
       Andrei Sannikow. Sannikow war zwischen 1992 und 1995 Leiter der
       belarussischen Delegationen bei Abrüstungsverhandlungen.
       
       Diese Pläne stellten eine „tödliche Gefahr“ dar, zitiert das oppositionelle
       belarussische Portal charter97.org den seit 2012 im britischen Exil
       lebenden Oppositionspolitiker. Die Republik Belarus sei der erste Staat der
       Welt, der freiwillig auf den Besitz von Kernwaffen verzichtet hatte.
       
       ## Panisch oder wahnsinnig?
       
       „Dieser Beitrag von Belarus zum internationalen Frieden und zur Sicherheit
       war von der internationalen Gemeinschaft hoch geschätzt worden“, so
       Sannikow. Den Status einer kernwaffenfreien Zone habe Lukaschenko mit
       seinem „illegalen und manipulierten ‚Referendum‘ vom 27. Februar 2022“
       aufgehoben. Jeder Versuch, den atomwaffenfreien Status zu ändern, müsse als
       aggressiver Akt betrachtet werden, so Sannikow weiter.
       
       Mit ihren Plänen bedrohten „zwei Schurkenstaaten“ nicht nur die Bevölkerung
       von Belarus, sondern auch ganz Europa. Nun gelte es, so Sannikow, den
       UN-Sicherheitsrat zu einer Dringlichkeitssitzung einzuberufen, um „die
       wahnsinnigen Pläne des Kremls und Lukaschenkos zu stoppen.“. Dort müssten
       „dringende und harte Entscheidungen getroffen werden, um einen Atomkrieg zu
       verhindern, der die gesamte Menschheit zu vernichten droht“.
       
       Belarus solle zu einer Zone internationaler Verantwortung erklärt werden,
       die von UN-Friedenstruppen garantiert wird. „Die internationale
       Gemeinschaft hat nicht das Recht, es bei Besorgniserklärungen zu belassen,
       wenn Wahnsinnige die Menschheit zu vernichten drohen.“
       
       Weniger dramatisch sieht der Politikwissenschaftler Arkady Moshes vom
       finnischen Institut für internationale Beziehungen die
       russisch-belarussische Entscheidung. Wenn Russland Atomwaffen in der Nähe
       zur Nato stationieren möchte, so Moshes, hätte es diese doch auch nach
       Kaliningrad verlegen können. Er sehe weder militärisch noch
       militärpolitisch in dieser Entscheidung einen Sinn, zitiert zerkalo.io
       Moshes. Dies zeige, wie „nervös, um nicht zu sagen panisch“ die Stimmung im
       Kreml sei.
       
       ## Unwillen der Bevölkerung
       
       Auch in der Ukraine wird die Entscheidung von Putin und Lukaschenko
       kritisiert. „Der Kreml hat Belarus als nukleare Geisel genommen“, zitiert
       das Portal strana.news den Sekretär des Nationalen Sicherheits- und
       Verteidigungsrates, Alexei Danilow. Mit diesem Schritt werde die Lage in
       Belarus weiter destabilisiert.
       
       Nun werde die Gesellschaft in Belarus Russland und Putin noch mehr
       ablehnen, ist sich Danilow sicher. Das Land werde von Russland seit
       Kriegsbeginn als Aufmarschgebiet genutzt. Von hier aus schießt Russland
       regelmäßig Raketen ab. Gleichwohl: Offiziell ist kein einziger
       belarussischer Soldat im Krieg gegen die Ukraine im Einsatz.
       
       26 Mar 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Russische-Atomraketen-in-Belarus/!5921976
   DIR [2] /Lieferungen-von-Gronau-in-die-Ukraine/!5840693
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernhard Clasen
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Belarus
   DIR Atomwaffen
   DIR Wladimir Putin
   DIR GNS
   DIR Belarus
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Swetlana Tichanowskaja 
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Kolumne Krieg und Frieden
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Diskussion um nukleare Teilhabe: Doppelte Standards der Ampel
       
       ICAN und Linkspartei warnen die Bundesregierung vor atomarer Bedrohung.
       Doch reine Lippenbekenntnisse zu nuklearer Abrüstung reichten nicht.
       
   DIR +++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++: Biden fordert Freilassung von Journalist
       
       Der US-Präsident hat Russland aufgefordert, den festgenommenen Reporter des
       Wall Street Journal freizulassen. Spaniens Regierungschef fordert Xi zu
       Gesprächen mit Selenski auf.
       
   DIR Krieg in der Ukraine: Aufrüsten für eigene Offensiven
       
       Moderne deutsche und britische Kampfpanzer sind in der Ukraine angekommen.
       Analysten rechnen mit baldigen Offensiven durch Kyjiw.
       
   DIR +++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++: Awdijiwka soll evakuiert werden
       
       Die ostukrainische Stadt gleiche einem Ort aus apokalyptischen Filmen, so
       der Militärverwalter. Derweil sieht Moskau die Nato als Teil des
       Ukrainekonflikts.
       
   DIR Belarussische Oppositionelle: 15 Jahre Haft für Tichanowskaja
       
       Die im Exil lebende Oppositionsführerin Tichanowskaja ist in Belarus zu
       einer Haftstrafe verurteilt worden. Ihr wird Aufstachelung zum Hass
       vorgeworfen.
       
   DIR Russland und Belarus: Blaupause zur Übernahme
       
       Ein internes Papier zeigt, wie Russland sich bis 2030 schrittweise Belarus
       einverleiben will. Dabei ist die Annexion längst voll im Gange.
       
   DIR Propaganda in Belarus: Frieren muss man nur im Westen
       
       Die staatliche Propaganda in den belarussischen Medien erinnert an
       Meldungen aus der Sowjetzeit. Gerichtsurteile ergehen in Minsk auch in
       Abwesenheit.