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       # taz.de -- LGBTQ in Indien: Ehe für alle nicht mehr fern
       
       > Dem Obersten Gericht in Indien stehen Verhandlungen über die Homo-Ehe
       > bevor. Es könnte ein riesiger Erfolg für die liberalen Kräfte im Land
       > werden.
       
   IMG Bild: Beim Obersten Gerichtshof liegt eine Petition, die die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe fordert
       
       Vor zwei Jahren kostete das Coronavirus in Indien eine halbe Million
       Menschen das Leben. Damals, als [1][die Leichenhallen überfüllt] waren,
       konnte vielleicht nur ein Mitglied der Familie die Verstorbenen zum
       Krematorium geleiten. Doch wer sollte den letzten Weg mit ihnen machen?
       Verkehrsunfälle sind in Indien eine vergleichbare, wenn auch meist
       vernachlässigte Epidemie. Wer wäre für Sie der Notfallkontakt? Bei
       Verheirateten würde man erwarten, dass der Ehepartner benachrichtigt wird.
       
       In Indien werden die Krankenhausbeschäftigten dies allerdings dann nicht
       tun, wenn ihr [2][Partner oder ihre Partnerin das gleiche Geschlecht] wie
       Sie haben. Er oder sie dürfte auch keine Entscheidungen für Sie fällen. So
       wird nicht nur für den Fall eines Ablebens deutlich, dass die Legalisierung
       der gleichgeschlechtlichen Ehe benötigt wird, herbeigesehnt wird – als
       rechtlicher Hebel zur Umwälzung des Status quo.
       
       Nun eröffnet sich die Chance, dass die Homo-Ehe genauso wie die Ehe für
       heterosexuelle Paare durch die indische Justiz und das Parlament anerkannt
       wird. Auf den Weg gebracht wurde dies, als an mehreren lokalen Gerichten
       Petitionen eingereicht wurden. Nun hat der vorsitzende Richter des Obersten
       Gerichts in Indien gefordert, dass alle Petitionen gemeinsam dem höchsten
       Gericht vorgelegt werden.
       
       Er heißt [3][Dhananjaya Chandrachud], und er hat bereits das Recht auf
       Privatsphäre anerkannt, hat „unnatürliche sexuelle Handlungen“
       entkriminalisiert und hat Frauen unabhängig von ihrem Familienstand das
       Recht auf eine Abtreibung zugesprochen. Die lokalen Petitionen nahmen Bezug
       auf bestehende Gesetze. Einige dieser Gesetze sollen nur geringfügig
       umformuliert werden, bei anderen soll eine freiere Interpretation
       ermöglicht werden.
       
       ## Protest von rechts
       
       Die Ehegesetze in Indien hängen im Wesentlichen von der Religion der
       Eheschließenden ab. Das Ehegesetz für Hindus erlaubt eine Heirat „zwischen
       zwei Hindus“ und geht nicht auf deren Geschlecht ein, sodass eigentlich die
       Option für gleichgeschlechtliche Ehen von Hindus besteht. Sollten diese
       erlaubt werden, müsste dies automatisch auch Homo-Ehen unter dem „Special
       Marriage Act“ zulassen. Er regelt Ehen zwischen Partnern unterschiedlichen
       Glaubens.
       
       Ein anderes Gesetz, der „Citizenship Act“, ermöglicht es indischen
       Staatsbürgern im Ausland, den Status eines „Overseas Citizen of India“ zu
       erlangen. Dies gilt auch für deren nichtindische Ehepartner, und im
       Wortlaut des Gesetzes wird nicht spezifiziert, welches Geschlecht die
       Ehepartner haben müssen. Also könnte das Oberste Gericht auch für diese
       Personengruppe gleichgeschlechtliche Ehen legalisieren.
       
       Rechtsgerichtete Hindus kritisieren diese Petitionen und sagen, dass die
       Justiz dies nicht für die Gesellschaft entscheiden könne. Aber der große
       juristische Erfolg von 2018, als das Oberste Gericht „unnatürliche sexuelle
       Handlungen“ – gemeint war damit vor allem Homosexualität –
       entkriminalisierte, ist Grund genug für Hoffnung. Im April soll über die
       Petitionen verhandelt werden.
       
       In Deutschland hätte man Grund, dies zu beobachten, denn dort gibt es zwar
       [4][seit 2017 die Homo-Ehe] – das ist ja auch nicht lange her –, aber eine
       lesbische Frau muss immer noch den mühsamen Prozess absolvieren, das
       biologische Kind ihrer Ehepartnerin zu adoptieren, selbst wenn es nach der
       Heirat zur Welt kam. Einem schwulen Mann bleibt dies immerhin erspart, er
       gilt rechtlich als Vater eines Kindes innerhalb der gleichgeschlechtlichen
       Ehe. Auch Deutschland könnte aufhören, lesbische Mütter zu diskriminieren.
       Alle Menschen sollten frei entscheiden können, wen sie heiraten, ohne dass
       daraus für sie Nachteile erwachsen.
       
       Aus dem Englischen von Stefan Schaaf
       
       2 Apr 2023
       
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   DIR Priyanka Borpujari
       
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