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       # taz.de -- Beerdigung und Leichenschmaus: Wir lachten an diesem traurigen Tag
       
       > Unser Autor war schon bei dem ein oder anderen Leichenschmaus und weiß:
       > Sie sind ein guter Anlass, um das Leben zu würdigen.
       
       Ist eine Beerdigung nicht so was wie ein Absacker auf ein langes Leben? Nur
       das der Gastgeber fehlt? Wenn man selbst in der Warteschlange zum Paradies
       einen Platz nach vorne gerückt ist, rücken auch gleichzeitig die Freuden
       des Lebens wieder in den Vordergrund. Deswegen erinnere ich mich besonders
       gerne an einen Satz meines Vaters: „Und wenn mir der Suppenlöffel ein
       letztes Mal aus der Hand gefallen ist, soll keiner nüchtern bleiben!“
       
       Wir lachten noch häufig an diesem traurigen Tag. Wie das bei
       [1][Beerdigungen] eigentlich üblich ist. „Gesetzt den Fall, man lässt es
       zu“, sagte meine damalige Freundin. „Gesetzt den Fall, das Essen ist gut“,
       sagte ich. „Gesetzt den Fall, es gibt Alkohol“, sagte ein Typ, der zur
       Trauergemeinde gehörte. Wie leicht es doch ist, Menschen eine Freude zu
       machen, dachte ich mir, als der Oberkellner kam und uns Wein einschenkte.
       
       Es war ein Wein, den wir uns bequem auch noch am nächsten Morgen zum
       Frühstück im Bett genehmigt haben. Die Flasche kostete nicht weniger als 20
       Euro. Und gepasst hat sie zum Rest. Es gab Rinderbraten mit
       [2][Rotweinsoße], Rotkohl mit mindestens zehn Zutaten und Kartoffelbrei mit
       ordentlich Butter dran. Der ist sehr wichtig, weil viele alte Menschen auf
       Beerdigungen nicht mehr so gute Zähne haben. Zum Nachtisch Tiramisu. Für
       Kinder ohne, für Erwachsene mit Nusslikör.
       
       „[3][Genießerisches Dasein, vulgo maßvolles intelligentes Amüsement], kann
       nur vor dem Hintergrund des Endlichen richtig erfasst werden“, sagte Grimod
       de la Reynière, der Begründer der Gastrokritik. Was aufgetischt wurde, war
       ein Festmahl in obszöner Pracht und gewiss auch teuer, aber welche Rolle
       spielt schon Geld bei der letzten Reise?
       
       Bei solchen Gelegenheiten zeigt sich Stil. Nicht darin, wie viel Geld man
       ausgibt. Sondern darin, wie man das Leben würdigt. Wenn man beim
       Leichenschmaus alles richtig macht, wird die Zunge locker und die guten
       Geschichten werden ausgepackt, die man sich früher nur hinter vorgehaltener
       Hand erzählt hat. Sie werden prustend erzählt, gestikulierend, mit dicken
       Tränen und unter lautem Gelächter.
       
       ## Beerdigung mit Kartoffelsuppe und Bockwurst
       
       Da wären zum Beispiel Hunderte Geschichten von meinem alten Rugby-Trainer.
       Er hieß André und er war Franzose, der mal Profispieler in Rouen,
       nordwestlich von Paris war, zweite Liga. „Du musst das Leben tackeln“,
       sagte er einmal zu mir. Aus ein paar Hanseln, die auf einer öffentlichen
       Wiese trainierten, machte er eine Mannschaft, die sogar recht ansehnlichen
       Rugby spielte. Er war ein Kämpfer wie der biblische Samson, der 1.000
       Feinde mit einem Eselkiefer erschlug. Nur seinen letzten Kampf verlor er.
       Den gegen den Krebs.
       
       Auf seiner Beerdigung gab es Kartoffelsuppe mit Bockwurst und Kaffee und
       Kuchen und wir alle haben Snacks mitgebracht, und während wir spachtelten,
       erzählten wir Anekdoten.
       
       Sie handelten von Andrés Auto, das immer nach Käse roch, weil er ein
       Genießer war. Sie handelten vom gebrochenen Handgelenk eines Polizisten,
       weil André sich nicht festnehmen lassen wollte. Sie handelten davon, wie
       André Wohnungen für uns organisierte oder uns Jobs vermittelte. Davon, wie
       dieser kleine Mann mit großem Herzen einst mit Salami im Gesicht aufgewacht
       ist, weil er nach seinem abendlichen Cannabistee einen Fressflash hatte.
       Und wir lachten und wir weinten und wir aßen und wir tranken im Wechsel,
       und es war schön.
       
       Und ab irgendeinem Moment verschwimmt die Erinnerung zu einem diffusen
       Gefühl, das den Moment zur Essenz verdichtet. Ich weiß nur noch, dass der
       Raum erfüllt war mit weichem Licht, und wir mit jedem Bissen und jeder
       vorgetragenen Anekdote ein bisschen mehr Dankbarkeit verspürten, diesen
       Menschen in unserem Leben gehabt zu haben. Dann ist es auch gar nicht
       schlimm, wenn man dem Verstorbenen noch ein paar Extralorbeeren in die
       Suppe legt.
       
       ## Letzter Rausch beim Leichenschmaus
       
       In der Antike hat man beim Leichenschmaus für den Verstorbenen noch einen
       Teller mitgedeckt, weil man der Meinung war, dass er auch noch anwesend
       ist. Ein letztes Mahl. Ein letzter Rausch. Ein letzter Abend. Man war
       überzeugt, der Geist ist noch da. Als wäre er an der Himmelspforte
       abgewiesen worden, weil er etwas vollenden muss.
       
       So könnte es beim toten Opa meiner Freundin Anne gewesen sein. Der war
       nicht sonderlich sympathisch. „Der hat immer sein Gebiss rausgeholt und mir
       und meinen Geschwistern damit in den Arsch gebissen“, erzählt sie. Und er
       hat die Leute gerne gefragt: „Hast du Nasenhaare?“ Dann musste man mit Ja
       antworten. Und dann hat er gesagt: „Ja schön. Ich hab’ Haare am Arsch,
       kannste zusammenflechten.“
       
       Auf seiner Beerdigung gab es Apfelkuchen und Kaiserschmarrn. Superlecker,
       sagen sie alle. Und es gab Schnitzel in seiner Lieblingspinte und gesoffen
       wurde da. Aus der Pinte ging es an einen Platz im Grünen, mit Teich und in
       der Natur. Trinken unter freiem Himmel. Schnaps aus dem Becher und Glühwein
       aus der Thermoskanne. „Das hätte dem Opa gefallen“, sagt Anne. Auch wenn
       der Mensch nicht nett und lieb war. Schmerzlich ist der Abschied dann ja
       doch.
       
       Die Beerdigung war so schön, dass man dachte, er sei dabei, etwas
       wiedergutzumachen. Vielleicht weil er ein schlechtes Gewissen hatte. „Nicht
       sonderlich sympathisch“, meint übrigens, dass dieser Mensch den Charme des
       Ekels Alfred versprühte oder den vom Alten Sack aus den „Das kleine
       Arschloch“-Comics. Wie hält man es denn dann mit der Trauerrede? Es ist ja
       so eine Sache mit der guten Rhetorik. Sie nützt der Wahrheit genauso wie
       der Lüge. Darf man jetzt schlecht über Menschen sprechen, wenn sie nicht
       nett waren? Darf man lügen, um das Andenken zu verklären?
       
       In solchen Fällen ist man souverän, wenn man einfach den Mund hält. Anne
       und ihre Familie bastelten ein Floß, dass auf dem Teich segeln sollte. Mit
       den letzten stillen Grüßen. Es war ein kleines Floß aus Holz, dass im Teich
       schwamm, darauf eine Kerze und die letzten Wünsche und in der Luft war ein
       Duft von Glühwein und Kaiserschmarrn und Apfelkuchen. Und das Floß sollte
       losfahren. Es sank auf der Stelle. Und sie lachten.
       
       4 Apr 2023
       
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   DIR Clemens Sarholz
       
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