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       # taz.de -- Humanitäre Katastrophe im Kongo: Über sechs Millionen auf der Flucht
       
       > Hilfswerke schlagen Alarm. Die Vertriebenenzahlen im Ostkongo sind auf
       > eine Rekordzahl gestiegen, die Nothilfe ist unterfinanziert.
       
   IMG Bild: Großstädte in Weiß: Ein Vertriebenenlager am Rande von Ituris Provinzhauptstadt Bunia, Anfang März
       
       Berlin taz | Die humanitäre Notlage in den Kriegsgebieten der
       Demokratischen Republik Kongo wird immer dramatischer. Zehn Millionen
       Menschen benötigten dringend Unterstützung zum Überleben, zugleich nehme
       die Gewalt zu, warnten am Dienstag in einer [1][gemeinsamen Erklärung] die
       Hilfswerke Oxfam, Care und Danish Refugee Council. Am Montag sprach
       [2][Ärzte ohne Grenzen] in Bezug auf die am schwersten betroffenen Provinz
       Nord-Kivu im Osten des Landes von einer „humanitären Katastrophe“ und
       nannte die internationale Reaktion darauf „völlig unzureichend“.
       
       Noch während die Hilfswerke Alarm schlugen, erwiesen sich ihre eigenen
       Daten als veraltet. Die Erklärung vom Dienstag nennt die Zahl von 5,8
       Millionen Binnenflüchtlingen und Vertriebenen in dem Land mit rund 95
       Millionen Einwohnern. Am gleichen Tag veröffentliche das humanitäre
       UN-Koordinierungsbüro OCHA [3][neue Zahlen]. Es seien jetzt über 6,2
       Millionen: Allein seit Dezember 2022 seien 538.000 neue Vertriebene
       registriert worden. Trotz 199.000 registrierter Rückkehrender sei die Zahl
       damit auf einen Rekordwert gestiegen.
       
       Im Februar hatte das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR noch 6,06 Millionen
       Binnenvertriebene gezählt. Meist sind es Bauernfamilien, die auf ihren
       Feldern oder auf den Wegen zum Markt von Bewaffneten angegriffen und
       bestohlen oder getötet werden und daher Zuflucht und Schutz woanders
       suchen.
       
       Ein Hauptgrund für die rapide Zunahme der jüngsten Zeit ist die Ausweitung
       des Krieges der Rebellenbewegung M23 (Bewegung des 23. März), geführt von
       kongolesischen Tutsi, in Nord-Kivu. Sie haben die Provinzhauptstadt Goma
       faktisch umzingelt und vom Umland abgeschnitten. Anti-Tutsi-Milizen, die
       mit dem Segen der Armee gegen die M23 vorgehen, sorgen für zusätzliche
       Unsicherheit im Umland. Zwar ist eine ostafrikanische Eingreiftruppe
       präsent, aber sie hat weder den Krieg beendet noch den auf diplomatischer
       Ebene vereinbarten Dialogprozess vorangebracht.
       
       Nach [4][Berechnungen der UN-Migrationsorganisation IOM] stieg die Zahl der
       durch den M23-Krieg vertriebenen Menschen in Nord-Kivu zwischen November
       2022 und März 2023 von 180.000 auf über 900.000, obwohl im gleichen
       Zeitraum fast 270.000 wieder nach Hause gingen. Weiter nördlich in
       Nord-Kivu sorgen die regelmäßigen Terrorangriffe der ursprünglich
       ugandischen Miliz ADF (Allied Democratic Forces), die sich zum globalen
       „Islamischen Staat“ zählt, für massives Elend. Und [5][in der nördlichen
       Nachbarprovinz Ituri] sind seit Jahren zahlreiche ethnische Milizen aktiv,
       in keiner anderen kongolesischen Provinz sind prozentual so viele Menschen
       auf der Flucht – 1,6 Millionen, ein knappes Drittel der Gesamtbevölkerung.
       [6][Beim jüngsten Massaker] an einer Hauptstraße im Süden Ituris töteten
       mutmaßliche ADF-Kämpfer in der Nacht zum Dienstag mindestens 31 Menschen.
       
       Bereits im Januar schlug Ärzte ohne Grenzen Alarm: Die Bevölkerung des
       Vertriebenenlagers Rhoe nahe der Stadt Drodro in Ituri habe sich auf 70.000
       Menschen verdoppelt, es gebe nicht genug Wasser für alle. Manche zogen
       weiter. [7][Jetzt meldet OCHA], allein in der Woche vom 20. bis 26. März
       seien 28.000 weitere Menschen nach Rhoe gekommen, dort lebten nun 84.000.
       
       „Die Unsicherheit behindert Hilfsaktionen“, warnen die drei Hilfswerke in
       ihrer gemeinsamen Erklärung. Zugleich sei der UN-Hilfsappell für die
       Demokratische Republik Kongo für das Jahr 2023 in Höhe von 2,25 Milliarden
       US-Dollar nur zu rund 10 Prozent finanziert.
       
       Die weltweit gestiegenen Lebensmittelpreise wirken sich zusätzlich auf die
       Versorgung nicht nur der Vertriebenen aus. Das unabhängige Family Early
       Warning System, das für UN und Weltbank Hungerdaten weltweit ermittelt,
       meldet in seiner letzten Erhebung für Ostkongo vom Februar 2023 eine
       Stabilisierung der Preise, aber auf hohem Niveau – 24 Prozent mehr als vor
       einem Jahr. Die Demokratische Republik Kongo zählt laut UN ohnehin schon
       26,4 Millionen Menschen in „Ernährungsunsicherheit“, die Vorstufe zur
       Hungerkrise. Es dürften in diesem Jahr – für Kongo ein Wahljahr – noch mehr
       werden.
       
       5 Apr 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://reliefweb.int/report/democratic-republic-congo/10-million-people-democratic-republic-congo-urgently-need-aid-amidst-increased-violence
   DIR [2] https://www.msf.fr/communiques-presse/rdc-msf-appelle-a-une-mobilisation-massive-face-a-une-situation-humanitaire-catastrophique-au-nord-kivu
   DIR [3] https://reliefweb.int/report/democratic-republic-congo/republique-democratique-du-congo-personnes-deplacees-internes-et-retournees-fevrier-2023
   DIR [4] https://reliefweb.int/attachments/e7eecc6a-b7aa-484e-86c1-b86026874e69/Crisis%20analyse%20M23%20_Mars%202023_.pdf
   DIR [5] https://reliefweb.int/report/democratic-republic-congo/rd-congo-situation-humanitaire-dans-la-province-de-lituri-31-mars-2023
   DIR [6] https://7sur7.cd/2023/04/05/rdc-une-trentaine-de-civils-tues-par-des-adf-en-ituri
   DIR [7] https://reliefweb.int/report/democratic-republic-congo/democratic-republic-congo-humanitarian-highlights-3-1-31-march-2023
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dominic Johnson
       
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