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       # taz.de -- Verfassungsschutz prüft LMU-Professor: Völlig losgelöst
       
       > Die Münchner Universität LMU hat ein Problem: Professor Michael Meyen.
       > Der wird Herausgeber eines „Querdenker“-Blattes.
       
   IMG Bild: 2. Mai 2020: Demonstration der Initiative „Querdenken“ in Stuttgart
       
       München taz | Nach dem 20. März erreicht der Fall von Michael Meyen, dem
       Professor, der mit Coronaleugnern arbeitet, eine neue Eskalationsstufe. An
       diesem Tag geht ein Video online, das drei sehr gut gelaunte Männer zeigt:
       Künstler [1][Anselm Lenz, der an der Spitze der Berliner Querdenker- und
       Verschwörungsgläubigen-Szene steht,] und sein [2][Verbündeter, der
       Dramaturg Hendrik Sodenkamp]. Freudig wendet sich Lenz an den Dritten:
       „Herr Professor Meyen, wir begrüßen Sie in der Herausgeberschaft der
       Wochenzeitung Demokratischer Widerstand.“
       
       Der Demokratische Widerstand ist so etwas wie das Zentralorgan der
       [3][Szene aus Coronaleugnern]. Den [4][Angriffskrieg auf die Ukraine]
       deutet das Blatt als Angriff des von den USA gesteuerten Westens auf
       Russland, den etablierten „Propagandablättern von taz bis Bild“ werden
       allesamt Manipulation und Lüge unterstellt. Meyen bedankt sich für die
       Begrüßung von Lenz und sagt, er freue sich „sehr auf die Zusammenarbeit“.
       Dabei ist er eigentlich Professor für Kommunikationswissenschaften in
       München, an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU), Schwerpunkt
       Journalismus.
       
       Jetzt widmet sich der bayerische Verfassungsschutz dem Professor. Der wurde
       von der Universität eingeschaltet, um zu überprüfen, ob Meyens Verhalten
       rechtliche, insbesondere auch strafrechtliche Relevanz hat. Auch der
       bayerische Wissenschaftsminister Markus Blume hat sich gegenüber der taz
       bereits eindeutig geäußert: „Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der
       Treue zur Verfassung“, so der CSU-Mann. „An bayerischen Hochschulen ist
       kein Platz für extremistisches Gedankengut.“
       
       ## Ein Bruch und ein Blog
       
       Mit dem Münchner Institut für Kommunikationswissenschaft und
       Medienforschung (IfKW), an dem Meyen als einer von elf Professoren tätig
       ist, hat er längst gebrochen – und das Institut mit ihm. Als das Magazin
       [5][Zeit Campus vom Februar 2022] schreibt, beide Seiten hätten „aufgehört,
       miteinander zu sprechen“, kommentiert Meyen auf seinem Blog: „Richtig.“
       
       Über Meyens Aussagen und Ausrichtung sagt der Institutsdirektor Professor
       Thomas Hanitzsch gegenüber der taz: „Wir als Institut distanzieren uns auf
       allen Ebenen davon und grenzen uns inhaltlich davon ab.“
       
       Was sagt Meyen selbst, was bloggt und was lehrt er in München? Auf eine
       taz-Anfrage reagiert er nicht. Der Bachelor-Studierende Simon
       Prommersberger hat im Wintersemester 2020/21 eine Online-Vorlesung von
       Meyen besucht. „Ich und eine Reihe weitere Studierende empfanden seine
       Äußerungen bezüglich Corona immer wieder als verharmlosend“, sagt er der
       taz. „Er meinte, man solle das nicht so ernst nehmen und auch den Zahlen,
       etwa den Inzidenzwerten, nicht so trauen.“ Die Äußerungen zur Pandemie
       seien „respektlos und anmaßend“ gewesen, sagt Prommersberger. Vor allem
       auch gegenüber Studierenden, „die etwa Verwandte in der Hochrisikogruppe
       hatten oder aufgrund von Vorerkrankungen selbst dazu zählten“.
       
       Auf der Uni-Homepage verlinkt Meyen seinen Blog „Medienrealität“. Die
       ältesten Texte dort sind aus dem Jahr 2017. Auch der ehemalige
       IfKW-Mitarbeiter Kerem Schamberger, der seine Dissertation bei Meyen
       geschrieben hat, war dort Autor. Schamberger, der sich als Kommunist
       bezeichnet, wurde selbst vom Verfassungsschutz beobachtet, [6][lange war
       deswegen nicht klar, ob er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut
       werden kann]. Einer von Schambergers Fürsprechern in der Öffentlichkeit:
       Meyen, mit dem er 2018 sogar ein Buch schrieb. Ende Januar 2020 wurde sein
       bisher letzter von insgesamt 18 Texten auf Meyens Blog veröffentlicht.
       Wenige Wochen später erklärte die WHO Corona zur Pandemie und Meyen schrieb
       auf dem Blog über „Corona-Hofberichterstattung“. Zwei Jahre später ist er
       bei Begriffen wie „Zensurregime“ angekommen.
       
       Ist Meyens Blog eine private Initiative, wie das IfKW der Zeit Campus
       sagte? Meyen selbst sieht das nicht so, er kommentiert in einer
       Stellungnahme: „Das mit den ‚privaten Initiativen‘ von Professoren ist
       lustig. Ich bin immer im Dienst.“ Aus dem Institut sagt jemand, der anonym
       bleiben will: „Wir sind sehr unglücklich über diese Entwicklung.“ Eine
       andere Person aus dem Institut – ebenfalls anonym – zeigt sich wütend: „Er
       wird aus öffentlichen Mitteln alimentiert.“ Seine Radikalisierung haben
       viele gesehen.
       
       Auch die renommierte Deutsche Journalistenschule (DJS) setzt sich mit dem
       Fall Meyen auseinander, denn DJS-Schüler können neben der Ausbildung auch
       einen Master in Journalismus absolvieren – am IfKW, an dem Meyen arbeitet.
       Für Schulleiterin [7][Henriette Löwisch] ist wichtig: „Keiner unserer
       SchülerInnen ist verpflichtet, bei ihm Kurse zu belegen, man braucht seine
       Veranstaltungen nicht für den Studiengang.“ Meyens Thesen zum Journalismus
       kann Löwisch „gar nichts abgewinnen“. Sie legt Wert darauf, dass an der DJS
       „Studierende für einen kritischen, auf die Wahrheit ausgerichteten und
       humanen Journalismus ausgebildet werden“. Laut der Institutsseite haben
       2020 vier Studierende ihre Abschlüsse bei Meyen gemacht – drei davon waren
       Schüler der DJS. Und sind damit prädestiniert, Teil dessen zu werden, was
       Meyen in seinen Online-Veröffentlichungen immer wieder „Wahrheitsregime“
       nennt.
       
       ## Szenesumpf
       
       Im Online-Magazin Multipolar schrieb er 2021 etwa: „Journalismus und
       Politik können inzwischen auf ein ganzes Arsenal an Waffen zurückgreifen,
       wenn ihr Wahrheitsregime angegriffen wird.“ Herausgegeben wird Multipolar
       unter anderem von Stefan Korinth, Journalist und Gegner der
       Coronaschutzmaßnahmen. Das Magazin haut in dieselben Kerben wie der
       Demokratische Widerstand, will aber intellektueller daherkommen.
       
       In dieser sumpfigen Szene, die auch für Rechtspopulisten und Nazis offen
       ist, stößt man immer wieder auf dieselben Leute. So schreibt Korinth auch
       einen Beitrag in einem Buch über die „medial-politische Hetze gegen
       Russland“. Auch darin vertreten: [8][der Schweizer Verschwörungserzähler
       Daniele Ganser, ein Star der Szene].
       
       Professor Meyen selbst hat sich schon von dem abgedrifteten ehemaligen
       RBB-Moderator [9][Ken Jebsen] interviewen lassen. Meyens
       Herausgeber-Kollege [10][Anselm Lenz wiederum war 2022 zum Sommerfest des
       rechtsextremen Magazins Compact] und dessen Chefredakteur Jürgen Elsässer
       eingeladen. Laut dem Magazin Gegenmedien soll Elsässer bei diesem Fest
       geworben haben, dass der Anti-Corona-Protest wirkungsvoller wäre, wenn sich
       etwa der AfD-Rechtsextremist Björn Höcke mit „linken Kräften“ wie Sahra
       Wagenknecht und Anselm Lenz verbünden würde.
       
       Immer wieder arbeiten sich Verschwörungserzählungen an gesellschaftlichen
       Großereignissen ab, die für manche nur schwer zu verarbeiten sind: dem
       Geflüchteten-Herbst 2015, Corona, Russlands Krieg gegen die Ukraine.
       Gesucht wird nach anderen Deutungen, nach Märchen. Trifft dies auf eine –
       persönliche oder berufliche – Kränkung, so neigen die Betroffenen zu
       Verschwörungslegenden, sehen sich ihrer Freiheit beraubt, so die Theorie
       des [11][Basler Soziologen Oliver Nachtwey und Carolin Amlinger in ihrem
       Buch „Gekränkte Freiheit“ (2022)].
       
       Zu welchem Ausmaß an Verrohung das führen kann, sieht man am Demokratischen
       Widerstand. Vom „Coronaregime“ wird darin geschrieben, von der „Kontinuität
       des Faschismus“, denn: „Angela Merkel schuf eine neue Form des
       Führerkults“. In Deutschland herrsche eine „Meinungsdiktatur“.
       
       Im Januar 2023 zeigt das Magazin die Grünen-PolitikerInnen Robert Habeck
       und Annalena Baerbock mit Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) und
       schreibt: „Kriegstreiber, Lügnerinnen, Spritzenmörder.“ In der gleichen
       Ausgabe behauptet Anselm Lenz – vor seiner Coronazeit hat er auch für die
       taz geschrieben – die Grünen hätten „den Injektionsgenozid gefördert“. Und
       sein Mitherausgeber Hendrik Sodenkamp? Der schrie bereits 2021 bei einer
       Kundgebung in Berlin ins Mikro, man dürfe die „beschissene Pandemielüge
       nicht mehr ernstnehmen“. Mit der werde ein „Gesellschaftsumbau gemacht“.
       Das sind sie, die Männer, bei denen sich der Münchner Professor Michael
       Meyen „sehr auf die Zusammenarbeit“ freut.
       
       6 Apr 2023
       
       ## LINKS
       
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