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       # taz.de -- Friedensbewegung und Ostermärsche: Kein Frieden in der Bewegung
       
       > Die Friedensbewegung ist gespalten: Wie scharf soll man die russische
       > Aggression verurteilen? Und wie soll man mit Querdenkern und Rechten
       > umgehen?
       
   IMG Bild: Auf Friedenssymbole gibt es kein Copyright. Jeder kann sie nutzen. Hier beim Ostermarsch 2022
       
       Kann es gute Nachrichten geben in so einer Zeit, mit Hunderttausenden
       Toten, keinem Ende des Kriegs in der Ukraine in Sicht und Atomraketen, die
       neu aufgestellt werden? Vielleicht diese hier: „Als neulich beide Seiten
       sagten: Wir haben keine Munition mehr. Das war die einzige gute Nachricht“,
       sagt Kristian Golla.
       
       60 Jahre ist Golla alt. 42 dieser Jahre verbrachte er in der
       Friedensbewegung, seit über 30 Jahren ist er Geschäftsführer des
       [1][Netzwerks Friedenskooperative], dessen Jahr gewissermaßen von
       Ostermarsch zu Ostermarsch verläuft. Diese vorzubereiten, ist Gollas
       Aufgabe.
       
       Das Büro des Friedens-Dachverbands liegt in einem Wohnbezirk von Bonn.
       Golla, schwarzes Sakko, schwarze Mütze, zeigt alte Fotos: Bonner Hofgarten,
       die berühmten Demos mit Hunderttausenden. Damals gab es keinen heißen
       Krieg, nur einen kalten, aber die Friedensbewegung prägte eine ganze
       Generation. Jetzt, da die Kriegsangst zurück ist, sind auch die
       Ostermärsche wieder für Menschen interessant, die sie schon fast vergessen
       hatten.
       
       „Als wir mit unserer Anzeige in der taz für den Ostermarsch Reklame gemacht
       hatten, da gab es so viele Rückmeldungen wie noch nie“, sagt Golla. „Was
       wollt ihr denn in dieser Kriegstreiberzeitung?, haben die Leute zwar per
       Mail gefragt. Aber gleichzeitig haben sich so viele Unterzeichnende
       gemeldet wie noch nie.“
       
       Vieles, was die Friedensbewegung seit jeher zu verhindern versuchte, ist
       durch Putins Angriffskrieg eingetreten: Krieg in Europa, mehr
       Rüstungsexporte, mehr Geld für die Bundeswehr. Und die Gefahr, dass alles
       noch schlimmer wird, ist groß. „Die Menschen treibt die Frage um: Was ist
       die richtige Reaktion?“, sagt Golla.
       
       Seine Antwort steht in dem Aufruf, den das Netzwerk zum Ostermarsch
       geschrieben hat. „Von Russland fordern wir das Ende des Krieges gegen die
       Ukraine“, steht darin. Das klingt selbstverständlich, bloß sucht man diesen
       Satz in anderen Friedensmanifesten bekanntlich oft vergebens. Und auch in
       vielen der lokalen Ostermarsch-Aufrufe, etwa jenem aus Berlin, fehlt jede
       Erwähnung Russlands. Das ist eine der Bruchlinien, die sich heute durch die
       Friedensbewegung ziehen.
       
       „Immer mehr Waffenlieferungen schaffen keinen Frieden und werden die
       Spirale der Gewalt nicht durchbrechen“ – so hat Golla es im bundesweiten
       Aufruf formuliert. Die Argumentation werfe Probleme auf, räumt er ein: „Wer
       für Waffenlieferungen ist, macht sich moralisch-ethisch schuldig, weil
       damit Leute zu Tode kommen. Wer als Pazifist gegen Waffenlieferungen ist,
       macht sich schuldig durch Unterlassen, weil dann auch Menschen ums Leben
       kommen. Diese Widersprüchlichkeit muss ich aushalten.“
       
       Dass geflüchtete Ukrainer für Waffenlieferungen seien, sei legitim, findet
       Golla: „Die sagen: Wir sitzen im Warmen, und das Einzige, was wir tun
       können, ist für Waffenlieferungen zu sein. Nur so können sie ihre Heimat
       unterstützen.“ Die klassische Friedensbewegung aber müsse auf andere
       Lösungen drängen.
       
       Von Bundeskanzler Olaf Scholz fordert Gollas Netzwerk deshalb, „endlich
       wieder Friedensinitiativen“ zu starten. Denn da müsse mehr möglich sein,
       findet Golla. „Dass alle maximal pokern, gehört dazu. Aber die reden ja
       trotzdem. Wie sonst hätte es das Getreideabkommen geben können oder den
       Gefangenenaustausch?“ Und so müsse eben noch mehr geredet werden. Das sei
       die Botschaft, mit der die Friedensbewegung auf die Straße gehen werde.
       
       Seit 1960 gibt es die Ostermärsche, noch nie in dieser Zeit war ein großer
       Krieg so nah. Golla zeigt eine Karte auf einem riesigen Flatscreen an der
       Wand. So viele Punkte sind zu sehen, dass sie sich gegenseitig überlappen:
       alles geplante Kundgebungen an Ostern. Organisiert werden sie lokal. Die
       Friedensbewegung funktioniere „bottom-up“, sagt Golla. „Jede Gruppe hat
       eigene Schwerpunkte, und unser Job ist die bundesweite Klammer, das
       zusammenzuführen.“
       
       Diese Autonomie, ein Merkmal der politischen Kultur sozialer Bewegungen der
       alten Bundesrepublik, machte lange ihre Stärke aus. Heute ist sie
       gleichzeitig ihr Problem. Denn die Friedensbewegung stehe „aktuell so
       uneins da wie schon lange nicht mehr“, [2][schreibt die Junge Welt], die
       unverdächtig ist, die Bewegung spalten zu wollen.
       
       ## Angst vor „Querfront-Geschmuse“
       
       Die Friedensbewegung muss in diesen Wochen mit zwei Schwierigkeiten
       umgehen. Die erste: Die Standpunkte zum Ukrainekonflikt liegen unter jenen,
       die heute mit Friedenstauben und Pace-Fahnen auf die Straße gehen, teils
       meilenweit auseinander. [3][Strittig ist vor allem die Frage, wie viel
       Schuld Russland am Krieg trägt und wie viel der Westen.]
       
       Und die zweite Schwierigkeit: Selbst die AfD präsentiert sich heute als
       „Friedenspartei“. Dass die politischen Milieu-Übergänge der traditionell
       linken Friedensbewegung heute fließend geworden sind, zeigte sich unter
       anderem daran, wer alles auf [4][das „Manifest für den Frieden“ von Alice
       Schwarzer und Sahra Wagenknecht] ansprang.
       
       Wo also die Grenze ziehen?
       
       Andrea-Cora Walther findet, dass die Abgrenzung nicht deutlich genug ist.
       Wann sie den Ostermarsch das letzte Mal ausgelassen hat, weiß die
       friedensbewegte Oberhausener Steuerberaterin nicht mehr. Der Marsch steht
       jedes Jahr fest in ihrem Kalender. Doch ausgerechnet dieses Mal wird sie
       nicht hingehen. „Mir blutet ja auch das Herz“, sagt sie. Doch sie fürchtet
       „Querfront-Geschmuse“ und „rechte Mitläufer“.
       
       Auf den Vorbereitungstreffen in den Oberhausener Ortsgruppen habe sie dies
       zum Thema gemacht, aber nur gehört: „Wir können uns doch nicht die
       Mobilisierung auf der Straße von den Querschwurbelnden nehmen lassen.“ Bei
       manchen gelte „Augen zu und durch“, sagt Walther. Andere „stimmen mit den
       Füßen ab, indem sie nicht an den Aktionen teilnehmen“. So wie sie.
       
       [5][Der Politologe Thorsten Gromes von der Hessischen Stiftung Friedens-
       und Konfliktforschung] hat die Aufrufe zu Ostermärschen ausgewertet, die
       das Netzwerk Friedenskooperative Anfang April auf seiner Website aufführte.
       Von 48 Aufrufen forderten nur acht einen Rückzug Russlands aus der Ukraine.
       Viele relativierten dagegen die russische Schuld am Blutvergießen.
       
       Einige langjährige Ostermarsch-Demonstranten stören sich deshalb an einer
       „schleichenden Täter-Opfer-Umkehr“. Die Ukraine werde von Teilen der
       Friedensbewegung zunehmend als eigentliche Gefahr für den Frieden gesehen,
       weil sie Russland keine Zugeständnisse machen wolle. Um einen Atomkrieg zu
       verhindern, solle das angegriffene Land Russland Gebiete abtreten.
       
       Nicht wenige stört auch, dass Querdenkergruppen wie die Partei Die Basis
       oder die Freien Linken bei den Märschen dabei sind. In Hamburg und Fulda
       zog der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) deshalb seine Unterstützung für
       den Ostermarsch erstmals zurück, in Hamburg, Berlin, Potsdam und Magdeburg
       auch Die Linke. „Klare Kante“, lobte der linke thüringische
       Ministerpräsident Bodo Ramelow.
       
       Kristian Golla weiß das alles – und versucht dagegenzuhalten. „Was wir tun
       können, ist zu formulieren, dass diese Leute definitiv nicht eingeladen
       sind“, sagt er. Es seien Trittbrettfahrer, die andere Ziele verfolgten.
       „Coronaleugner wollen ihre Verschwörungsideologie verbreiten und suchen
       dafür Mitstreiter. Denen geht es nicht um Frieden.“ Genauso die AfD: Die
       wolle eine „starke Bundeswehr aus nationalistischen Gründen“. Die
       Friedensbewegung aber sei „klar internationalistisch, für Ausgleich, für
       Minderheitenschutz. Das ist das Gegenteil der AfD.“
       
       Parteien wie Die Basis oder Team Todenhöfer seien „rechts offen, da sagen
       viele Gruppen: Mit denen kann man nicht zusammenarbeiten“, sagt Golla. Die
       Grenze verlaufe bei „Coronaleugnern, Faschismus, wenn es menschenverachtend
       wird“.
       
       Golla verweist auf einen in diesem Jahr erstmals verfassten Hinweis unter
       einigen Aufrufen: „Wir distanzieren uns ausdrücklich von jeglicher Form von
       Rassismus, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit, Sexismus und
       LGBTQ-Feindlichkeit“, heißt es darin.
       
       Augenfällig wurde die politische Spreizung zuletzt in Nordrhein-Westfalen.
       Obwohl es in dem Bundesland etliche jahrzehntealte Friedensgruppen gibt,
       bildete sich dort im Februar ein Friedensbündnis NRW neu. Auf seinem
       Telegram-Kanal ist die Rede von einem „neuen und großen Teil der
       Friedensbewegung“, der „aus der Grundrechtebewegung gegen die
       regierungsoffiziellen und höchst profitträchtigen Corona-Maßnahmen
       hervorgegangen“ sei. Klarer kann man nicht sagen, dass man seine Wurzeln
       bei den Querdenkern hat. Die „hauptamtlichen Ostermarschorganisatoren“
       werden als „NATO-fromm“ kritisiert. Antifa-Recherchegruppen sprechen von
       „weit nach rechts offenen Strukturen“ – mit Blick auf Teile des Bündnisses
       wie etwa die Düsseldorfer Außerparlamentarische Opposition (APO) oder
       „Oberberg bewegt sich“.
       
       Als am 3. April in Sankt Petersburg der bekannte russische
       Kriegspropagandist Maxim Fomin durch einen Bombenanschlag getötet wurde,
       schrieb die APO auf Telegram, sie drücke „den Familien und Freunden des bei
       diesem hinterhältigen Terroranschlag verstorbenen Korrespondenten unser
       Beileid aus“. Der Kreml selbst hätte es wohl nicht anders formuliert. Auf
       dem Telegram-Kanal von „Oberberg bewegt sich“ wird Robert Habeck als
       „Auftragskiller zur Zerstörung deutscher Industrie“ bezeichnet, der
       Holocaust als Lüge, die Pandemie als Märchen. Videos über den angeblichen
       „Great Reset“ – den wichtigsten Verschwörungsmythos der extremen Rechten –
       teilt die Gruppe munter.
       
       Aus solchen Akteuren also besteht das Friedensbündnis NRW. Am 25. März
       organisierte es in Düsseldorf eine Kundgebung unter dem Motto „Diplomaten
       statt Granaten! Verhandeln jetzt!“. Hauptredner war das Ex-Linke-MdB
       Diether Dehm, aufgerufen hatte unter anderem die Querdenkerpartei Die
       Basis. Am Rande protestierten Antifas. Weil die Polizei sie nicht so
       vertrieb, wie die Friedensfreunde sich das vorstellten, sprachen diese
       hinterher von einer „anhaltenden Instrumentalisierung staatlicher
       Exekutivorgane für Repressalien gegen eine unerwünschte regierungskritische
       Opposition“ – gemeint waren sie selbst. Die Polizei sei ein „Handlanger der
       Antifa“. Rechtsextreme reden genauso.
       
       Der Rechtsanwalt Jürgen Schütte ist Mitgründer des Friedensbündnisses NRW.
       Vorwürfe gegen Gruppen wie „Oberberg bewegt sich“ kenne er nicht und habe
       sie auch „in der praktischen Umsetzung unserer Arbeit nie erlebt“, sagt er
       der taz. Das Bündnis distanziere sich von Rassismus, Antisemitismus und
       Nationalismus, sei davon aber „absolut nicht betroffen“. Würde man bei
       Teilnehmern solche Haltungen feststellen, würden diese sofort
       ausgeschlossen.
       
       Doch das nehmen dem Bündnis nicht alle ab. Die traditionsreiche Deutsche
       Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) NRW
       nannte die Entwicklung – offenkundig mit Blick auf Schüttes neues Bündnis –
       „bedenklich“. Die Zusammenarbeit mit ihren Gruppen sei abzulehnen, so die
       DFG-VK in einem Rundschreiben: „Wir fragen, warum diese Kräfte eigene
       Strukturen aufbauen, anstatt bei den seit Jahren bestehenden
       Friedensgruppen vor Ort mitzuarbeiten.“ Offenbar werde bewusst die Nähe zu
       sogenannten Querdenkern und „noch weiter rechts stehenden Gruppierungen
       gesucht oder zumindest nicht ausgeschlossen“.
       
       Der Leipziger Bewegungsforscher Andreas Leistner sieht im Kontext des
       Ukrainekriegs drei Muster der Mobilisierung: Für die klassische
       Friedensbewegung stehe unter dem Motto „Die Waffen nieder“ der
       Gewaltverzicht im Vordergrund. Für die „Stand with Ukraine“-Mobilisierungen
       sei Solidarität mit den Angegriffenen das Wichtigste. Und schließlich gebe
       es die „Frieden mit Russland“-Kundgebungen der extremen Rechten und der
       rechtsoffenen Teile der Friedensbewegung.
       
       ## Minderheit mit Russlandfahnen
       
       Diese sind weiterhin eine Minderheit, keine Frage. Aber was tun, wenn sie
       mit Russlandfahnen bei der Friedensdemo anrückt? „Wenn die lokalen
       Veranstalter Hilfe brauchen, gebe ich denen eine Antwort,“ sagt Golla. Aber
       letztlich müssten diese in regionaler Verantwortung entscheiden. „Sonst
       funktioniert das nicht.“ Auf das Friedenssymbol gebe es „kein Copyright,
       Frieden ist keine geschützte Bezeichnung“. Die [6][Ökumenische
       Friedensdekade] habe ihr „Schwerter zu Pflugscharen“-Signet als Marke
       eintragen lassen, um eine Instrumentalisierung zu verhindern. „Mit
       der Friedenstaube und der Pace-Fahne kann ich das nicht machen.“
       
       Was also bleibt? „Mit unserem Aufruf wollen wir Vereinnahmung erschweren“,
       sagt Golla. „Natürlich können AfD-Leute kackfrech sagen: Das unterschreib
       ich auch. Aber ich glaube, die meisten würden sich das gut überlegen.“ Ein
       Problem sei, dass es Leute gebe, „die vielleicht anfangen zu glauben, dass
       die AfD, weil sie ja für Russland ist, doch eine Friedenspartei sei. Da ist
       einiges ins Rutschen gekommen“, räumt Golla ein. Das Manifest von Sahra
       Wagenknecht und Alice Schwarzer habe „eine Art Graufeld“ geschaffen. Dass
       dort so viele unterschrieben haben, liege auch daran, dass sie „das Gefühl
       haben, die Friedensbewegung kommt nicht vor in der veröffentlichten
       Meinung“. Schwarzer und Wagenknecht hingegen gelinge das: „Die Leute
       denken: Die schaffen das, die dringen durch.“
       
       Golla ärgert, dass Schwarzer auf der Kundgebung im Februar in Berlin
       behauptete, es habe vorher nichts gegeben. Von wegen, sagt Golla. Er zeigt
       auf seiner Website die Terminübersicht des Netzwerks: Über 1.400
       Veranstaltungen mit dem Schlagwort Ukraine gab es in den vergangenen 18
       Monaten.
       
       Wohin manche Teile der Friedensbewegung driften, war aber schon vor
       Russlands großflächigem Überfall absehbar. 2021 erschien der „[7][Neue
       Krefelder Appell]“ – ein Manifest, das an die millionenfach unterzeichnete
       Erklärung gegen den Nato-Doppelbeschluss von 1981 anzuknüpfen vorgab. In
       der Neuauflage war von „immer aggressiver werdenden gegen Russland und
       China gerichteten Manövern“ zu lesen. Und davon, dass die „Machthaber
       dieser Welt“ Kriege auch an „neuen, andersartigen Fronten“ führten. So sei
       die „ ‚Impf‘-Kampagne eine große Gefahr für Milliarden von Menschen“.
       Dahinter stehe – Überraschung! – „die Strategie des ‚Great Reset‘ (…), mit
       dem der Kapitalismus über einen gezielten Zusammenbruch (…) auf eine noch
       perversere Stufe gehoben werden soll“.
       
       Unterschrieben haben das rund 6.000 Menschen, darunter der Theologe Eugen
       Drewermann, der AfD-Bundespräsidentschaftskandidat Max Otte und der
       Demokratischer-Widerstand-Gründer Anselm Lenz. Mehr Querfrontsprache und
       Unterstützerschaft sind nur schwer vorstellbar.
       
       Verantwortlich für den Appell sind Anneliese Fikentscher und Andreas
       Neumann von der Gruppe Arbeiterfotografie aus Köln, die sich selbst dem
       Friedensbündnis NRW zurechnen. Fragen der taz möchten sie nur schriftlich
       beantworten. Den Begriff Querfront nennen sie ein „strategisches
       Instrument zur Zerschlagung einer kraftvollen, breiten
       Friedensbewegung“. Wer auf der Seite des Friedens stehe, sei „uns
       willkommen, auch wenn wir in anderen Fragen nicht einer Meinung sind“.
       Führende Grüne seien allerdings als Bündnispartner ausgeschlossen: „Ihre
       Befeuerung von Krieg erfüllt ganz eindeutig ein entscheidendes Kriterium
       von Rechtsextremismus.“
       
       Von Sahra Wagenknechts und Alice Schwarzers „Manifest für Frieden“ sind sie
       nicht angetan. Der darin enthaltene Satz: „Die von Russland brutal
       überfallene ukrainische Bevölkerung braucht unsere Solidarität“, sei
       Nato-Propaganda. Große Teile der Friedensbewegung würden immer wieder das
       Vorgehen Russlands verurteilen, ohne das in der UN-Charta verbriefte „Recht
       auf kollektive Selbstverteidigung, das Russland und die Donbas-Republiken
       für sich in Anspruch nehmen, in Betracht zu ziehen“. Es gebe die Tendenz,
       den Konflikt am 24. Februar 2022 beginnen zu lassen, schreiben die beiden.
       Tatsächlich habe der Konflikt „mit dem US-lancierten Putsch in der Ukraine
       2014“ begonnen, der „daraus entstandene Krieg in der Ost-Ukraine“ werde
       ignoriert, ebenso „das Vordringen der NATO bis an die Grenzen Russlands“.
       Kurzum: Am Krieg sei der Westen ist schuld. Dem Netzwerk
       Friedenskooperative raten die beiden, „sich der ‚neuen‘, aus der
       Grundrechte- und Demokratie-Bewegung hervorgegangenen Friedensbewegung
       nicht zu verschließen“.
       
       Die Gruppe um Neumann und Fikentscher hatte im Februar auch an einer
       Konferenz in Bremen teilgenommen, auf der die „unterschiedlichen
       Einschätzungen des Ukraine-Krieges in der Bewegung“ diskutiert werden
       sollten, so schrieben es die Organisatoren um das Bremer Friedensforum.
       „Der russische Einmarsch wird in der Friedensbewegung verurteilt“, sagt
       dessen Sprecher Ekkehard Lentz der taz. „Aber die Betonungen sind
       unterschiedlich nuanciert. Ich verweise natürlich auch auf die
       Vorgeschichte dieses Kriegs, ohne daraus aber eine Rechtfertigung
       abzuleiten.“
       
       Gleichwohl musste die Konferenz in eine Kirche verlegt werden, weil der DGB
       die Erlaubnis zur Nutzung seiner Räume zurückgezogen hatte. „Wir haben
       immer großen Wert auf die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften gelegt.
       Aber es ist ja kein Geheimnis, dass die Führung des DGB den Kurs der
       Bundesregierung unterstützt, was wir bedauern“, sagt Lentz.
       
       Vergangenen Montag verschickte Lentz’ Gruppe eine Mitteilung und zitierte
       darin die Wagenknecht-Vertraute und linke Bundestagsabgeordnete Sevim
       Dağdelen: „Selbstbewusste Linke“ sollten „aufhören, ständig aufzuzählen,
       wer alles nicht zu einer Antikriegskundgebung kommen darf, und in übler
       Verfassungsschutzmanier einen Gesinnungs-TÜV zu veranstalten“.
       
       Und so ist vor dem Osterfest wenig Frieden in der Bewegung zu erkennen. Mit
       einer Reihe Linke-Politikern und Bewegungsgrößen hat Lentz gerade ein
       Positionspapier veröffentlicht. Die Friedensbewegung, heißt es da, werde
       seit jeher „von den Kriegstreibern und Militaristen politisch verfolgt,
       diffamiert als Vaterlandsverräter, als ferngesteuert“. So sei auch die
       aktuelle „Diffamierung als ‚rechtsoffen‘ (darunter auch ‚Querdenker‘ oder
       ‚Antisemiten‘)“ zu verstehen. „Wir suchen bewusst die Zusammenarbeit mit
       Kräften, die sich der Friedensfrage ‚neu‘ annähern“. Und: „Wir wenden uns
       entschieden gegen eine ‚Abgrenzeritis‘ “, schließt der Text.
       
       Klare Linie gegen rechts und Russlandfans oder Warnungen vor
       „Abgrenzeritis“ – das ist der Riss, der 2023 durch die Friedensbewegung
       geht.
       
       Vielleicht, sagt Kristian Golla, sei das auch ein Generationenkonflikt.
       „Die Jungen in der Friedensbewegung wollen sich stärker abgrenzen. Wenn es
       welche gibt, die sagen: Wir müssen zusammenstehen, sind das eher ältere
       Leute.“ Er sieht sich gedanklich aufseiten der Jungen. So sei es nach 30
       Jahren wohl sein Job, den „Kampf um die Köpfe der Leute“ zu führen, sagt
       er. „Diesen Kampf geben wir nicht auf.“
       
       7 Apr 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.friedenskooperative.de/
   DIR [2] https://www.jungewelt.de/artikel/448016.friedensbewegung-die-waffen-nieder.html
   DIR [3] /Friedensdemo-2023/!5923173
   DIR [4] /Wagenknecht-und-die-Rechten/!5915376
   DIR [5] https://blog.prif.org/2023/04/05/die-ostermaersche-2023-und-der-ueberfall-auf-die-ukraine-nur-wenige-aufrufe-fordern-russlands-rueckzug/
   DIR [6] https://www.friedensdekade.de/
   DIR [7] https://peaceappeal21.de/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Jakob
       
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