URI: 
       # taz.de -- Arbeitsbedingungen an Unis: Geht’s Hanna im Ausland besser?
       
       > In Deutschland wird seit der Debatte #IchBinHanna über
       > WissenschaftlerInnen-Jobs diskutiert. Wie sieht es in Dänemark,
       > Großbritannien und Spanien aus?
       
   IMG Bild: Einfach nach Cambridge abwandern? Davon träumen Akademiker:innen hierzulande
       
       London/Berlin/Madrid/Stockholm taz | Hopp oder top. Weil deutsche Unis
       ihren WissenschaftlerInnen [1][kaum Perspektiven und Dauerstellen]
       bieten, stellen sich viele irgendwann die Frage: Soll ich mich weiter von
       Kurzzeitvertrag zu Kurzzeitvertrag hangeln? In der Hoffnung, mit Mitte 40
       vielleicht eine der wenigen Professuren zu ergattern? Oder ziehe ich vorher
       die Reißleine und mache ganz was anderes?
       
       Unter dem Hashtag #HannaGehtInsAusland, der seit März auf Twitter kursiert,
       berichten Forschende von einer dritten Möglichkeit: Deutschland den Rücken
       kehren und woanders weiterforschen. „Reichlich unbefristete (!) Stellen in
       England ausgeschrieben, im selben Zeitraum nur eine einzige (auf drei Jahre
       befristete) in Deutschland. Das muss man sich nicht zweimal überlegen“,
       schreibt eine, die nach ihrer Dissertation lieber an einer englischen Uni
       weiterforscht. Eine Wissenschaftlerin, die nach Österreich gewechselt ist,
       begründet ihren Schritt so: „Klare Zielvereinbarung, Tenure Track,
       Department-Struktur.“ Also Transparenz, Aussicht auf Entfristung, mehr
       Unabhängigkeit vom Prof. All das, w[2][as an deutschen Unis oft fehlt.]
       
       Rund 85 Prozent des akademischen Mittelbaus an deutschen Hochschulen sitzt
       auf befristeten Stellen. Die Ampelregierung hat versprochen, die
       Befristungsregeln zu überarbeiten. Aktuell dürfen die Unis Personen für
       insgesamt zwölf Jahre befristet anstellen – 6 Jahre vor und 6 Jahre nach
       der Promotion. Doch ein Grundproblem kann auch die geplante Reform nicht
       beheben: Neben den gut 50.000 Professuren gibt es kaum unbefristete Stellen
       für Forschende. Selbst Profs, die es „geschafft“ haben, sprechen von einem
       Lotteriespiel.
       
       „Es ist diese Politik, die viele von uns ins Ausland getrieben hat und die
       für uns mit unseren Expertisen eine Rückkehr unter den aktuellen
       Bedingungen äußerst unwahrscheinlich macht“, schreiben die Initiatoren von
       #HannaGehtInsAusland. Doch wie lukrativ sind die Arbeitsbedingungen in
       anderen Ländern wirklich?
       
       ## Dänemark
       
       Das Land wird häufig genannt, wenn man mit deutschen
       Wissenschaftler:innen über gute Arbeitsbedingungen spricht. Der
       Kommunikationswissenschaftler Manuel Menke kann das aus eigener Erfahrung
       bestätigen. 2020 ist er auf eine Assistenzprofessur der Uni Kopenhagen
       gewechselt, auch wegen der prekären Arbeitsbedingungen in Deutschland. Zum
       ersten Mal in seinem akademischen Leben habe er das Gefühl gehabt, mehrere
       Jahre im Voraus planen und ein Familienleben aufbauen zu können, berichtet
       Menke in der Mitgliederzeitschrift der dänischen Akademikergewerkschaft
       Dansk Magisterforening. Und dies, obwohl Dänemark gerade nicht die eine
       Garantie biete: „wirst du Professor, hast du eine lebenslange Garantie auf
       eine unkündbare Festanstellung“.
       
       Staatsangestellte in Dänemark haben nämlich keinen dem deutschen
       Beamtenstatus vergleichbaren strengen Kündigungsschutz. Aber mit dieser
       „mangelnden Arbeitsplatzsicherheit lasse sich leben, denn das System in
       Dänemark ist in vielen anderen Bereichen viel besser als in Deutschland“,
       meint Menke: Vor allem im Vergleich zum „unmenschlichen Druck“, dem junge
       Forscher:innen in Deutschland ausgesetzt seien. In Dänemark gebe es
       nicht so ein hierarchisches System und die Abhängigkeit von einem
       Professor, „mit der Gefahr des Machtmissbrauchs“.
       
       Befristete Anstellungen, Kettenverträge, fehlende Zukunftsperspektiven gibt
       es allerdings auch in Dänemark. Im Zeitraum 1999–2008 konnten
       durchschnittlich zwei von drei Postdocs – Wissenschaftler:innen, die ihre
       Promotion abgeschlossen haben – damit rechnen, nach sechs Jahren eine feste
       Anstellung an der Universität zu haben. In der darauf folgenden
       Zehnjahresperiode war es nur noch jeder Dritte. Dafür hat man den Begriff
       des „Postdoc-sumpen“, des Postdoc-Sumpfs geprägt.
       
       Nach den gesetzlichen Vorschriften dürfen befristete
       Anstellungsverhältnisse im Lehr- und Forschungsbereich eigentlich nicht
       mehr als zweimal verlängert werden. Wie es in der Praxis aussehen kann,
       illustriert eine 2018 vom Obersten dänischen Gerichtshof entschiedene Klage
       von vier ehemaligen Angestellten gegen die Universität Roskilde. Deren
       Verträge waren in einem Zeitraum von 10 bis 14 Jahren zwischen 7 und 11 Mal
       verlängert worden. Die Uni veränderte einfach jeweils die
       Stellenbeschreibung, auch wenn die tatsächlichen Arbeitsaufgaben die
       gleichen geblieben waren.
       
       Zwar heißt es in der Verordnung zum wissenschaftlichen Personal an
       Hochschulen ausdrücklich, eine „Stelle als Lektor/Seniorforscher wird in
       der Regel unbefristet besetzt“. Dennoch sind ein Viertel derer, die es bis
       dahin geschafft und einen Lehrauftrag erhalten haben, derzeit befristet
       angestellt. Man missbrauche eine Ausnahmeregelung, die eigentlich nur für
       ausländische Gastprofessuren oder in Verbindung mit speziellen
       Forschungsprojekten gedacht war, kritisiert Jens Vraa-Jensen von Dansk
       Magisterforening. Nach deren Statistik wird rund die Hälfte der Forschung
       und Lehre an dänischen Universitäten von nicht festangestelltem Personal
       geleistet.
       
       Dänemarks Rat für Forschungs- und Innovationspolitik empfiehlt mehr so
       genannte Tenure-Track-Programme – also Stellen mit Aussicht auf
       Entfristung. Und zweitens eine Berufsorientierung junger Forscher:innen,
       die stärker auf die Beschäftigung in der Wirtschaft ausgelegt ist.
       
       ## Großbritannien
       
       Im Vergleich zu Deutschland liegt die Quote der festangestellten
       Wissenschaftler:innen auf der Insel ziemlich hoch: bei
       Forscher:innen haben 32 Prozent eine unbefristete Stelle, bei
       Dozent:innen sogar 66 Prozent. Doch auch an britischen Unis herrschen
       zum Teil prekäre Arbeitsbedingungen, kritisiert die Gewerkschaft University
       and College Union (UCU). Zwischen 2009 und 2022 seien die realen Gehälter
       um 25 Prozent gesunken, zwei Drittel der Beschäftigten wollen nach einer
       UCU-Umfrage die Wissenschaft in den kommenden fünf Jahren verlassen.
       Besonders groß ist die Unzufriedenheit unter Doktorand:innen. Vier von fünf
       wollen den Beruf wechseln, wenn sich nicht Gehalt und Arbeitsbedingungen
       verbessern.
       
       Vor allem zu Beginn der Karriere gebe es oft nur befristete Verträge, sagt
       ein Sprecher der Gewerkschaft. Teils erhielten Forschende nur sogenannte
       zero hours contracts, Nullstundenverträge, bei denen Angestellte nur bei
       Bedarf der Uni Arbeit erhalten. Andere werden stündlich bezahlt. Die
       Vertragsbedingungen würden zwar regelmäßig zwischen den
       Universitätsvertretungen und der UCU verhandelt.
       
       Trotzdem bedeute das nicht, dass sich Unis an diese Vereinbarungen hielten,
       so der Sprecher. Vor allem Frauen und Schwarze Angestellte seien von
       schlechter Bezahlung betroffen. Auch die größten und reichsten britischen
       Universitäten, darunter Cambridge University, London School of Economics
       (LSE), und Oxford University, würden starken Gebrauch von befristeten
       Verträgen machen.
       
       Der Grund liegt in der Hochschulfinanzierung. Ein Großteil der Einnahmen
       der Unis kommen von den Studiengebühren. Immatrikulieren sich in einem Jahr
       viele Student:innen, erhält die Uni mehr Gelder und kann auch mehr
       Mitarbeiter:innen einstellen. Schreiben sich weniger ein, braucht sie
       nicht alle Dozent:innen. Kürzere Verträge erlauben hier also Flexibilität.
       Innerhalb der nächsten 25 Jahre rechnet die UCU mit einem Rückgang der
       wissenschaftlichen Arbeitsplätze um etwa 25 Prozent. Laut der Gewerkschaft
       wandern viele britische Wissenschaftler:innen in die USA, nach Kanada
       oder Australien ab, weil dort die Verdienste höher seien.
       
       ## Spanien
       
       Die spanische Linksregierung hat viel versprochen, um die
       Arbeitsbedingungen an Unis zu verbessern. Mehr Geld für die Universitäten,
       mehr Dauerstellen für Wissenschaftler:innen und Dozent:innen. Doch wer
       sich an den Unis umschaut, muss feststellen, all das funktioniert nur
       bedingt.
       
       Aktuell haben zwar 50,8 Prozent der Professor:innen und Dozent:innen
       an Spaniens öffentlichen Hochschulen einen Festvertrag. Der Rest sind
       sogenannte „beigeordnete Lehrkräfte“. Diese Stelle wurde eigentlich ins
       Leben gerufen, um Menschen mit besonderen Erfahrungen und Kenntnissen in
       einem Fachgebiet für eine Nebentätigkeit an die Uni zu locken. Viele von
       ihnen sind Gymnasiallehrer:innen. Allerdings missbrauchen die Unis diese
       Teilzeitstellen. Denn auch junge Akademiker:innen erhalten so einen
       Vertrag. Sie verdienen deutlich unter 1.000 Euro im Monat, geben dafür
       Unterricht und forschen. In der Hoffnung, irgendwann einmal auf einen
       richtige Dozentenstelle zu rutschen. In den letzten Jahren hat sich diese
       Praxis gar verschärft. Vor sieben Jahren waren noch knapp 58 Prozent an den
       Unis festangestellt.
       
       Die Universitäten reagieren damit auf die Sparpolitik der
       Regionalregierungen, die ähnlich wie in Deutschland für Bildung zuständig
       sind. Spanien gibt derzeit nur 0,58 Prozent des BIP für die Forschung an
       öffentlichen Einrichtungen aus. Zusammen mit privaten Institutionen sind es
       1,6 Prozent. Zum Vergleich: Im EU-Schnitt 2,3 Prozent und in Deutschland
       gar 3,1 Prozent. Diesen Anteil will Spanien mithilfe des neuen Gesetzes
       2030 erreichen. Bis dahin werden wohl weiterhin viele junge
       Forscher:innen ihr Glück im Ausland suchen. Dort werden sie besser
       bezahlt und haben bessere Aufstiegschancen.
       
       Dank der jüngsten Universitätsreform werden jetzt 26.000 Dozent:innen
       landesweit festangestellt. Doch oft handelt es sich nur um einen
       Teilzeitvertrag. Selbst eine Festanstellung reicht mitunter nicht zum
       Leben.
       
       7 Apr 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Arbeitsbedingungen-an-Hochschulen/!5776892
   DIR [2] /Arbeitsbedingungen-in-der-Wissenschaft/!5776997
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ralf Pauli
   DIR Reinhard Wolff
   DIR Reiner Wandler
   DIR Daniel Zylbersztajn-Lewandowski
       
       ## TAGS
       
   DIR Deutsche Universitäten
   DIR Spanien
   DIR Großbritannien
   DIR Wissenschaft
   DIR GNS
   DIR Botanik
   DIR Studentische Hilfskräfte
   DIR Wissenschaft
   DIR Freie Universität Berlin
   DIR Deutsche Universitäten
   DIR Arbeitsbedingungen
   DIR Hochschule
   DIR Wissenschaft
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Buch über Arbeit in der Wissenschaft: Foltergeräte in Forschungslaboren
       
       Anne Christine Schmidt war lange Laborbotanikerin. In „Albtraum
       Wissenschaft“ schreibt sie über Ausbeutung und kriminelle Institutsleiter.
       
   DIR Studentisches Arbeiten an Berliner Unis: Der Vertrag lässt auf sich warten
       
       Die X-Tutorials der Berlin University Alliance können im Studium
       Erfahrungen in Forschung und Lehre sammeln. Die Arbeitsverträge kommen aber
       oft verspätet.
       
   DIR Arbeitsbedingungen an Unis: Klarheit nach sechs und vier Jahren
       
       Das Bundesbildungsministerium hat seine Pläne zur Reform des
       Wissenschaftszeitvertragsgesetzes überarbeitet. Kritik gibt es von SPD und
       Grünen.
       
   DIR Freie Universität Berlin: Wir waren mal so frei!
       
       75 Jahre gibt es die Freie Universität Berlin, und viele
       Absolvent*innen haben den Weg in die taz gefunden. Wir blicken zurück –
       und nach vorn.
       
   DIR Freie Universität in Berlin: Der Gründungsmythos der FU
       
       Seit ihrer Gründung 1948 trat die FU avantgardistischer auf als viele
       andere Universitäten. Heute schmückt sie sich vor allem mit Exzellenz.
       
   DIR Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft: Angebot an Hanna
       
       Dauerstellen für alle sind nicht die Antwort auf prekäre Arbeitsbedingungen
       an Hochschulen. Besser wäre ein Lebenszeitangebot mit Haken.
       
   DIR Arbeitsbedingungen an Hochschulen: Sie wollen nicht mehr Hanna sein
       
       Die Arbeit an Unis ist prekär. Um das zu ändern, braucht es für alle
       qualifizierten Wissenschaftler:innen Aussicht auf eine unbefristete
       Stelle.
       
   DIR Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft: Wer ist Hanna?
       
       Unter dem Hashtag #IchbinHanna ist eine Debatte über prekäre
       Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft entbrannt. Drei Wissenschaftlerinnen
       erzählen.