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       # taz.de -- Syrer*innen in der Türkei: Angriff auf TV-Moderator
       
       > Nach einer Eskalation im TV-Studio nimmt die Polizei zwei syrische
       > Journalisten zeitweise fest. Die Stimmung gegen Geflüchtete in der Türkei
       > kippt.
       
   IMG Bild: Türkischer Studiogast Yilmaz geht auf syrischen Moderator Rihawi los
       
       Istanbul taz | Ein Gast randaliert in einem Fernsehstudio, doch nicht er,
       sondern der Moderator landet in Polizeihaft. Dieses Szenario ereignete sich
       vor einigen Tagen in Istanbul. Der kleine syrische TV-Kanal Orient News
       hatte den Politikwissenschaftler und ehemaligen Chef des arabischen
       Programms des türkischen Staatsrundfunks TRT, Oktay Yilmaz, zu einem
       Gespräch eingeladen.
       
       Doch das Gespräch lief aus dem Ruder: Als der Moderator Ahmad Rihawi die
       Polizeigewalt gegen Syrer*nnen an der Grenze zur Türkei zur Sprache
       bringt, wird Yilmaz wütend. Er findet es unverschämt, dass Rihawi die
       türkische Polizei und das türkische Militär beschuldigt, Syrer*innen an
       der Grenze getötet zu haben.
       
       Erregt widerspricht er dem Moderator, der daraufhin das Interview beenden
       will, doch Yilmaz ist nicht zu stoppen. Er beschimpft Rihawi als
       undankbaren miesen Syrer, der erst in die Türkei flüchtet und dann das Land
       kritisiert. Es kommt zu Tätlichkeiten, Yilmaz geht auf den Moderator zu,
       reißt ihm sein Skript aus den Händen und zerreißt es. Erst als zwei
       Security-Männer das Studio betreten, lässt er sich hinausführen.
       
       Doch es wird noch unschöner. Kurz darauf betritt die von Yilmaz informierte
       Polizei das Studio und nimmt den Moderator Rihawi und den Direktor des
       Senders, Alaat Turhat, fest. Beide werden erst zur Ausländerbehörde und
       dann zur Polizeistation gebracht. Der Vorwurf lautet, sie hätten den
       türkischen Staat beleidigt. Zwei Tage verbringen sie in Polizeihaft, bevor
       sie wieder auf freien Fuß gesetzt werden, nachdem ein Staatsanwalt sich
       gegen ein Strafverfahren entschieden hat.
       
       Christian Mihr, der deutsche Vorsitzende der Organisation Reporter ohne
       Grenzen, die den Vorfall [1][öffentlich gemacht] hat, sagt, die Festnahme
       der beiden Journalisten sei „pressefeindlich und rassistisch zugleich“.
       Reporter ohne Grenzen verweist darauf, dass kürzlich bereits zwei andere
       syrische Journalisten festgenommen wurden, von denen einer am Ende
       ausgewiesen wurde.
       
       ## Aggressive Stimmung gegen Syrer*innen
       
       Der Vorfall spiegelt zum einen die immer prekärer werdende Situation der
       syrischen Flüchtlinge in der Türkei wider, zum anderen aber auch die sich
       abkühlenden Beziehungen zwischen Präsident Recep Tayyip Erdoğan und seinen
       bisherigen syrischen Unterstützern der oppositionellen „Free Syrian Army“.
       Der Gruppierung steht der Sender Orient News, der in Dubai sitzt, nahe.
       
       Angesichts der [2][Wirtschaftskrise in der Türkei] ist die Stimmung gegen
       die große Zahl von fast vier Millionen syrischen Flüchtlingen immer
       negativer bis aggressiv geworden. Beide großen Parteienblöcke versprechen
       vor den [3][für Mai geplanten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen], sie
       würden dafür sorgen, dass die Flüchtlinge wieder zurückkehren müssen.
       
       Die Situation hat sich nach dem [4][Erdbeben Anfang Februar im Süden der
       Türkei] zugespitzt. Verzweifelte Türk*innen, die beim Beben alles verloren
       hatten, gingen in einigen Regionen entlang der syrischen Grenze auf
       Flüchtlinge los, die angeblich in den verlassenen Häusern plündern wollten.
       Auch kam es an der Grenze zu Tumulten, weil türkische Sicherheitskräfte
       keine Flüchtlinge mehr in die Türkei lassen. In diesem Zusammenhang soll es
       auch zu Schüssen gekommen sein.
       
       Angesichts der innenpolitischen Spannungen ist Erdoğan politisch bereit,
       seine bisherigen syrischen Verbündeten fallenzulassen. Wie in diversen
       arabischen Ländern wird auch in Ankara über eine [5][Normalisierung der
       Beziehungen zum Assad-Regime] nachgedacht. Vor allem auf Druck des
       russischen Präsidenten Putin, der einen neuerlichen Einmarsch türkischer
       Truppen in Nordsyrien verhindern will, scheint Erdoğan mittlerweile bereit,
       sich auch selbst mit Assad zu treffen. Bislang gab es in Moskau Treffen des
       türkischen Außen- und Verteidigungsministers mit ihren jeweiligen syrischen
       Amtskollegen.
       
       Angesichts dieser politischen Veränderungen scheint auch der syrische
       Oppositionssender Orient News in der Türkei nicht mehr so gern gesehen zu
       sein wie noch vor einigen Jahren.
       
       23 Mar 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.reporter-ohne-grenzen.de/pressemitteilungen/meldung/rassistischer-angriff-auf-syrischen-moderator
   DIR [2] /Wahlkampf-in-der-Tuerkei/!5906467
   DIR [3] /Wahlen-in-der-Tuerkei-2023/!t5908345
   DIR [4] /Nach-dem-Erdbeben-in-der-Tuerkei/!5912472
   DIR [5] /Wissenschaftler-ueber-Hilfe-nach-Erdbeben/!5912240
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jürgen Gottschlich
       
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