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       # taz.de -- Hochwasserkatastrophe im Ahrtal: Dreyer legt Fokus auf Wiederaufbau
       
       > Die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz sagt erneut im
       > Untersuchungsausschuss aus. Sie beharrt darauf: Das Flutausmaß war
       > unabsehbar.
       
   IMG Bild: CDU und AfD fordern ihren Rücktritt: Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD)
       
       Mainz taz | Zum zweiten Mal hat an diesem Freitag der
       Untersuchungsausschuss des rheinland-pfälzischen Landtags zur
       [1][Flutkatastrophe im Ahrtal] Ministerpräsidentin Malu Dreyer, SPD, als
       Zeugin geladen. Bei der ersten Vernehmung im April letzten Jahres waren vor
       ihr zwei weitere Mitglieder der Landesregierung dran. Damals war die
       Ministerpräsidentin erst am späten Abend an die Reihe gekommen.
       
       In langen Stunden hatten die Abgeordneten davor ihre damaligen
       KabinettskollegInnen in die Mangel genommen, mit erheblichen Folgen:
       [2][Die grüne Landesumweltministerin Anne Spiegel, zum Zeitpunkt ihrer
       Vernehmung schon Bundesfamilienministerin in Berlin], und [3][Innenminister
       Roger Lewentz, SPD, verloren ihre Ämter], weil sie Fehler in ihrem
       Verantwortungsbereich zugeben mussten. Jetzt zielt die Opposition auf die
       Chefin selbst.
       
       Warum hat sie in der der Katastrophennacht, in der im Ahrtal 135 Menschen
       ums Leben kamen, nicht persönlich die Regie übernommen? Hätten bei einem
       besser funktionierenden Katastrophenschutz Menschenleben gerettet werden
       können?
       
       Drei Stunden lang geht es in Variationen um diese Kernfrage. Und wie vor
       einem Jahr ist die Antwort der Ministerpräsidentin die gleiche: „Ich bin
       davon ausgegangen, dass dieses Hochwasser beherrschbar ist“, sagt sie. Und:
       „Ich hatte keinerlei Kenntnis davon, dass zum Teil örtliche Behörden nicht
       funktioniert haben und auch nicht davon, dass die Flutkatastrophe ein
       solches Ausmaß hat“.
       
       ## Dreyer beharrt auf die Unvorherrsehbarkeit
       
       Sie habe darauf vertraut, dass der in Rheinland-Pfalz in der Verantwortung
       der Landkreise und Städte organisierte Katastrophenschutz reibungslos
       klappe und die übergeordnete Landesbehörde, die Aufsichts- und
       Dienstleistungsdirektion, bei Bedarf eingreifen werde, wie beim
       „Jahrhunderthochwasser“ 2018, so Dreyers Mantra. „Ich bitte zur Kenntnis zu
       nehmen, dass mit diesem Ausmaß niemand gerechnet hat“.
       
       Das sehen die Abgeordneten der Opposition ganz anders. Sie halten der
       Ministerpräsidentin Zeugenaussagen führender Meteorologen und
       Wetterexperten vor. Diese hatten geäußert, dass bereits am Vortag der Flut
       ein Starkregenereignis mit enormen Wassermengen für Eifel und Ahr absehbar
       gewesen sei.
       
       [4][Doch Dreyer bleibt dabei: Die „Wucht und Zerstörung der Flutwelle“ an
       der Ahr habe niemand kommen sehen können.] Sie selbst war, wie ihre
       KollegInnen Lewentz und Spiegel, nachts in der Annahme schlafen gegangen,
       dass alles glatt ginge, auch der Informationsaustausch zwischen den
       Ministerien, die für die Beobachtung der Pegelstände (Umwelt) und den
       übergeordneten Katastrophenschutz (Innen) zuständig waren.
       
       ## Verantwortung im Wiederaufbau
       
       Bei seiner Arbeit hat der Untersuchungsausschusses allerdings erhebliche
       Mängel in den Entscheidungsabläufen und beim Informationsfluss zwischen den
       Verantwortlichen zu Tage gefördert. Die Umweltbehörde hatte schon früh eine
       Katastrophe enormen Ausmaßes prognostiziert. Diese Informationen und ein
       dramatischer Notruf aus der Verbandsgemeinde Altenahr landeten jedoch im
       Nirwana der Zuständigkeiten.
       
       Der Landrat des vor allem betroffenen Landkreises Bad Neuenahr-Ahrweiler
       hatte in der Flutnacht die Leitung des Katastrophenschutzes an einen
       Mitarbeiter delegiert, um derweil private Angelegenheiten zu regeln. Die
       Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn.
       
       Die Oppositionsparteien und Betroffene aus der Region fordern deshalb auch
       die Ministerpräsidentin auf, für die Mängel und Fehler Verantwortung zu
       übernehmen oder sich wenigstens dafür zu entschuldigen. „Das große Leid,
       die Zerstörung, das hat mich persönlich sehr mitgenommen“, sagt Dreyer dazu
       am Freitag und wendet sich erneut an die Betroffenen: „Ihr Schicksal tut
       mir unendlich leid. Ich kann das Leid nicht ungeschehen machen“.
       
       Sie sehe ihre Verantwortung aber darin, den [5][Wiederaufbau mit ganzer
       Kraft] voranzutreiben. Der Katastrophenschutz werde zudem neu aufgestellt,
       damit er besser auf Naturkatastrophen vorbereitet sei, die wegen des
       Klimawandels an Intensität und Häufigkeit zunähmen, so Dreyer.
       
       ## CDU und AfD fordern Dreyers Rücktritt
       
       Nach der Befragung der Ministerpräsidentin fordern die CDU indirekt und die
       AfD ausdrücklich ihren Rücktritt. „Wir sind schon ein Stück weit beschämt
       vom Auftritt der Ministerpräsidentin“, sagt CDU-Obmann Dirk Herber; sie
       trage die Verantwortung für das Handeln der Landesregierung und müsse
       deshalb auch persönlich Konsequenzen ziehen. Der AfD-Fraktionsvorsitzende
       Michael Fritsch geht weiter: „Frau Dreyer hat ebenso wie ihre Regierung in
       der Flutnacht versagt, sie muss zurücktreten“.
       
       Für die SPD weist ihr Obmann Nico Steinbach diese Forderungen zurück. Die
       Ministerpräsidentin habe plausibel belegt, dass sie in der Flutnacht nicht
       mit einer Katastrophe unbekannten Ausmaßes habe rechnen können, so der
       Sozialdemokrat; er habe bei der Befragung Dreyers zudem keine neuen
       Erkenntnisse gewinnen können.
       
       25 Mar 2023
       
       ## LINKS
       
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