URI: 
       # taz.de -- Anhaltende Proteste in Israel: Kommt die Regierungskrise?
       
       > Israels Verteidigungsminister spricht sich dafür aus, die Justizreform zu
       > stoppen, an der sich die Proteste entzünden. Regierungkollegen wittern
       > Verrat.
       
   IMG Bild: Gegen die Justizreform, gegen die neue rechte Regierung: Proteste in Tel Aviv am 25. März
       
       Tel Aviv taz | Die seit zwölf Wochen stattfindenden Massenproteste gegen
       die geplante Justizreform erreichten am Samstag mit mehr als einer halben
       Million Protestierenden landesweit einen vorläufigen Höhepunkt. Nach
       Abschluss der Demonstration blockierten Tausende Gegner*innen der Reform
       die Stadtautobahn Tel Avivs, die Polizei setzte Wasserwerfer ein, einige
       Demonstrant*innen wurden festgenommen.
       
       Zeitgleich dazu rief Verteidigungsminister Yoav Gallant in einer
       Fernsehansprache dazu auf, die geplante Justizreform auf Eis zu legen und
       Gespräche mit den Gegner*innen der Reform zu führen. Gallant, ein
       ehemaliger General der israelischen Armee und Likud-Parteikollege von
       Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, begründete seinen Schritt mit
       Sicherheitsrisiken für den Staat Israel.
       
       „Die Sicherheit Israels ist mein Lebensziel“, sagte er: „Die Bedrohungen um
       uns herum sind immens, von fern und nah“. In den vergangenen Wochen haben
       immer mehr Reserveoffiziere und – soldat*innen aus Protest gegen die
       geplante Reform ihren Dienst verweigert und hatten gedroht, ihren Dienst zu
       beenden, sollte die Gesetzgebung verabschiedet werden. Außerdem ist das
       Verhältnis zu den USA, die Israel mit massiven militärischen Hilfszahlungen
       unterstützen, denkbar unterkühlt, seitdem die neue rechte Regierung ihre
       Arbeit aufgenommen hat.
       
       In Sicherheitskreisen nimmt die Sorge zu, dass militante Gruppierungen wie
       die Terrorgruppe Hamas im Gazastreifen und der [1][libanesische Arm des
       Iran, die Hisbollah]-Miliz, sich die innenpolitische Krise für ihre Zwecke
       zu Nutze machen könnten. Ende Februar vermeldete die Internationale
       Atomenergieagentur außerdem, dass sie im Iran Partikel von fast
       [2][waffenfähig angereichertem Uran] gefunden habe.
       
       ## Teilerfolg: Gesetz aufgrund der Proteste abgeschwächt
       
       Im Interesse der Sicherheit Israels und „im Interesse unserer Söhne und
       Töchter“ solle der Gesetzgebungsprozess gestoppt werden, damit die
       israelische Nation das Pessachfest und den Unabhängigkeitstag gemeinsam
       begehen und am Holocaust-Gedenktag gemeinsam trauern könne, sagte Gallant
       in seiner Fernsehansprache. Er rief auch dazu auf, die Proteste wie die
       [3][Massendemonstrationen] am Samstagabend zu stoppen. Außerdem sollte jede
       Verweigerung des Dienstes sofort beendet werden, da sie die Stärke der
       israelischen Armee untergrabe und dem Verteidigungsapparat schade. 
       
       Die Regierung plant, einen Teil der Justizreform in der kommenden Woche zu
       verabschieden. Der Teil sei laut Regierung leicht abgeschwächt worden. Doch
       auch der aktuelle Gesetzesentwurf würde den bisherigen Prozess, mit dem
       Richter*innen ernannt werden, radikal verändern. Er würde es der
       Regierung faktisch ermöglichen, die Neubesetzung der nächsten zwei
       freiwerdenden Richter*innenposten des Obersten Gerichts zu bestimmen.
       Auch die Ernennung des Vorsitz des Obersten Gerichts läge in ihrer Hand.
       Für die danach freiwerdenden Posten wäre ein Konsens mit Opposition und
       Justiz notwendig.
       
       Auch die anderen Schritte der Justizreform sind weiterhin aktuell und
       wurden lediglich verschoben. Dazu gehört unter anderem die
       Überstimmungsklausel, mit der die Regierung Entscheidungen des Obersten
       Gerichts aushebeln können soll.
       
       Ob die Teilreform zur Ernennung von Richter*innen jedoch, wie geplant,
       in der kommenden Woche verabschiedet wird, ist nun fraglich. Wenige Minuten
       nach Gallants Ansprache unterstützten zwei weitere Likud Abgeordnete, Juli
       Edelstein und David Bitan, seinen Aufruf öffentlich. Ein weiterer Minister,
       Avi Dichter, hatte Netanjahu bereits zuvor privat dazu aufgefordert, die
       Reform vorerst zu stoppen. Die Regierung hat 64 der 120 Sitze inne, sollten
       diese vier tatsächlich mit Nein stimmen, könnten die Gesetzesvorhaben nicht
       verabschiedet werden.
       
       ## Regierung könnte an Justizreform zerbrechen
       
       Eine handfeste Regierungskrise ist nicht ausgeschlossen. Ein großer Teil
       der Regierungsmitglieder schäumte angesichts von Gallants Aufruf.
       Likud-Minister beschuldigten ihn, „unter dem Druck der Linken zu
       kapitulieren.“ Der Fraktionsvorsitzende des Likud, Ofir Katz, sagte, wer
       nicht für die Justizreform stimme, „hat seine Karriere im Likud beendet.“
       
       Der rechtsextreme Minister für Nationale Sicherheit [4][Itamar Ben Gvir]
       forderte Ministerpräsident Netanjahu unmittelbar nach Gallants Rede dazu
       auf, diesen zu feuern.
       
       Derweil erklärte die Protestbewegung die gesamte kommende Woche zur „Woche
       der Lähmung“ und kündigte an, an jedem Tag der kommenden Woche über über
       Demonstrationen abzuhalten und Autobahnen und Kreuzungen zu blockieren.
       
       26 Mar 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Wahlen-im-Libanon/!5852002
   DIR [2] /Iranisches-Atomprogramm/!5917116
   DIR [3] /Anhaltende-Proteste-in-Israel/!5915567
   DIR [4] /Zuspitzung-im-Nahost-Konflikt/!5917262
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Judith Poppe
       
       ## TAGS
       
   DIR Israel
   DIR Benjamin Netanjahu
   DIR Protest
   DIR   Itamar Ben-Gvir
   DIR Schwerpunkt Nahost-Konflikt
   DIR Schwerpunkt Nahost-Konflikt
   DIR Israel
   DIR Israel
   DIR Jerusalem
   DIR Israel
   DIR Benjamin Netanjahu
   DIR Siedlungen
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Rechtsextremer Minister Ben-Gvir: EU sagt Empfang in Israel ab
       
       Der israelische Minister Ben-Gvir wollte zu einem diplomatischen Empfang
       der EU. Die hat den nun abgesagt. Ein Delegationsmitglied twittert,
       weshalb.
       
   DIR Justizreform in Israel: Nach dem Taumel
       
       Netanjahu hat die Reform auf Eis gelegt. Zwischen seinen Anhänger*innen
       und Gegner*innen entwickelt sich jedoch ein neuer Nahostkonflikt.
       
   DIR Experte übers Militär in Israel: „Eine Volksarmee“
       
       Weil sie die Justizreform ablehnen, verweigern Tausende Reservisten in
       Israel den Dienst. Ein Experte sagt, warum das für die Regierung ein
       Alarmsignal ist.
       
   DIR Justizreform in Israel: Mit Energie für Demokratie
       
       Die israelische Regierung will die Justizreform um einige Wochen
       verschieben. Das ist vor allem den Massenprotesten zu verdanken.
       
   DIR Streit über Justizreform in Israel: Auf den Straßen und im Kabinett
       
       Netanjahu entlässt Verteidigungsminister Galant, der die Justizreform
       stoppen wollte. Zehntausende Menschen demonstrieren in der Nacht zu Montag
       in Tel Aviv.
       
   DIR Justizreform in Israel: Demokratie mit Lücken
       
       Die Kampagne der israelischen Rechten gegen den Obersten Gerichtshof begann
       lange vor der letzten Wahl. Ein Problem ist die fehlende Verfassung.
       
   DIR Justizreform in Israel: Ein Gesetz für Netanjahu persönlich
       
       Die erste Gesetzesänderung der umstrittenen Justizreform ist durchs
       Parlament. Es wird nun schwerer, einen Regierungschef für amtsunfähig zu
       erklären.
       
   DIR Netanjahus Besuch in Berlin: Wem gehört die Solidarität?
       
       Israels Protestbewegung gebührt Bewunderung. Sie setzt ein Zeichen für
       demokratische Werte in einem illiberalen Zeitalter.