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       # taz.de -- Politikprofessor über Bundesregierung: „Die Ampel ist stabil“
       
       > Trotz Streits funktioniert die Ampelkoalition, sagt Wolfgang Schroeder.
       > Die Grünen müssten jedoch noch lernen, wie eine alternde Gesellschaft
       > tickt.
       
       taz: Herr Schroeder, die Stimmung in der Bundesregierung ist nach
       eineinhalb Jahren mies. Hält die Ampel bis 2025? 
       
       Wolfgang Schroeder: Es spricht nichts dagegen.
       
       Ist die Gereiztheit zwischen FDP und Grünen, mit Putin-Vergleichen, nicht
       extrem? 
       
       Abgesehen von dem kurzen Honeymoon mit Selfies gab es diese Gereiztheit
       bereits recht früh. Die FDP verlor eine Landtagswahl nach der anderen, war
       entsprechend nervös und sah sich als Verliererin in der Ampelkoalition.
       Jetzt hat sich die Rollenverteilung zu Lasten der Grünen verändert, die
       sich nun in der Defensive sehen und nervös wirken. Das mag an der
       besonderen Dynamik einer Dreierkoalition liegen. Die produziert schnell 2:1
       Verhältnisse, in denen sich jene Partei als Verliererin fühlt, die im
       Machtspiel Alleine zu sein scheint. Das interne Streitniveau der Ampel ist
       aber nicht besonders hoch. Man erinnere sich an den erbitterten Kulturkampf
       zwischen CDU und CSU nach 2015.
       
       Die Grünen haben aber den Eindruck, beim Klimaschutz nun gegen FDP und
       Scholz kämpfen zu müssen. Zu Recht? 
       
       Die Grünen sind stark an Inhalten orientiert, Scholz und die SPD-Elite
       folgen eher einer Funktionslogik. Sie sorgen für die Machtbalance in der
       Koalition. Der grüne Wirtschaftsminister Habeck hat zwei Gesetzesvorhaben
       miserabel gemanagt, die zentral für die Energiewende sind: zuerst die
       Gasumlage und nun [1][das Heizungsgesetz]. Scholz und SPD hegen den
       Verdacht, dass die Semiprofessionalität der Grünen gefährlich für den
       Bestand der Koalition wird. Für Scholz ist entscheidend, dass das Projekt
       Ampel funktioniert.
       
       Ein früher Gesetzentwurf des Wirtschaftsministeriums zum Austausch fossiler
       Heizungen wurde an „Bild“ durchgestochen, die eine wuchtige Angstkampagne
       starteten. Lag der Fehler also bei Habeck? 
       
       Ja. Dass Gesetzentwürfe früh zum Schaden der Urheber kommuniziert werden,
       muss man einpreisen. Es war absehbar, dass alleine schon die Kommunikation
       darüber, dass fossile Heizungen ausgetauscht werden müssten, vielen den
       Angstschweiß auf die Stirn treiben würde. Vor allem Ältere haben das als
       existenzielle Bedrohung empfunden. Es war ein handwerklicher Fehler, diesen
       älteren Eigentümern nicht vorab zu signalisieren: Nur die Ruhe, es gibt
       Vorlaufzeiten und soziale Kompensationen.
       
       War Habeck nicht doch das Opfer einer Kampagne, so wie beim Veggieday und
       der Eigenheimdebatte? 
       
       Die Grünen haben die von den Boulevard-Medien geschürten Emotionen
       unterschätzt, was vermutlich auch damit zusammenhängt, dass sie die
       politische Dynamik in einer alternden Gesellschaft zu wenig verstehen. Und
       sie haben übersehen, dass sie der FDP als Korrektiv damit eine Steilvorlage
       geben und zu deren möglicher Neustärkung beigetragen.
       
       Denn auch viele SPD-Wähler hatten den Eindruck: Es war gut, dass die FDP an
       diesem Punkt auf die Bremse getreten ist und eine schnelle Änderung auf
       unsere Kosten verhindert hat. Die Grünen hatten in der Ampel bisher einen
       guten Lauf; vielleicht sogar etwas Prinzessinenhaftes. Das ist erstmal
       vorbei.
       
       Was können die Grünen aus dieser Niederlage lernen? 
       
       Sie müssen das Verhältnis zwischen notwendigen Veränderungen und Zumutungen
       auf der einen und den Überforderungsgefühlen auf der anderen Seite besser
       ausbalancieren. Vor allem den betroffenen Menschen muss früher und
       glaubwürdiger gezeigt werden, dass keine Überforderung droht.
       
       Und sie müssen in ihrer Kommunikation – und Politik generell – die Alterung
       der Gesellschaft viel stärker beachten. Sonst drohen Blockaden bei
       notwendigen politischen Reformen. Allerdings gilt auch: dass die Grünen nun
       als Verlierer dastehen, ist nur eine Momentaufnahme. Das große Verdienst
       der Grünen ist ja, dass sie die ambitionierte Klimapolitik der Ampel zum
       Laufen gebracht haben.
       
       SPD und Grünen konkurrieren um die Rolle, führende Kraft der linken Mitte
       zu sein. Ist auch das ein Grund für die angespannte Stimmung in der Ampel? 
       
       Das ist eine strukturelle Konkurrenz, die bleiben wird. Aber ich halte das
       für eine positive Herausforderung. Die Grünen sind treibender Akteur der
       Klimawende. Dagegen ist die SPD eher in der Lage, für eine angemessene
       Übersetzung zu sorgen. Sie ist in den unteren und mittleren Schichten
       besser verankert und hat ein besseres Gespür für die schwächeren Teile der
       Gesellschaft. Das kann ein nützlicher Wettbewerb mit einer produktiven,
       korrektiven Wirkung in beide Richtungen sein.
       
       Scholz Interesse ist es, die Grünen nicht zu groß und die FDP nicht zu
       klein werden zu lassen. Der Dämpfer für die Grünen scheint ihm nicht unlieb
       zu sein. 
       
       Scholz ist Zentrist, und versucht vom Zentrum aus, die jeweils schwächeren
       Teile der Koalition aufzuwerten. Das entspricht der Funktionslogik dieser
       Koalition. Der Kanzler muss ein elementares Interesse an der
       Handlungsfähigkeit der FDP haben, ohne die die Ampel nicht funktioniert.
       Die Ampel ist aber kein bloß zufälliges machtpolitisches Bündnis mit einer
       abstrakten funktionellen Logik, sondern ein durchaus repräsentatives Abbild
       der Gesellschaft. Und indem die drei Parteien mit ihren Korrektivfunktionen
       die Interessen der Gesamtgesellschaft widerspiegeln, müssen auch die
       gesellschaftlichen Reaktionen mitgedacht werden.
       
       Scholz ist, wie Merkel, blass in den Begründungen seiner Politik. Den
       Ampel-Kompromiss „sehr, sehr, sehr gut“ zu nennen wirkte unsouverän… 
       
       Dieser leichtfertige Superlativ sollte sein Bild als guter Hirte
       bekräftigen, der dafür sorgt, dass niemand zu sehr belastet wird und am
       Ende alles rund läuft.
       
       Scholz Hirten-Botschaft – Wandel ohne Zumutung – ist riskant. Denn wenn es
       doch Belastungen gibt, schwindet seine Glaubwürdigkeit… 
       
       Scholz hält die Bereitschaft der Gesellschaft, sich auf den schwierigen Weg
       der Transformation einzulassen, für eher gering. Es spricht viel dafür,
       dass er damit richtig liegt. Daher die Rolle des guten Hirten. Habeck
       verkörpert das rhetorische Gegenmodell. Er sendet: Der Weg ist dornig, aber
       wir werden es gemeinsam schaffen. Habeck ist ein Meister dieser
       widersprüchlichen Rhetorik,die farbiger wirkt als Scholz Versprechen, dass
       alles gut wird. Aber Habeck ist auch nicht Kanzler.
       
       Die Haushaltsverhandlungen sind unter den Bedingungen der Schuldenbremse
       stressig. SPD-Linke wollen die Einnahmen erhöhen. Geht da was mit der FDP? 
       
       Das scheint gegenwärtig unwahrscheinlich. Sinnvoller als Phantomdebatten
       über Sparpolitik oder Steuererhöhungen zu führen scheint es mir deshalb,
       das vorhandene, nicht abgerufene Geld zu mobilisieren und das Verhältnis
       von dringlichen und wichtigen Ausgaben besser in eine austarierte Agenda zu
       bekommen. Das setzt aber voraus, dass zwischen den Parteien und innerhalb
       der Ampel um diese Prioritätenordnung gerungen wird.
       
       Nämlich? 
       
       Das fängt bei den 100 Milliarden fürs Militär an und endet nicht mit dem
       Digitalpakt Schule. Da sind von sechs Milliarden erst rund 1 Milliarde
       abgerufen worden. Es gibt viele solcher Programme, bei denen es ähnlich
       ist. Planungszeiten und Arbeitskräftemangel leisten auch ihren Beitrag
       dafür, dass gar nicht so viel ausgegeben werden kann, wie notwendig wäre.
       
       Und Schuldenbremse ist gar kein Problem? 
       
       Doch, wir brauchen mittelfristig eine Reform der Schuldenbremse und mehr
       Mittel für Investitionen, um ein nachhaltigeres, moderneres Deutschland zu
       schaffen, mit Kreislaufwirtschaft und Ressourceneffizienz, modernem
       Verkehr, gutem Bahnsystem und gedämmten Gebäuden. Dafür müsste auch der
       Teil, der jetzt blockiert…
       
       die FDP… 
       
       …mit ins Boot steigen.
       
       Wie schneidet die Ampel verglichen mit der letzten Großen Koalition ab? 
       
       Sie ist viel erfolgreicher. Sie hat mehr in Bewegungen gesetzt, siehe
       Mindestlohn, Bürgerversicherung und die vielen Projekte, um auf Krieg,
       Inflation und Energiemangel zu reagieren. Und bei [2][der
       Kindergrundsicherung] wird noch etwas kommen. Die Ampel läuft aber nicht
       von selbst oder auf Autopilot. Und es gibt personalisierte und elektorale
       Nervositäten. Aber das ist nichts, was ihre Fortdauer oder
       Handlungsfähigkeit gegenwärtig gefährdet, so lange die Union als
       Koalitionspartner keine Chance hat.
       
       14 Apr 2023
       
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