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       # taz.de -- Malerei von Dana Schutz: Und sie tritt nicht auf der Stelle
       
       > Dana Schutz zeigt im dänischen Louisiana Museum ihre von Farbe und Firnis
       > strotzende Malerei. Die ist lustvoll grotesk.
       
   IMG Bild: Groteske Figurenaufstellung: Dana Schutz, „The Public Process“, 2022
       
       Wer bezweifelt, dass sich mit der guten, alten Malerei heute eine
       bedeutsame Kunst herstellen lässt, könnte sich zunächst in der Ausstellung
       „Between Us“ von Dana Schutz im dänischen Humlebæk bestätigt sehen.
       
       Der dicht bestückte Auftakt einer umfangreichen Überblicksschau der
       US-amerikanischen Künstlerin fällt doch ziemlich altmeisterlich aus im
       Louisiana Museum of Modern Art. Wie solche von Farbe und Firnis strotzenden
       Riesenbilder überhaupt zu transportieren sind? „The Wheel“ von 2022 etwa
       ist ein knapp fünfzehn Quadratmeter großes Panorama.
       
       Es knüpft an den antiken Sisyphos-Mythos an. Eine männliche Figur wuchtet
       vom rechten Bildrand her ein voluminöses Rad eine Anhöhe hinauf. Dieses ist
       zugleich in allegorischem Sinn Schicksals- oder (Un-)Glücksrad, das alles
       und jeden zermalmt: bald wohl auch jene Figur, die oben auf dem Rad
       buchstäblich „nach den Wolken greift“ und darüber vergisst, dass sie mit
       der nächsten Umdrehung unter die Räder gerät.
       
       Die Szene ist in einen tiefrot-pastosen Grund gebettet, Figuren und
       Staffage sind ins Groteske gedreht, aber mit ungewöhnlich lockerem,
       temporeichem Strich ausgeführt. Satte, nass in nass vermalte Farbflächen
       gehen zulasten von Kontur und Zeichnung – Qualitätsmerkmale in Schutz’
       früheren Bildern. Jetzt rückt umso mehr der Malvorgang in den Vordergrund
       und macht die Künstlerin präsent.
       
       ## Hartnäckig problematisiert sie die Figur des Künstlers
       
       Die sprichwörtliche „Liebe zur Malerei“ geht laut der Kunstkritikerin
       Isabelle Graw nicht ohne Fetischisierung des Künstlers selbst ab. Ein teuer
       bezahlter Pygmalion-Effekt, denn Großformate der 47-jährigen Dana Schutz
       erzielen längst Millionensummen auf dem Markt.
       
       Wenn Schutz im Pressetext zur Schau unter den „großen, gegenständlich
       arbeitenden Maler(innen)der Gegenwart“ gezählt wird, vertritt sie neben
       ihren langjährigen Stammgalerien CFA in Berlin und Thomas Dane, London,
       seit 2020 der New Yorker Big Player David Zwirner. Die Formate ihrer
       Gemälde wachsen also sicher nicht ohne Grund.
       
       Trotzdem fällt auf, wie hartnäckig Schutz in ihren neueren Arbeiten die
       Figur des „Künstlers“ problematisiert. Bei allem handwerklichen Hang zum
       Traditionsgenre und all ihren sichtbaren Bezügen zu historischen Künstlern
       wie Hieronymus Bosch, [1][Francisco de Goya] und Édouard Manet macht sie
       auch das Verhältnis von Kunst, Spektakel und Öffentlichkeit zum Thema.
       
       In „The Wheel“ ist es ein Glatzkopf an der Maler-Staffelei, der ein
       Bergmassiv auf Leinwand bannt. Auf „The Public Process“ von 2022, das mit
       knapp drei auf sechs Metern größte Bild der Schau, kniet eine nackte
       (menstruierende?) Malerin-Figur mit penetrant hochgerecktem Hintern nieder
       und pinselt angestrengt auf eine kleine Leinwand. Hinter ihr tummeln sich
       auf einem aus Latten gefügten Rechteck allerhand schräge Cartoon-Figuren:
       Es sind Beobachter, Spanner, Kommentatoren, während rechts der Malerin ein
       schlanker Bürokrat, vielleicht, die verschlissenen Farbtuben verrechnet.
       
       Zu Recht verzichtet das Louisiana Museum auf das überspektakularisierte
       Werk „Open Casket“. Dana Schutz hatte darauf eine bekannte Fotografie des
       [2][Lynchmord-Opfers und afroamerikanischen Jungen Emmett Till]
       wiedergegeben, 2017 wurde es im Rahmen der Whitney Biennale Gegenstand
       erbitterter Debatten über die Grenzen der Kunst. Eine weiße, erfolgreiche
       Künstlerin beute Schwarzes Leid aus, so der Vorwurf, der bis in die
       [3][Forderung gipfelte, das Werk gar zu zerstören].
       
       ## Auch Malereiskeptiker werden schwach
       
       Der retrospektive Parcours in Humlebæk führt stattdessen in die Genese von
       Schutz’ Œuvre ein. Das mag mittlerweile zwar auch jede Menge Grafik und
       Plastik umfassen. Kern bleibt aber die Malerei, ihre findige De- und
       Rekonstruktion. Wenn Schutz 2001 in der Momentaufnahme einer Nießenden
       mit kleinen, ekelhaft präsenten Farbwürstchen Malkunst in ihre
       vulgär-materialen und kunstvoll-ideellen Komponenten zerlegt, wenn sie 2004
       mit dem sich selbst verzehrenden „Face Eater“ und seinen vor dem großen
       Maul schwebenden, schreckhaft geweiteten Augen daran erinnert, wie eng
       Sensation, Schock und Lust zusammenhängen, dürften auch Malereiskeptiker
       schwach werden.
       
       Zugleich zeigt der Rundgang die Entwicklungsfähigkeit der Künstlerin.
       Vielleicht sind die aktuellen Bilder gleich zu Beginn der Ausstellung nicht
       die überzeugendsten, die Schau macht in der Gesamtsicht jedoch deutlich,
       dass diese Künstlerin nicht lange auf der Stelle tritt.
       
       13 Apr 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Hans-Jürgen Hafner
       
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