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       # taz.de -- Dmitri Medwedew hetzt gegen die Ukraine: Der Scharfmacher aus Moskau
       
       > Dmitri Medwedew leugnet wieder öffentlich die Existenz der Ukraine. Will
       > er sich erneut als Nachfolger Putins inszenieren?
       
   IMG Bild: Vorsicht bissig: Dmitri Medwedew Ende März in Moskau
       
       So manche dürften es bereits aufgegeben haben, sich mit dem geistigen
       Zustand von Dmitri Medwedew zu beschäftigen. Immer wieder sondert der
       Vorsitzende des russischen Nationalen Sicherheitsrats seine Hasstiraden
       gegen die Ukraine in den sozialen Netzwerken ab – dabei schien er zumindest
       noch am Anfang seiner Interimspräsidentschaft (2008 bis 2012) liberale
       Anwandlungen zu haben und einer Modernisierung Russlands gegenüber
       aufgeschlossen zu sein.
       
       Am Samstag wieder verstieg sich Medwedew auf seiner Seite bei WKontakte,
       dem russischen Pendant zu Facebook, zu Ausführungen darüber, „warum niemand
       die Ukraine brauche“ und sie daher „von dem Planeten verschwinden“ werde.
       Die Ukraine, das seien „künstlich zugeschnittene Territorien, die
       versehentlich aus dem Staatenverband herausgerissen worden seien“. In der
       Ukraine lebten Millionen von „Landsleuten“, die Russland im Rahmen einer
       Sonderoperation verteidige.
       
       Medwedew schreibt, diese Stücke Russlands, die innerhalb der Grenzen von
       1991 als Ukraine bezeichnet würden, seien ein Missverständnis, entstanden
       durch den Zusammenbruch der UdSSR. „Diese Unterukraine brauchen wir nicht,
       wir brauchen ein großes, erhabenes Russland.“ Und: Die Bürger der Ukraine
       seien gezwungen, in Angst zu leben, ihre Häuser zu verlassen, damit „eine
       Gruppe diebischer faschistischer Clowns auf ihren Offshore-Konten
       gestohlenes westliches Geld“ bunkern könne.
       
       Ein Land, das es eigentlich nicht gibt und dessen Bewohner noch immer nicht
       gemerkt haben, dass sie in Wahrheit Russen sind: Ein ähnlich abwegiges und
       realitätsfremdes Geschwurbel war auch einem Interview Medwedews mit
       russischen Staatsmedien vor etwa zwei Wochen zu entnehmen. Um die
       Kriegsziele in der Ukraine zu erreichen, müssten die Streitkräfte nicht nur
       auf Kyjiw, sondern auch auf Lwiw vorrücken, sagte er. Die Aussage scheint
       doch etwas vermessen angesichts der Tatsache, dass die russischen Truppen
       bislang trotz erheblicher Anstrengungen noch nicht einmal in der Lage sind,
       die ostukrainische Stadt Bachmut einzunehmen.
       
       ## Lawrow redetet über neue „Weltordnung“
       
       Derlei öffentlich geäußerte Vernichtungsfantasien sind kein
       Alleinstellungsmerkmal Medwedews; sie sind fester Bestandteil des
       öffentlichen Diskurses geworden. Dazu genügt es, sich die Talkshow von
       Wladimir Solowjow anzusehen, wo sechsmal wöchentlich verbale Amokläufe
       ähnlichen Inhalts zelebriert werden.
       
       Dabei geht es schon längst nicht mehr nur um die Ukraine. In den Talkshows
       wird die Meinung verbreitet, Russland befinde sich in einem Krieg mit dem
       „kollektiven Westen“, der die Ukraine dafür missbrauche, um Russland zu
       zerstören. Das war übrigens die Botschaft von Russlands Außenminister
       Sergei Lawrow bei einem Treffen mit seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt
       Çavuşoğlu am Freitag in Ankara.
       
       Man sei nicht grundsätzlich gegen Verhandlungen, um eine friedliche Lösung
       des Konflikts in der Ukraine zu erreichen – eine Forderung, die am
       Wochenende bei den Ostermärschen in mehreren deutschen Städten laut wurde.
       Allerdings sei die Vorbedingung, so Lawrow, dass Moskaus Interessen
       Rechnung getragen werde. Russlands Chefdiplomat ging noch einen Schritt
       weiter: Es müsse um die Prinzipien gehen, auf denen eine neue Weltordnung
       gründe, die alle bräuchten, statt einer einseitigen Weltordnung, „der
       Ordnung eines Hegemons“.
       
       „Russland steht mit der überwältigenden Mehrheit anderer Staaten dafür,
       dass die neue Weltordnung auf den Prinzipien der UN-Charta aufbaut, die vom
       kollektiven Westen direkt verletzt wird.“ Damit leistet er erneut einer
       Täter-Opfer-Umkehr Vorschub und lässt keinen Zweifel daran, dass es einen
       Friedensschluss nur zu Russlands Bedingungen geben kann.
       
       Warum sich ausgerechnet Medwedew so weit aus dem Fenster lehnt, ist immer
       wieder Gegenstand von Spekulationen. Einige halten es für möglich, dass
       sich Medwedew für eine Nachfolge Wladimir Putins empfehlen will. Ein
       russischer Journalist, der im Exil lebt und anonym bleiben möchte, sagt der
       taz: „Medwedew gibt den Hardliner“, sagt er. „Das tut er, um Putin noch
       einigermaßen adäquat rüberkommen zu lassen.“
       
       10 Apr 2023
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Barbara Oertel
       
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