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       # taz.de -- Nachfolge des Transsexuellengesetzes: Endlich selbstbestimmt
       
       > Wer seinen Geschlechtseintrag ändern möchte, ist künftig mit weniger
       > Hürden konfrontiert. Fragen und Antworten zum neuen
       > Selbstbestimmungsgesetz.
       
   IMG Bild: Ein langer bunter Kampf: Szene vom CSD in Berlin
       
       Was ändert sich für trans, inter und nichtbinäre Menschen? 
       
       Das geplante Selbstbestimmungsgesetz soll eine möglichst niedrigschwellige
       Änderung des Geschlechtseintrags ermöglichen. Wer sich nicht mit dem
       Geschlecht identifiziert, das ihm_ihr bei der Geburt zugewiesen wurde, kann
       künftig Vornamen und Geschlechtseintrag beim Standesamt ändern.
       Medizinische Aspekte wie geschlechtsangleichende Operationen sind nicht
       Gegenstand des neuen Selbstbestimmungsgesetzes.
       
       [1][Das Selbstbestimmungsgesetz soll das in Teilen verfassungswidrige
       Transsexuellengesetz ablösen], das seit 1980 gilt und im irrigen Glauben
       eingeführt wurde, dass trans Menschen „krank“ seien. Aus diesem Grund
       müssen trans, inter und nichtbinäre Menschen bisher psychologische
       Begutachtungen und Gerichtsverfahren über sich ergehen lassen, in denen sie
       teils demütigende Fragen zu ihrer Intimsphäre beantworten sollen. Das fällt
       künftig weg.
       
       Ab wann gilt die Namens- beziehungsweise Geschlechtsänderung? 
       
       Erst drei Monate nach dem Antrag soll die Änderung wirksam sein. Während
       dieser Zeit kann die Person ihre Entscheidung zurückziehen. Und auch
       danach: Selbst wenn die Namens- und Geschlechtsänderung bereits amtlich
       geworden ist, kann die Person sich wieder umentscheiden. Dafür gilt dann
       allerdings eine Sperrfrist von einem Jahr.
       
       Was, wenn die Person noch minderjährig ist? 
       
       Äußern Kinder unter 14 den Wunsch nach einer Änderung ihres
       Geschlechtseintrags, müssen die Eltern entscheiden, ob sie dies im Namen
       ihres Nachwuchses beantragen wollen. Jugendliche zwischen 14 und 18
       wiederum sollen dies selbst beim Standesamt tun können – mit der Zustimmung
       der Sorgeberechtigten. Sind diese mit der Änderung des Geschlechtseintrags
       nicht einverstanden, können die Jugendlichen das Familiengericht
       einschalten, die dann anstelle der Eltern entscheiden. Es ist vorgesehen,
       die Beratungsangebote für Kinder und ihre Eltern generell auszubauen.
       
       Warum wird in diesem Zusammenhang so viel über das sogenannte Hausrecht
       diskutiert? 
       
       Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sorgte im Januar für
       Diskussionen, als er in einem Interview mit der Zeit sagte: „Die
       [2][Betreiberin einer Frauensauna] soll auch künftig sagen können: Ich will
       hier dem Schutz der Intimsphäre meiner Kundinnen Rechnung tragen und knüpfe
       daher an die äußere Erscheinung eines Menschen an.“ Die Betreiberin dürfe
       dann beispielsweise nicht dem Risiko einer Klage nach dem Allgemeinen
       Gleichbehandlungsgesetz ausgesetzt sein, meinte Buschmann – und weiter: „In
       einer Sauna kann der Betreiber oder die Betreiberin bestimmen, ob und
       welche Transpersonen eingelassen werden.“ Dieser Aspekt ist nun in den
       Entwurf zum Selbstbestimmungsgesetz mit aufgenommen: In geschützten
       Frauenräumen soll unabhängig vom Geschlechtseintrag im Pass wie bisher das
       Hausrecht erlauben, bestimmte Personen des Orts zu verweisen.
       
       Dagegen gibt es viel Kritik. Etwa von Ferda Ataman, der
       Antidiskriminierungsbeauftragten des Bunds. Sie erklärte unlängst in der
       Süddeutschen Zeitung, dass es untersagt sei, trans Personen per Hausordnung
       abzulehnen: „Pauschale Ausschlüsse von Menschen wegen ihrer
       geschlechtlichen Identität, ob im Job, auf dem Wohnungsmarkt oder in der
       Sauna, darf es auch in Zukunft nicht geben.“ Es sei grundsätzlich
       unzulässig, eine Person nur wegen ihres Aussehens abzuweisen. Nur bei
       Fehlverhalten einer trans Person gebe es eine Handhabe, sie irgendwo
       rauszuwerfen. [3][Selbstbestimmungsgesetze aus anderen Ländern] zeigen: Die
       Sorge, dass cis Männer ihren Geschlechtseintrag ändern, um in Schutzräume
       für Frauen einzudringen, ist unbegründet.
       
       Was halten Opposition und Verbände von der Ausgestaltung des
       Gesetzesentwurfs? 
       
       Beim Bundesverband Trans* freut man sich über das Vorankommen der
       Bundesregierung. So sagt Kalle Hümpfner, dortige_r Fachreferent_in
       für gesellschaftspolitische Arbeit: „Das Selbstbestimmungsgesetz wird
       dringend gebraucht und sehnlichst erwartet. Es ist wichtig, dass bald ein
       Gesetz in Kraft tritt, das diesen Namen verdient.“ Und Hümpfner ergänzt:
       „Neue Hürden bei der Änderung oder die Einführung von diskriminierenden
       Regelungen sind für uns nicht hinnehmbar und werden wir – wenn nötig –
       kritisieren.“ Auch Vereine wie „Frauen gegen Gewalt“, der Bund der
       Deutschen Katholischen Jugend und der Deutsche Juristinnenbund begrüßen das
       geplante Gesetz.
       
       Frank Laubenburg und Daniel Bache, Bundessprecher von Die Linke.queer,
       sowie Maja Tegeler, Mitglied des Parteivorstands der Linken, äußern sich in
       einer Stellungnahme allerdings kritisch gegenüber der dreimonatigen
       Wartezeit: „Es stellt eine Schikane von trans, inter und nichtbinären
       Personen dar, die inakzeptabel ist. Die Bundesregierung lässt sich hier
       offenbar von seit langem gehegten Vorurteilen gegen die geschlechtliche
       Identität und sexuelle Orientierung queerer Menschen leiten (‚ist
       vielleicht ja nur eine Phase‘, ‚überleg dir das gut‘).“ Für das Recht auf
       Selbstbestimmung gebe es „keine Wartezeit“.
       
       [4][Die CDU lehnt das Konzept eines Selbstbestimmungsgesetzes generell ab.]
       So wie auch die AfD, die im Bundestag trans Menschen offen ihr Geschlecht
       abspricht.
       
       Wie geht es weiter? 
       
       In den nächsten Tagen soll ein geeinter Referent_innen-Entwurf vom Justiz-
       und Familienministerium an die anderen Ressorts geschickt werden. Diese
       könnten den Entwurf noch bremsen. Tun sie das nicht, wird der Entwurf an
       Verbände geschickt, die dann binnen fünf Tagen ihre etwaige Kritik an die
       Ministerien weitergeben können. Schließlich muss das Gesetz im Bundestag
       beraten werden, bevor es beschlossen und damit wirksam werden kann.
       
       31 Mar 2023
       
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