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       # taz.de -- Streit um Lohn im öffentlichen Dienst: Die Schlichtung soll es richten
       
       > Die Tarifverhandlungen für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes
       > sind gescheitert. Gewerkschaften kritisieren das Angebot der Arbeitgeber.
       
   IMG Bild: Der Tarifkonflikt geht weiter: Streiks wie noch am Montag sind zunächst aber nicht geplant
       
       Als Verdi-Chef Frank Werneke und sein Beamtenbund-Pendant Ulrich Silberbach
       kurz nach Mitternacht am Donnerstag in Potsdam vor die Presse traten, war
       ihnen ihr Frust anzusehen. Seit Montag hatten sie versucht, mit den
       Unterhändler:innen des Bundes und der Kommunen zu einem Kompromiss im
       [1][Tarifkonflikt um die Beschäftigten im öffentlichen Dienst] zu kommen.
       „Hinter uns liegen drei wirklich intensive Tage“, sagte Werneke müde. „Am
       Ende mussten wir feststellen, dass die Unterschiede nicht überbrückbar
       waren.“
       
       Damit sind die Verhandlungen für die über 2,4 Millionen Tarifbeschäftigten
       der kommunalen Arbeitgeber und 134.000 des Bundes erst einmal gescheitert.
       Nun müssen zwei unabhängige Schlichter versuchen, eine Lösung zu finden. Um
       ihre Aufgabe sind sie nicht zu beneiden: Auch wenn der Bund und die
       Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände in der letzten von drei
       Verhandlungsrunden ihr bisheriges Angebot nachgebessert haben, gehen die
       Vorstellungen noch immer weit auseinander.
       
       „Wir wären bereit gewesen zu einer linearen Entgelterhöhung von 8 Prozent –
       und das mit einem Mindestbetrag von 300 Euro“, sagte Innenministerin Nancy
       Faeser (SPD), die Verhandlungsführerin des Bundes, nach dem Scheitern der
       Gespräche. „Darüber hinaus wären wir zu steuerfreien Einmalzahlungen in
       Höhe von insgesamt 3.000 Euro bereit gewesen – zum Ausgleich der hohen
       Inflation.“ Damit sei die Arbeitgeberseite den Gewerkschaften „sehr weit
       entgegengekommen“.
       
       Wie auch die Gelsenkirchener Oberbürgermeisterin Karin Welge (SPD), die
       Verhandlungsführerin der Kommunen, erläuterte Faeser allerdings nicht die
       Details ihres Angebots, das bemerkenswerterweise nicht schriftlich
       vorgelegt und in den Beratungen auch nur als „Denkmodell“ bezeichnet wurde.
       Wie die taz aus Verhandlungskreisen erfuhr, sah es so aus: Geboten wurde
       eine Gehaltserhöhung um 4 Prozent, mindestens 180 Euro monatlich ab
       Oktober, im Juni 2024 sollten nochmal 3 Prozent, mindestens 120 Euro,
       hinzukommen. Die steuerfreie Inflationsausgleichsprämie solle gesplittet
       gezahlt werden: insgesamt 2.000 Euro dieses Jahr, 1.000 im nächsten.
       Unklare Aussagen gibt es über die anvisierte Laufzeit des Tarifvertrags:
       entweder 24 oder 27 Monate.
       
       Auf jeden Fall ist dieses Angebot ziemlich weit entfernt von der
       Gewerkschaftsforderung nach einer Tariferhöhung um 10,5 Prozent, mindestens
       jedoch 500 Euro alleine in diesem Jahr. „Wir können nicht nachvollziehen,
       dass die Gewerkschaften hierauf nicht eingegangen sind“, sagte Welge
       gleichwohl. „Dass eine Einigung nicht zustande kam, werten wir auch als
       Warnzeichen für eine funktionierende Sozialpartnerschaft mit den
       Gewerkschaften.“
       
       Demgegenüber beklagte Beamtenbund-Chef Silberbach, Bund und Kommunen sähen
       die Sorgen und Nöte ihrer Beschäftigten nicht. „Und sie schätzen
       Frustration und Entschlossenheit der Kolleginnen und Kollegen falsch ein“,
       so Silberbach. „Wir müssen Reallohnverluste verhindern und brauchen einen
       nachhaltigen Inflationsausgleich.“ Das sei von Anfang an klar gewesen.
       „Nach jetzigem Stand der Dinge sind die Arbeitgebenden dazu nicht bereit“,
       sagte Silberbach. Er erkenne zwar an, dass es „Bewegung von beiden Seiten“
       gegeben habe, sagte Werneke. Letztlich seien die Arbeitgeber nicht bereit
       gewesen, den Beschäftigten beim Mindestbetrag ausreichend entgegenzukommen.
       „Die Vorschläge der öffentlichen Arbeitgeber hätten nicht sichergestellt,
       dass die Kaufkraft insbesondere für die unteren und mittleren
       Einkommensgruppen erhalten bleibt“, so Werneke.
       
       Nun soll es die von den Arbeitgebern angerufene Schlichtung richten. Als
       unabhängige Schlichter im Gespräch sind der frühere sächsische
       Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) und der frühere Bremer
       Finanz-Staatsrat und Verwaltungswissenschaftler Hans-Henning Lühr (SPD).
       Der Zeitplan ist straff: Nach der Anrufung der Schlichtung bleibt eine
       Woche bis zur Konstituierung der Schlichtungskommission. Dann bleibt eine
       weitere Woche, in der die Kommission eine Empfehlung ausarbeiten soll.
       Mitte April könnten dann die Streitparteien darüber beraten, ob sie dieser
       folgen wollen. Während der Schlichtung gilt eine Friedenspflicht, es darf
       also in dieser Zeit nicht gewarnstreikt werden.
       
       Kommt es nicht zu einer Einigung, könnten die Gewerkschaften in die
       Urabstimmungen gehen. Zum letzten Mal war das 1992 der Fall, die Folge war
       ein elftägiger flächendeckender Streik, der das Land weitgehend lahmlegte.
       Ab Anfang Mai wären unbefristete Streiks möglich. Angesichts der bisherigen
       Ignoranz der Arbeitgeber gebe es eine große Streikbereitschaft, zeigte sich
       Silberbach überzeugt. Noch ist es nicht soweit.
       
       30 Mar 2023
       
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