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       # taz.de -- SPD-Mitgliedervotum zu Koalitionsvertrag: Was wäre, wenn …?
       
       > Bis Freitag 23.59 Uhr können 18.556 Berliner SPDler darüber entscheiden,
       > ob es zu Schwarz-Rot kommt. Die taz skizziert, was bei einem „Nein“
       > passiert.
       
   IMG Bild: Cansel Kiziltepe könnte bei einem „Nein“ zu Schwarz-Rot die neue Führungsfrau der SPD werden
       
       Berlin taz | Kurz vor 16 Uhr am Sonntagnachmittag. Draußen hat der
       angekündigte Regen eingesetzt, und drinnen sehen die Gesichter führender
       SPDler ähnlich grau aus. Drinnen, das heißt: im Erika-Heß-Saal der Berliner
       SPD-Zentrale im Wedding, benannt nach einer sehr beliebten früheren
       Bürgermeisterin. Hier ist gerade die Auszählung des Mitgliedervotums über
       die vom Parteivorstand angestrebte schwarz-rote Koalition zu Ende gegangen.
       
       Ebendiesen Parteioberen ist bereits vor Beginn der Pressekonferenz
       anzusehen, dass es keine Zustimmung gegeben hat. Gleich werden die
       Landesvorsitzenden Franziska Giffey und Raed Saleh sprechen und mutmaßlich
       ihren Rücktritt … Halt, so weit ist es noch nicht. Doch vier Tage vor
       besagter Pressekonferenz ist tatsächlich offen, ob die SPD-Basis den
       Koalitionsvertrag mit der CDU gutheißt.
       
       „Unser Eindruck ist, dass die Stimmung in den letzten Wochen in Richtung
       einer Ablehnung des Vertrages gekippt ist“, frohlockte am Mittwoch
       [1][Juso-Landeschefin Sinem Taşan-Funke] bei der Deutschen Presse-Agentur.
       Sie hatte zum Start der Koalitionsverhandlungen im März die größte je
       erlebte Gegenkampagne angekündigt. Davon sei ja irgendwie nicht viel zu
       merken, spottete vor Ostern ein CDUler gegenüber der taz. Die Jusos sehen
       das anders, die Sache laufe nicht öffentlich, sondern intern. „Wir sind
       sehr zufrieden mit unserer Kampagne“, so Taşan-Funke.
       
       Über 10.100 der 18.556 stimmberechtigten Berliner SPD-Mitglieder haben nach
       Parteiangaben bis Mittwoch votiert, rund 55 Prozent also. Am
       [2][Mitgliedervotum der SPD über eine schwarz-rote Bundesregierung 2018]
       hatten sich bundesweit fast 80 Prozent beteiligt – und zu zwei Dritteln
       dafür gestimmt.Nun ist in der Partei zu hören, es könnte knapp werden.
       Falls das heißt: Knapp an einem Ja zur Koalition vorbei, so dürfte die Zeit
       von Giffey und Saleh an der Parteispitze vorbei sein. Immerhin geht es
       nicht um eine einzelne inhaltliche Entscheidung, bei der sich noch sagen
       ließe: ist ja nur eins von vielen Themen – wie im Sommer 2022, als ein
       Landesparteitag auch gegen den Willen von Giffey Enteignungen guthieß.
       Nein, es geht um die Grundsatzfrage der politischen Richtung: Stützt da
       nicht eine Mehrheit die Position der Vorsitzenden, sind die nicht mehr
       haltbar.
       
       ## Grüne: Nur ohne Giffey und Saleh
       
       Was dann passieren würde, ist nach vielen Äußerungen von
       Schwarz-Rot-Kritikern einerseits und von Grünen und Linkspartei
       andererseits ziemlich klar: Nachdem die SPD geklärt hat, wer sie künftig
       anführt, würde über eine Fortsetzung von Rot-Grün-Rot verhandelt.
       
       Schon beim [3][Landesparteitag der Grünen Anfang März] hatte deren
       Fraktionschef Werner Graf die SPD-Mitglieder dazu aufgerufen, mit Nein zu
       stimmen. Damit könnten sie die Tür zu den Grünen wieder öffnen und man
       könne noch mal reden. Grafs Bedingung dafür: „Aber eins will ich nicht:
       Dass hinter dieser Tür noch mal Franziska Giffey und Raed Saleh stehen.“
       
       Mehrfach haben seither führende Politiker von Grünen und Linken Schwarz-Rot
       als schlecht für Berlin abgetan, und nicht nur bei der SPD gibt es Stimmen,
       die die CDU reaktionär und rassistisch nennen. Jüngst warben der grüne
       Finanzsenator Daniel Wesener und die linke Sozialsenatorin Katja Kipping
       gemeinsam [4][in einem Zeitungsbeitrag] für Rot-Grün-Rot: Nur mit diesen
       Parteien sei „echte Veränderungspolitik“ machbar.
       
       Die nach Parlamentssitzen ebenfalls mögliche Alternative Schwarz-Grün
       dürfte damit endgültig vom Tisch sein: Zu sehr haben sich führende Grüne
       zuletzt darauf festgelegt, wenn möglich, die rot-grün-rote Koalition
       fortzuführen. Und schon in den Sondierungen, als sich CDU und Grüne teils
       sehr nahe kamen, konnten die Grünen nicht zusichern, dass sie eine solche
       Koalition bei ihrer Basis durchbekämen.
       
       Das wirft die Frage auf, wer Rot-Grün-Rot künftig anführen würde. Kurz nach
       der Wahlwiederholung am 12. Februar machte das Gerücht die Runde,
       SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert stehe bereit, die linke Berliner SPD von
       ihrer vergleichsweise konservativen Chefin Giffey zu befreien. Inzwischen
       liegt näher, dass bei einer Nein-Mehrheit am Sonntag Cansel Kiziltepe ganz
       nach vorne rücken würde. Die ist Kreuzberger Bundestagsabgeordnete und
       zugleich stellvertretende SPD-Landeschefin und parlamentarische
       Staatssekretärin im Bundesbauministerium.
       
       Kiziltepe war Teil der Verhandlungsgruppe und galt in den
       Sondierungsgesprächen als Befürworterin einer Fortsetzung der
       rot-grün-roten Koalition. Doch die Empfehlung der Gruppe zu
       Koalitionsgesprächen mit der CDU trug auch sie mit. Für die von Giffey
       angestrebte schwarz-rote Regierung gilt sie als mögliche Sozialsenatorin.
       Für einige in der SPD hat sie sich damit schon kompromittiert, für andere
       aber ist sie gerade wegen ihrer Zwischenrolle als eigentlich linke
       Kritikerin die geeignete Frau, Gräben in der Partei zu schließen.
       
       ## Bei „Ja“ wird Wegner nächste Woche gewählt
       
       Außerdem wäre die 47-Jährige nicht nur eine weitere Chefin im Roten
       Rathaus, sondern die erste Ministerpräsidentin mit Migrationshintergrund –
       Kiziltepes Eltern kamen aus der Türkei nach Deutschland.
       
       Das alles in der Partei zu diskutieren, einen neuen Koalitionsvertrag zu
       verhandeln und Kiziltepe schließlich zu wählen, dürfte bis weit in den
       Sommer dauern. Der bisherige Senat bliebe bis dahin im Amt.
       
       Kommt es am Sonntag anders und im Erika-Heß-Saal tritt eine strahlende
       Giffey vor die Journalisten, um ein Ja zu Schwarz-Rot zu verkünden, geht
       alles viel schneller. Dann gibt am Montag ein CDU-Parteitag grünes Licht
       für die Koalition, tagt der rot-grün-rote Senat Dienstag ein letztes Mal –
       und dann würde Kai Wegner am Donnerstag im Abgeordnetenhaus zum ersten
       Regierenden Bürgermeister von der CDU seit fast 22 Jahren gewählt.
       
       19 Apr 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Juso-Chefin-warnt-vor-Koalition-mit-CDU/!5918638
   DIR [2] /SPD-Mitgliederentscheid/!5488793
   DIR [3] /Parteitag-der-Berliner-Gruenen/!5920804
   DIR [4] https://www.tagesspiegel.de/berlin/appell-fur-rot-grun-rot-eine-grosse-koalition-verheisst-nichts-gutes-fur-berlin-9665543.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Alberti
       
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