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       # taz.de -- Volksentscheid DW-Enteignen: „Ablenkungsmanöver ohne Umsetzung“
       
       > Giffey und Wegner wollen die Vergesellschaftung endgültig verschleppen.
       > Ein Gastbeitrag von Linken-Politiker:innen Niklas Schenker und Elif
       > Eralp.
       
   IMG Bild: Der Wille zur Vergesellschaftung ist ungebrochen: Hier beim „Karneval der Enteignung“ Anfang Februar
       
       In ihrem Koalitionsvertrag haben CDU und SPD ein
       [1][Vergesellschaftungsrahmengesetz] vereinbart. Das soll einen
       Rechtsrahmen und qualitative Indikatoren für eine Vergesellschaftung in
       verschiedenen Feldern der Daseinsvorsorge (Wohnen, Energie, Wasser) sowie
       Grundsätze der Entschädigung definieren. Für eine Vergesellschaftung reicht
       ein abstrakter Rahmen aber nicht aus. Für jeden Anwendungsfall braucht es
       ein eigenes Umsetzungsgesetz. Und den Rahmen dafür gibt Artikel 15 im
       Grundgesetz bereits vor. Ein Rahmengesetz ist deshalb unnötig.
       
       Nach Beschlussfassung will Schwarz-Rot gegen ihr eigenes Rahmengesetz eine
       Normenkontrollklage einreichen und es so vor das Bundesverfassungsgericht
       bringen. Um die Prüfung zu ermöglichen, soll das Gesetz erst zwei Jahre
       nach Beschlussfassung in Kraft treten. Damit ist fraglich, ob in dieser
       Legislatur überhaupt ein Gesetz kommt. Keine Akteurin im Senat wird dafür
       kämpfen.
       
       Weil ein Rahmen aber noch keine Vergesellschaftung macht, ist vor dem
       Bundesverfassungsgericht gar nicht viel zu gewinnen. Bestenfalls kann das
       Gericht die grundsätzliche Landeskompetenz feststellen. An der fehlenden
       Kompetenz scheiterte zwar noch der Mietendeckel, doch selbst
       Kritiker*innen und auch die Expert*innenkommission sehen diese
       bei einer Vergesellschaftung als gegeben an. Ehin Umsetzungsgesetz für die
       Vergesellschaftung von Wohnraum würde dennoch wieder vor Gericht landen.
       
       Mit Verweis auf den [2][Mietendeckel] versucht Schwarz-Rot den Eindruck zu
       vermitteln, es handele sich bei der Vergesellschaftung von Wohnraum um ein
       praktisch unmögliches Vorhaben. Dabei wurde kein anderes Vorhaben in Berlin
       in den vergangenen Jahren so intensiv rechtlich geprüft: 15 Monate (!)
       Prüfung durch die Innenverwaltung, unzählige Gutachten (die meisten
       positiv), eine exzellent besetzte Expert*innenkommission und ein von
       der Fachwelt gelobter Gesetzentwurf von der Initiative Deutsche Wohnen und
       Co enteignen (DWE) – es ist ausreichend Substanz produziert, um die
       Vergesellschaftung von Wohnraum in ein Gesetz zu gießen. Zumindest, wenn
       der politische Wille dafür da ist.
       
       ## Unnötig verkompliziert
       
       Es scheint zunächst verlockend, die Vergesellschaftung auf mehr Bereiche
       als Wohnen auszudehnen, wie von Schwarz-Rot geplant. Die gesamte
       Infrastruktur der Daseinsvorsorge muss der Profitlogik entzogen werden. Das
       ist aber mit Sicherheit nicht der Plan einer CDU-geführten „Großen
       Koalition“. Stattdessen wird das Anliegen so verkompliziert. Einheitliche
       qualitative Indikatoren, die gleichermaßen für Felder wie Wohnen, Energie
       und Wasser gelten, werden nur schwer definiert werden können.
       
       Außerdem rückt die schwarz-rote Koalition damit vom zentralen Vorhaben des
       Volksentscheids ab, die Wohnungen aller privaten, profitorientierten
       Unternehmen, die mehr als 3.000 Wohnungen besitzen, zu vergesellschaften.
       Dieses quantitative Kriterium ergibt auch Sinn: Zusammen mit den
       landeseigenen und genossenschaftlichen Wohnungen würde der Anteil Berlins
       am Wohnungsmarkt 50 Prozent betragen – ebenso viele Haushalte haben
       Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein.
       
       Welche qualitativen Indikatoren Schwarz-Rot anlegen möchte, lässt der vage
       formulierte Vertrag offen. Vorstellbar wäre etwa eine systematische
       Missachtung des Mietrechts oder eine zu geringe Investitionsquote. Nur
       werden diese Indikatoren mangels passender Instrumente zur
       Wohnraumerfassung, wie dem Mietenkataster, schwer messbar sein. Auch führt
       das weg vom eigentlichen Zweck der Vergesellschaftung: Sie ist keine
       „Strafe“ für böse Vermieter*innen, sondern soll weite Teile des
       Wohnungsmarktes in Gemeineigentum überführen.
       
       Selbst wenn alle diese Hürden genommen werden, macht Schwarz-Rot die
       „Verhältnismäßigkeit“ zur Grundvoraussetzung für eine Vergesellschaftung.
       CDU und SPD könnten dann darauf beharren, Vergesellschaftung nur als
       „letztes Mittel“ anzuwenden. Dann müsste bewiesen werden, dass bereits alle
       anderen Mittel ausgeschöpft wurden. Eine solch restriktive Auslegung ist
       juristisch nicht nötig und würde das Vorhaben endgültig verunmöglichen. CDU
       und SPD würden genug Argumente einfallen, warum noch lange nicht alle
       Instrumente ausgeschöpft sind.
       
       ## Braucht es einen neuen Volksentscheid?
       
       SPD, Grüne und Linke haben in ihren Sondierungen lange über
       Vergesellschaftung verhandelt. Als Kompromiss mit der SPD wurde sich zwar
       ebenfalls auf die Einführung eines Rahmengesetzes verständigt – aber nur
       unter der Maßgabe, dass zeitnah auch ein Umsetzungsgesetz für die
       Vergesellschaftung von Wohnraum erarbeitet und beschlossen wird.
       
       Giffey und Wegner [3][wollen den Volksentscheid jedoch ins Leere laufen
       lassen]. Das Rahmengesetz ist ein reines Ablenkungsmanöver ohne
       Umsetzungsperspektive. Was also tun? Die Initiative könnte einen zweiten
       Volksentscheid starten, der diesmal bei Erfolg rechtlich bindend ist. Dazu
       müsste sie einen konkreten Gesetzentwurf zur Abstimmung stellen, statt wie
       zuvor den Senat aufzufordern, ein Gesetz zu erarbeiten.
       
       Das erfordert viel Kraft und Ausdauer. Und auch dann könnte Schwarz-Rot
       sabotieren und die Initiative nach der ersten Stufe der
       Unterschriftensammlung vor das Verfassungsgericht zerren. Das hatte der
       damalige SPD-Innensenator Andreas Geisel schon beim ersten Volksentscheid
       versucht, war aber am Widerstand von Linke und Grünen in der Regierung
       gescheitert.
       
       Wie alles im Leben hat aber auch ein Rahmengesetz, wenn es denn überhaupt
       kommt, etwas Gutes. Es wird Zeit, dass wir eine Vergesellschaftung auch für
       andere zentrale Lebensbereiche wie Energie, Gesundheit, Bildung, Kultur und
       Mobilität auf die Tagesordnung setzen. Die Berliner Linke sollte zusammen
       mit einer breiten Vergesellschaftungsbewegung ein Transformationsprogramm
       für Berlin entwickeln.
       
       Schwarz-Rot muss sich auf viel Gegenwind gefasst machen – im Parlament und
       auf der Straße. Und wer weiß, vielleicht bekommen es Giffey und Wegner dann
       bald mit vielen Vergesellschaftungs-Initiativen zu tun. Wir wünschen es
       ihnen und unserer Stadt von Herzen.
       
       21 Apr 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Enteignung-unter-Schwarz-Rot-in-Berlin/!5919640
   DIR [2] /Bundestagsdebatte-zu-Mietenpolitik/!5889856
   DIR [3] /Wahlkampfhilfe-fuer-Franziska-Giffey/!5909066
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Elif Eralp
   DIR Niklas Schenker
       
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