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       # taz.de -- Nachruf auf Benjamin Ferencz: Jurist gegen Kriegsverbrecher
       
       > Benjamin Ferencz war der letzte lebende Chefankläger der Nürnberger
       > Kriegsverbrecherprozesse. Nun ist er im Alter von 103 Jahren gestorben.
       
   IMG Bild: Etablierte den Begriff „Genozid“ für den planmäßigen Mord an einer ganzen Gruppe oder Nation: Ben Ferencz
       
       Berlin taz | „Recht, nicht Krieg“: So lautete der Wahlspruch von Benjamin
       Ferencz. Der letzte noch lebende Chefankläger bei den Nürnberger
       Kriegsverbrecherprozessen hat sein Leben diesem Prinzip gewidmet. Ferencz
       ging es dabei stets darum, ein internationales Rechtssystem zu etablieren,
       das Kriegsverbrechen so ahndet, dass die potenziellen Täter von ihrem Tun
       abgehalten werden und den Opfern Recht zugesprochen wird. Am Freitag ist
       Benjamin Ferencz im Alter von 103 Jahren in Florida gestorben.
       
       Seine Karriere war dem kleinen, schmalen Mann nicht in die Wiege gelegt.
       1920 im damals ungarischen Transsylvanien geboren, erreichte er mit seinen
       jüdischen Eltern als Baby die USA. Die Reise wurde in der 3. Klasse
       zurückgelegt, und das nur, so erzählte es Ferencz, weil es keine noch
       billigere gab. Doch der begabte junge Mann erhielt ein Stipendium und
       konnte so an der Harvard-Universität Jura studieren.
       
       Als einfacher Soldat nahm Ferencz an der alliierten Invasion in der
       Normandie teil. Die US-Army glaubte zunächst, für Juristen keine bessere
       Verwendung zu haben. Doch das änderte sich mit der Besetzung
       Nazi-Deutschlands: Ferencz wurde Mitarbeiter einer Sektion, [1][die
       Kriegsverbrechen] der Deutschen untersuchte.
       
       Das erste Camp, das er mit eigenen Augen sah, hieß Ohrdruf, ein Außenlager
       des KZ Buchenwald. Ferencz fand Hunderte Menschen hinter Stacheldraht kurz
       vor dem Hungertod. Später traf der junge US-Soldat in Buchenwald ein, sah
       die Schrecken von Mauthausen. Sein erster Weg habe ihn immer in die
       Schreibstube der SS geführt, auf der Suche [2][nach schriftlichen
       Beweisen], berichtete Ferencz.
       
       Der Krieg war gewonnen, Ferencz in die Heimat zurückgereist, da erreichte
       ihn ein Telegramm aus dem Pentagon. Er solle wieder nach Deutschland
       kommen. Der Job endete für Ferencz mit der Bestellung zum Chefankläger bei
       einem der [3][Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse]. Das Verfahren richtete
       sich gegen Angehörige der Einsatzgruppen, die in der Sowjetunion mehr als
       eine Million Juden und Roma ermordet hatten. Die Agentur AP nannte das
       Verfahren damals „den größten Mordprozess der Geschichte“. Rache sei nicht
       das Ziel, sagte Ferencz zu Prozessbeginn. Es ginge darum sicherzustellen,
       dass jeder Mensch ein Recht habe, in Frieden und Würde zu leben, unabhängig
       von Religion und Rasse.
       
       ## Sein Traum vom Leben ohne Krieg erfüllte sich nicht
       
       Alle 22 Angeklagten wurden verurteilt. Das Gericht verhängte 14-mal die
       Todesstrafe. Wichtiger noch: Ferencz hatte in dem Verfahren den Begriff
       „Genozid“ für den planmäßigen Mord an einer ganzen Gruppe oder Nation
       etabliert. Damit machte das Völkerstrafrecht einen großen Sprung nach
       vorne.
       
       Die Anklagevertretung in Nürnberg blieb Ferencz’ einzige. Er blieb zunächst
       in Deutschland und unterstütze bis 1956 Entschädigungsforderungen jüdischer
       Überlebender. Das Recht der Menschheit, in Frieden und ohne Krieg leben zu
       dürfen, ließ ihn sein Leben lang nicht los. Ferencz lehrte später
       Völkerrecht an der Pace-Universität in New York.
       
       Sein Traum von einem Leben ohne Krieg hat sich nicht erfüllt. Aber der
       stets bestens gekleidete ältere Herr hat doch zu einem großen Schritt zur
       Ahndung von Kriegsverbrechen beigetragen. Ende der 1990er war er an der
       Gründung des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag beteiligt, dank
       dem mörderische Diktatoren nicht mehr so ruhig schlafen können wie früher.
       Auch Wladimir Putin nicht. Vor fast genau einem Jahr [4][forderte Benjamin
       Ferencz in der taz], dass der russische Präsident wegen mutmaßlicher
       Kriegsverbrechen vor Gericht gestellt werden müsse. Inzwischen liegt ein
       Haftbefehl vor.
       
       10 Apr 2023
       
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