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       # taz.de -- Neues Vergabegesetz: Hamburg gönnt sich Tariftreue light
       
       > Hamburg versucht die Quadratur des Kreises: Neues Vergabegesetz soll
       > Tariftreue gewährleisten und Geld sparen. Gewerkschaften kritisieren
       > Ausnahmen.
       
   IMG Bild: Die Kellner beim Hamburger Matthiae-Mahl müssten Tariflohn kriegen – aber kein Weihnachtsgeld
       
       Hamburg taz | Wann immer die Stadt Hamburg oder öffentliche Unternehmen in
       Zukunft Aufträge etwa für Caterings oder Büromöbellieferungen ausschreiben,
       sollen fortan neue Regeln gelten: Am Dienstag hat der Hamburger
       Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) seinen Entwurf für die Reform des
       Vergabegesetzes vorgestellt.
       
       Fortan soll Tariftreue ein ausdrückliches Kriterium für die Vergabe von
       öffentlichen Aufträgen an Unternehmen werden. Die Stadt Hamburg preist die
       Regelungen als „sozial, effizient, krisensicher“ – doch Gewerkschaften
       fordern schon jetzt Nachbesserungen.
       
       Um die Auftragsvergabe künftig sozialer zu gestalten, will die Stadt
       Hamburg neue Aufträge nur an solche Unternehmen vergeben, die ihre
       Beschäftigten nach Tarif bezahlen. Branchenübliche Tariflöhne werden somit
       für alle auftragnehmenden Unternehmen zwingend. „Stadt und Staat haben als
       Auftraggeber eine Vorbildwirkung,“ erklärte der Finanzsenator in der
       Landespressekonferenz. „Wir haben eine Chance, hier Benchmarks zu setzen.“
       
       Die neuen Regelungen für die Vergabe öffentlicher Aufträge sind das
       [1][Ergebnis intensiver Gespräche] zwischen der Stadt Hamburg sowie
       Vertreter*innen von Wirtschaft und Gewerkschaften. Letztere begrüßen
       grundsätzlich die gesetzlich vorgegebene Tariftreue, die die Reform mit
       sich bringt.
       
       ## DGB fordert Nachbesserungen
       
       „Es ist wichtig und richtig, dass sich der Senat die Tariftreue bei seinen
       öffentlichen Vergaben explizit ins Gesetz schreibt,“ teilt Tanja Chawla,
       Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Hamburg mit. „Es darf
       nicht länger sein, dass Kolleg*innen auf öffentlichen Baustellen nur den
       Mindestlohn bekommen und nicht Löhne entsprechend den gültigen
       Tarifverträgen.“ Die Lohnhöhe dürfe nicht zum Wettbewerbskriterium
       verkommen und geltende Standards unterhöhlen.
       
       Dennoch fordert der DGB bereits jetzt Nachbesserungen. In seiner aktuellen
       Formulierung enthalte das Gesetz Begriffe, die sehr schwammig auszulegen
       seien. „Insbesondere die Anwendung der branchenspezifischen Tarifverträge
       muss fest verankert werden,“ ordnet die Hamburger DGB-Vorsitzende Chawla
       ein. Sie führt aus, dass das Gesetz so sicher formuliert sein müsse, dass
       die Tarifbindung auch in Zukunft eingehalten werden müsse. Aktuell heißt es
       im hamburgischen Vergabegesetz nämlich lediglich, die Tarifverträge sollten
       „zugrunde gelegt“ werden, was jedoch noch keine Rechtsverbindlichkeit
       ausdrückt.
       
       In Hamburg sollen „die jeweils geltenden Branchentarifverträge mit
       tariffähigen Gewerkschaften als Grundlage genommen“ werden für Verordnungen
       des Senats, die die Mindestentgelte regeln, so heißt es in der
       Pressemitteilung des Senats. Ab 2024 sollen sie alle zwei Jahre überprüft
       werden. Es geht dabei allerdings ausschließlich um die Stundenlöhne, nicht
       um weitere Tarifvereinbarungen.
       
       Dagegen sieht beispielsweise das saarländische Gesetz vor, dass sich die
       Vergaben sich an den „Branchentarifverträgen orientieren“ müssten, wobei
       auch Urlaubs- und Arbeitszeitregelungen sowie Zuschlagszahlungen
       ausdrücklich berücksichtigt werden sollen. Davon ist in der Hamburgischen
       Fassung bisher keine Spur. Mit der Präzisierung solle laut Chawla die
       Gefahr ausgeschlossen werden, dass die Verordnung „[2][je nach politischer
       Konstellation] zum Spielball“ werde.
       
       Darüber hinaus kritisiert der DGB auch die festgesetzten „Schwellenwerte“
       als zu hoch. Aktuell greift die Regelung nämlich erst, sobald Lieferungen
       und Dienstleistungen einen Schwellenwert von 100.000 Euro überschreiten.
       Bundesweit sei dieser laut DGB „mit Abstand“ der höchste.
       
       ## Das Gesetz soll auch Geld sparen helfen
       
       Die Stadt preist diese Regelung mit dem Verweis auf Effizienz als
       „vereinfachtes Beschaffungsverfahren“ an. Dennoch bleibt nach aktuellem
       Stand offen, ob sich Unternehmen auch dann an tarifliche Festlegungen
       halten müssen, wenn die Aufträge unter dem Schwellenwert liegen. „Damit
       besteht aus unserer Sicht ein ernstzunehmendes Risiko, dass sich das Gesetz
       selbst abschafft,“ kritisiert Tanja Chawla weiter.
       
       Dressel rechtfertigt die Klausel: Weil aktuell zu wenig Unternehmen auf
       öffentliche Ausschreibungen bieten würden, will die Stadt Hamburg mit der
       neuen Vergaberegelung den Wettbewerb zwischen potenziellen Auftragnehmern
       anheizen. „Wir erleben eine herausfordernde Zeit, weil wir einem
       Anbietermangel ausgesetzt sind,“ erklärte Finanzsenator Andreas Dressel in
       der Landespressekonferenz. Schlussendlich soll die neue Vergabeordnung der
       Stadt Geld einsparen, damit sie zukünftig nicht mehr auf wenige teure
       Anbieter angewiesen ist. „Mit dem Gesetz wollen wir anwendungsfreundlicher
       werden,“ heißt es von Dressel.
       
       Der Senat will in der nächsten Zeit Verbände mit einbeziehen, um das Gesetz
       noch in diesem Jahr umsetzen zu können. Da kann dann auch der DGB seine
       Kritik anbringen. Der blickt deshalb „optimistisch auf den laufenden
       Prozess und die anstehenden Ergänzungen“.
       
       11 Apr 2023
       
       ## LINKS
       
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