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       # taz.de -- 75 Jahre Israel: Mit offenen Grenzen
       
       > Palästinenser und Israelis, die die Hoffnung auf Frieden nicht aufgeben,
       > formulierten gemeinsam einen neuen Plan: die Konföderation im Heiligen
       > Land.
       
   IMG Bild: Bethlehem im Dezember 2022
       
       Mag sein, dass der Osloer Friedensprozess tot ist. Eine Rechtfertigung,
       aufzugeben, ist das nicht. Deshalb haben wir, eine Gruppe von
       Palästinensern und Israelis, über zwei Jahre lang einen neuartigen
       Vorschlag für eine [1][Konföderation im Heiligen Land] erarbeitet.
       
       Seit Jahrzehnten trennt Palästinenser und Israelis im Friedensprozess eine
       Kluft. Verschiedene Vorschläge wurden zur Beilegung der Hauptstreitpunkte
       unseres Disputs gemacht: zum Verlauf der Grenze zwischen beiden Staaten,
       zur Zukunft von Jerusalem, dem Schicksal der israelischen Siedlungen und
       palästinensischen Geflüchteten wie auch zu kooperativen
       Sicherheitsregelungen.
       
       Grundsätzlich besteht Einigkeit über die Prinzipien einer dauerhaften
       Konfliktregelung, wie sie die [2][Resolution 2334 des UN-Sicherheitsrats]
       aus dem Jahr 2016 festhält. Diese Prinzipien finden von allen Vorschlägen
       die größte Unterstützung bei Palästinensern und Israelis, auch wenn die
       Zustimmung bei beiden Völkern von einer absoluten auf eine relative
       Mehrheit sank. 30 Jahre nach Unterzeichnung der Osloer Prinzipienerklärung
       dauern Besatzung und Gewalt an.
       
       Die Schuld dafür den Politikern zuzuschieben ist wenig hilfreich.
       Stattdessen könnten neue Ideen dieses stete Patt aufrütteln und
       Verhandlungen über eine dauerhafte Friedenslösung anstoßen. Angesichts der
       veränderten Ausgangslage erscheint es aussichtsreicher für eine bilaterale
       Einigung auf eine Zwei-Staaten-Lösung, wenn diese unter dem Schirm einer
       Konföderation konzipiert wird und wenn der Grundsatz der Gegenseitigkeit
       gilt.
       
       ## Siedler könnten bleiben
       
       Wenn also die israelische Führung nicht mehr gezwungen wird, Siedler aus
       ihren Häusern zu holen, sollte derselben Zahl von Palästinensern ermöglicht
       werden, sich in Israel anzusiedeln. Prinzipiell könnte diese Lösung auch
       ohne Konföderationsvereinbarung umgesetzt werden. Eine
       [3][israelisch-palästinensische Konföderation], die sich am Modell der
       Europäischen Union orientiert, hätte allerdings den Vorteil, dass sie eine
       verstärkte Wirtschafts- und Sicherheitskooperation mit sich brächte.
       
       Zudem würde dieses Modell Bürgerinitiativen die das gegenseitige
       Verständnis stärken wollen und die Ablehnung und Feindseligkeit auf beiden
       Seiten abbauen, die Arbeit erleichtern. Die Konföderation im Heiligen Land
       sieht vor, dass zehntausende Bürger der beiden Staaten mit dauerhaftem
       Aufenthaltsrecht auf der jeweils anderen Seite der Grenze leben.
       
       Die israelischen Siedler, deren Ortschaften auf dem Territorium des
       zukünftigen Palästinenserstaats bleiben, könnten wählen, ob sie nach Erhalt
       einer angemessenen Entschädigung nach Israel umziehen, oder sie bleiben in
       Palästina und halten sich an die dort geltenden Gesetze und Regeln. Eine
       ebenso große Zahl palästinensischer Bürger könnten umgekehrt mit
       dauerhaftem Aufenthaltsrecht in Israel leben.
       
       ## Kooperation statt Abgrenzung
       
       Beide Gruppen, Israelis wie Palästinenser, nehmen jeweils an den eigenen
       nationalen Wahlen teil sowie an den Kommunalwahlen des Landes, in dem sie
       ihren offiziellen Wohnsitz haben. Sie genießen dort die gleichen
       bürgerlichen Rechte und erhalten die gleichen Sozialleistungen wie die
       Staatsbürger vor Ort. Palästinensische Geflüchtete von 1948 sollten in
       vereinbartem Umfang die Möglichkeit einer Einbürgerung haben.
       
       Zudem ist ein gemeinsames historisches Narrativ anzustreben, das die
       wichtigsten Wegmarken in den Jahrzehnten des Konflikts umfasst. Bislang
       erschien es unmöglich, sich auf mehr einigen zu können, als die
       unterschiedlichen Sichtweisen auf die Geschichte zur Kenntnis zu nehmen.
       Sobald Kooperation den Vorzug vor Abgrenzung hat, wird sich das ändern. Die
       Grundlagen einer Konföderation, wie wir sie uns vorstellen, müssen nicht
       auf ewig Bestand haben, um einen wertvollen Beitrag zu leisten.
       
       Es bleibt Israelis und Palästinensern überlassen, ob sie in der Zukunft
       stärker miteinander kooperieren oder eher weniger. Unverrückbar wird aber
       der Grenzverlauf zwischen den beiden Staaten sein. Dem Entwurf der
       Konföderation zufolge wird es einen sogenannten Landswap geben, dem zufolge
       Israel 2,25 Prozent der Westbank annektiert und eine gleich große Fläche an
       anderer Stelle an die Palästinenser abtritt.
       
       Dementgegen flexibel wird – jeweils die beiderseitige Zustimmung
       vorausgesetzt – das Grenzregime und das Maß an Bewegungsfreiheit für
       Menschen und Güter. Im Abstand von mindestens allen vier Jahren sollte dann
       geprüft werden, ob weitere Liberalisierungen möglich sind. Ist aktuell der
       richtige Zeitpunkt für einen diplomatischen Vorstoß und kann der Vorschlag
       im herrschenden politischen Kontext den Friedensprozess wirklich neu
       beleben?
       
       ## Aufgeben ist keine Option
       
       Heute abgegebene Absichtserklärungen sagen nicht unbedingt etwas über
       zukünftiges Handeln aus: Israels Premierminister Menachem Begin lehnte 1977
       den Abzug von der Sinai-Halbinsel strikt ab und gab schon wenige Jahre
       später selbst das Kommando dazu. Jitzhak Rabin lehnte noch 1991
       Verhandlungen mit der PLO ab – und unterzeichnete 1993 die Osloer
       Prinzipienerklärung.
       
       Und [4][Palästinenserpräsident Mahmud Abbas] mag politisch sehr geschwächt
       sein, aber es ist klar, dass er als einer der Mitbegründer der Fatah und
       später der PLO große Legitimität hätte, ein Friedensabkommen mit Israel zu
       unterzeichnen. Selbst wenn die Konföderation im Heiligen Land nicht von
       Dauer wäre, blieben einige ihrer Merkmale erhalten: der Grenzverlauf
       zwischen den zwei Staaten, der rechtliche Status der Bürger mit Wohnsitz im
       „anderen“ Staat, die Aufteilung Jerusalems in zwei Hauptstädte und
       natürlich die Regelung für die palästinensischen Geflüchteten.
       
       Wir dürfen nicht aufgeben. Die Konföderation im Heiligen Land soll auf
       pragmatische und flexible Weise die Möglichkeit schaffen, die tief
       wurzelnden Ursachen des Konfliktes anzupacken und eine faire und
       ernstgemeinte Lösung anzugehen.
       
       Aus dem Englischen von Stefan Schaaf
       
       25 Apr 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.monmouth.edu/news/documents/the-holy-land-confederation-as-a-facilitator-for-the-two-state-solution-english.pdf/
   DIR [2] https://press.un.org/en/2016/sc12657.doc.htm
   DIR [3] https://www.jpost.com/opinion/article-696830
   DIR [4] /Palaestinenserpraesident-Abbas/!5872041
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Hiba I. Husseini
   DIR Jossi Beilin
       
       ## TAGS
       
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