URI: 
       # taz.de -- Unterbringung minderjähriger Flüchtlinge: Bremen bleibt bei Turnhalle
       
       > Die Bremer Linksfraktion kritisiert die Unterbringung von Geflüchteten in
       > einer Turnhalle. Der Flüchtlingsrat spricht von Kindeswohlgefährdung.
       
   IMG Bild: Für den Flüchtlingsrat verweigerte Jugendhilfe: Unterbringung in einer Turnhalle, hier in Dresden
       
       BREMEN taz | Trotz ausreichend freier Plätze in den
       Erstaufnahmeeinrichtungen sind zur Zeit 14 unbegleitete minderjährige
       Geflüchtete in Bremen in einer Turnhalle untergebracht. [1][Die
       Linksfraktion fordert die Sozialbehörde auf], diese Unterbringung zu
       beenden: „Da werden besonders Schutzbedürftige ohne Not schlecht
       untergebracht – und aus unserer Sicht ohne guten Grund.“ Die Unterbringung
       in Sporthallen sollte das letzte Mittel sein, wenn ansonsten
       Obdachlosigkeit drohe. Das sei aktuell nicht der Fall, denn es gebe viele
       freie Plätze.
       
       Die Bremer Rechtsanwältin Nina Markovic schließt sich der Kritik an:
       „Meiner Einschätzung nach verstößt die Unterbringung in Turnhallen gegen
       die europarechtliche Aufnahmerichtlinie.“ Es gebe besondere Standards für
       [2][unbegleitete minderjährige Geflüchtete].
       
       In der Bürgerschaftssitzung beantwortete der Senat die Fragen der
       Linksfraktion zum Thema: Die Turnhalle sei im Dezember 2022 in einer Zeit
       der massiven Überbelegung von Flüchtlingsunterkünften angemietet worden.
       Für insgesamt ein Jahr solle die Turnhalle dazu dienen, die schwankenden
       Zu- und Wegzugszahlen auszugleichen. Einige der 14 Jugendlichen in der
       Turnhalle sollen in andere Bundesländer umverteilt werden. Der Großteil ist
       offenbar aus anderen Bundesländern nach Bremen zurückgekehrt.
       
       Doch warum steckt der Senat die Jugendlichen in eine Notunterkunft, wenn
       zur Zeit in den Erstaufnahmeeinrichtungen 80 Plätze frei sind? Wolf Krämer,
       Sprecher der Sozialbehörde, bezeichnet es als „fachlich sinnvoll“, diese
       Jugendlichen an einem anderen Ort unterzubringen. Den jungen Menschen werde
       so deutlich, dass eine neue Phase in ihrem Verfahren beginne. „Es handelt
       sich hier keineswegs um ein Druckmittel“, versichert Krämer.
       
       Seit einer [3][Gesetzesänderung 2015] dürfen minderjährige Geflüchtete in
       ein anderes Bundesland verteilt werden, wenn ein Land seine Aufnahmequote
       erfüllt hat. Davor war „aus fachlicher, pädagogischer und menschlicher
       Sicht klar, dass das kindeswohlgefährdend ist,“ sagt Gundula Oerter vom
       [4][Flüchtlingsrat Bremen]. „Wir müssen uns klarmachen: hier geht in erster
       Linie um Kinder und Jugendliche, die dem Jugendhilfegesetz unterliegen,
       schutzsuchende Minderjährige, die eine traumatisierende Flucht erlebt
       haben.“
       
       Dieses Verteilsystem hat seine Tücken: Denn die Jugendlichen, die gerne in
       Bremen bleiben wollen, können auch gegen ihren Willen verschickt werden –
       unter Androhung von Gewalt. Laut einer Verwaltungsanweisung ist die
       Verteilung von unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten „mit Zwangsmitteln
       durchsetzbar“. Es sind [5][Fälle] bekannt geworden, bei denen die
       Geflüchteten von der Polizei in Hand- und Fußfesseln in andere Bundesländer
       gebracht wurden.
       
       Bremen als Großstadt ist trotz der schlechten Versorgungslage besonders für
       People-of-Color-Geflüchtete attraktiver als ländliche Regionen. Zu den
       Sozialarbeiter*innen, Bezugsbetreuer*innen und anderen Geflüchteten
       bauen sie nach ihrer Ankunft in Bremen schnell Bindungen auf. „Diese sind
       schützenswert, da sie zur psychosozialen Stabilisierung enorm wichtig
       sind,“ sagt Gundula Oerter. Auch deshalb darf das Verfahren, mit dem das
       Jugendamt eine Umverteilung der Jugendlichen prüft, nur wenige Wochen
       dauern.
       
       „Das gezielte Downgrading der Unterbringung in Turnhallen ist mindestens
       verweigerte Jugendhilfe und Kindeswohlgefährdung,“ kritisiert Oerter vom
       Flüchtlingsrat Bremen. Das müsse im Kontext der Gewaltandrohung von
       Handfesseln gesehen werden. Und die Androhung von Gewalt sei bereits
       Gewalt. „Die Jugendlichen wissen, was passieren könnte, wenn sie sich der
       Umverteilung verweigern“, sagt Oerter. „Das ist der Einzug von komplettem
       Autoritarismus in die Jugendhilfe.“
       
       Oerter weist auch darauf hin, dass der Wille der Jugendlichen laut dem
       Sozialgesetzbuch bei den Entscheidungen der Jugendämter berücksichtigt
       werden müsse. Eine Umverteilung gegen den Willen der Jugendlichen komme „so
       gut wie nie vor“, versichert der Sprecher der Sozialbehörde.
       
       28 Apr 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.bremische-buergerschaft.de/drs_abo/2023-04-18_Frage%2019%20Stadtb%C3%BCrgerschaft_dac4a.pdf
   DIR [2] /Minderjaehrige-Gefluechtete/!t5007823
   DIR [3] https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl&jumpTo=bgbl115s1802.pdf#__bgbl__//*%5B@attr_id='bgbl115s1802.pdf'%5D__1682611797596
   DIR [4] https://www.fluechtlingsrat-bremen.de/
   DIR [5] /Kindeswohlgefaehrdung-in-Bremen/!5653928
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Clara Henning
       
       ## TAGS
       
   DIR Flüchtlingspolitik
   DIR Bremen
   DIR Jugendhilfe
   DIR Minderjährige Geflüchtete
   DIR Kindeswohl
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Minderjährige Geflüchtete
   DIR Geflüchtete
   DIR Jugendliche
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Rassistische Proteste sind verklungen: Die Ruhe nach dem Sturm
       
       In Dresden-Sporbitz haben monatelang Rechtsextreme gegen eine
       Asylunterkunft demonstriert. Wie geht es den kürzlich eingezogenen
       Geflüchteten?
       
   DIR Versorgung unbegeleiteter Minderjähriger: Container statt Turnhalle
       
       Hamburgs Jugendnotdienst ist durch eine hohe Zahl junger Geflüchteter
       gefordert. Nun wurden Container aufgestellt und Personalstandards
       gelockert.
       
   DIR Jugendliche Geflüchtete in Bremen: Umverteilt – auch mit Zwang
       
       Das Sozialressort will wieder Zwang nutzen, um junge Geflüchtete
       umzuverteilen – nach Berichten über gefesselte Teenies ein No Go für die
       Koalition.
       
   DIR Probleme in Hamburger Feuerbergstraße: Notruf aus dem Kindernotdienst
       
       Mitarbeitende des Kinder- und Jugendnotdienstes in Hamburg beklagen
       Überlastung und Überfüllung. Kinder würden in einer Turnhalle
       untergebracht.