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       # taz.de -- Krise in Frankreich: Angst und Desinteresse
       
       > Die Beziehungen zu Frankreich sind eng wie zu kaum einem anderen Land –
       > aber kaum jemand traut sich, die Krise im Nachbarland offen zu
       > analysieren.
       
   IMG Bild: Protest gegen die Rentenreform in Nizza, im März 2023
       
       Der Müll ist nach den tagelangen Streiks mittlerweile von den Straßen
       weggeräumt, aber der politische Scherbenhaufen ist noch einmal größer
       geworden in Frankreich, seitdem der Präsident [1][seine ungeliebte
       Rentenreform am Parlament vorbei durchgesetzt hat]. Und es stellen sich
       Fragen aus deutscher Sicht: Sollen wir eigentlich mit verschränkten Armen
       zuschauen, wie unser Nachbarland den Rechtsradikalen in die Hände fällt?
       Wäre es nicht an der Zeit, Vorschläge zu machen, wie man unseren Nachbarn
       ein wenig bei der Brandbekämpfung hilft?
       
       Es dürfte kaum europäische Länder geben, die so viele institutionelle
       Beziehungen etabliert haben wie Deutschland und Frankreich. Aber an
       Brückenbauern mangelt es. Wo sind eigentlich die Fachleute, die ernsthaft
       den Dialog mit den linksrheinischen Experten suchen über so
       demokratieuntaugliche Dinge wie das Präsidialsystem, das
       Mehrheitswahlrecht, das Zwei-Klassen-Bildungssystem, Geschichtsklitterung,
       die Zerschlagung von Parteien und ihr Ersetzen durch „mouvements“?
       
       Wo sind die linken Politiker, die die Anhänger von LFI (La France
       insoumise) zu überzeugen suchen, dass Populismus vielleicht eine Sahra
       Wagenknecht oder einen Jean-Luc Mélenchon zum Star erheben kann, aber keine
       sozialen Probleme löst? Wo sind die deutschen Gewerkschafterinnen, [2][die
       mal ein wenig zeigen, wie effizient Verhandlungen sein können]?
       
       Kann es sein, dass vor lauter Angst davor, sich als Lehrmeister aufspielen,
       lieber geschwiegen wird? Dass wir schön bequem die französische Mentalität
       bemühen, anstatt uns die Mühe zu machen, jene Kräfte zu verstehen und zu
       unterstützen, die nicht in dieses Schema passen? Wenn sich meinungsbildende
       Journalisten hierzulande billig über den „Größenwahnsinn“ eines Präsidenten
       aufregen, anstatt ernsthaft Strukturen zu analysieren, wenn ein Ulrich
       Wickert als der größte Frankreichversteher hierzulande gilt, dann darf man
       sich auch nicht wundern, wenn irgendwann einmal Rassemblement National
       Wahlen gewinnt und ein ganzes Land orbanisiert.
       
       26 Apr 2023
       
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