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       # taz.de -- Amoktat bei Zeugen Jehovas in Hamburg: Polizei und Schießklub im Visier
       
       > Verdacht auf fahrlässige Tötung und gefälschte Urkunden: Ermittler
       > durchsuchten die Wohnungen eines Polizisten und dreier
       > Schießklub-Mitglieder.
       
   IMG Bild: Ob dieser Ausgang vermeidbar gewesen wäre, untersucht die Hamburger Staatsanwaltschaft
       
       Hamburg taz | Wäre die [1][Amoktat gegen die Zeugen Jehovas] in Hamburg zu
       verhindern gewesen, der Anfang März sieben Menschen zum Opfer gefallen
       sind? Schon kurz nach der Tat lag der Verdacht nahe, weil immer mehr
       Details ans Licht kamen über Pannen der Polizei im Vorfeld der Tat.
       
       Und auch der Schießverein „Hanseatic Gun Club“, bei dem sich der Amoktäter
       Philipp F. vor der Tat registriert hatte, steht seither in der Kritik: Über
       den Klub, unweit der Hamburger Binnenalster gelegen, kam F. kurz vor der
       Tat als Sportschütze in den legalen Besitz einer Pistole. Die Hamburger
       Generalstaatsanwaltschaft hegt den Verdacht, dass in der Polizei und beim
       Schießklub kriminell gehandelt wurde: Unter anderem wegen fahrlässiger
       Tötung ermittelt sie nun, am Donnerstag ließ sie die Wohnungen von vier
       Beschuldigten durchsuchen.
       
       So durchsuchten die Ermittler:innen die Wohnung eines Mitarbeiters der
       [2][bei der Hamburger Polizei angesiedelten Waffenbehörde]. Auch in dessen
       Dienstraum in der Waffenbehörde tauchten die Ermittler:innen am
       Donnerstag auf. „Gegen den Mitarbeiter der Waffenbehörde bestehen
       zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht der fahrlässigen
       Tötung in sechs Fällen sowie der fahrlässigen Körperverletzung im Amt in 14
       Fällen“, teilte die Staatsanwaltschaft Hamburg mit.
       
       Er soll vor der Tat einen Hinweis über Philipp F. erhalten haben, diesen
       jedoch weder dokumentiert noch an seine Kolleg:innen der Waffenbehörde
       weitergeleitet haben. Bei dem Beamten soll es sich um einen Kontrolleur für
       Waffenbesitzer:innen handeln. Und: Er war wohl mehrere Jahre lang
       neben seinem Hauptberuf auch als Schießlehrer im Hanseatic Gun Club tätig.
       
       ## Schießklub hatte die Waffenbehörde informiert
       
       Bei diesen Hinweis über Philipp F. geht es um eine Warnung vor dessen
       Gefährlichkeit: Ein Verwandter von Philipp F., so berichtete es die Zeit,
       hatte sich im Januar zunächst an den Sportschützenklub gewandt, um
       mitzuteilen, dass der 35-Jährige psychisch krank und immer aggressiver sei.
       Der Hanseatic Gun Club wiederum – so berichtete es ein Sprecher des
       Schießklubs dem Onlinemedium „t-online“ – hatte den Mitarbeiter der
       Waffenbehörde darüber informiert.
       
       Konkret habe dieser ein Schreiben aus dem familiären Umfeld des
       Amokläufers, das Ende Januar bei der Behörde eingegangen war, nicht
       ordnungsgemäß bearbeitet. „Er wies insbesondere nicht darauf hin, dass er
       ein am 24. Januar 2023 bei der Waffenbehörde eingegangenes ‚anonymes‘
       Schreiben selbst als Form der Benachrichtigung vorgeschlagen hatte und um
       mögliche Urheber sowie weitere Hintergründe des Schreibens wusste“, teilt
       die Staatsanwaltschaft nun mit.
       
       Die Folge: Der zuständige Sachgebietsleiter der Waffenbehörde ordnete „nur
       eine unangekündigte Aufbewahrungskontrolle für die im Besitz von Philipp F.
       befindliche Schusswaffe an, anstatt sich gezielt weitere Informationen zu
       verschaffen und die Schusswaffe nebst Munition sodann umgehend
       sicherzustellen“, so die Staatsanwaltschaft. Tatsächlich hatte die
       Waffenbehörde auf Grundlage der anonymen Warnung lediglich eine
       „unangekündigte Aufbewahrungskontrolle“ der Schusswaffe bei Philipp F.
       angeordnet.
       
       Aus diesem Grund hatte auch die Hamburger Polizei schon dienstrechtlich
       gegen den Beamten ermittelt. „Nachdem dieser Vorwurf sich bestätigt hat,
       ist ein formelles Disziplinarverfahren im Hinblick auf unterlassene
       Beratungs- und Unterstützungspflicht eingeleitet worden“, teilte sie auf
       Nachfrage mit. Er sei mit sofortiger Wirkung von seinen Aufgaben in der
       Waffenbehörde entbunden worden.
       
       Ob aber die Polizei dem Amoktäter nicht auch ohne die zusätzlichen vom
       Beamten vorenthaltenen Informationen die Waffen hätte wegnehmen können,
       steht weiter zur Diskussion: Die Polizei habe den Brief zwar ernst
       genommen, sich aber in ihren Handlungsmöglichkeiten beschränkt gesehen,
       hatte [3][Hamburgs Polizeipräsident Ralf Martin Meyer] nach der Tat
       erklärt. Dass [4][eine gründliche Internetrecherche] Anlass zu berechtigter
       Sorge am psychischen Zustand von Philipp F. gegeben hätte und zu einem
       Entzug der Waffe hätte führen können, hatte sich jedoch bereits kurz nach
       der Tat angedeutet.
       
       Gegen drei Mitglieder des Schützenvereins wiederum laufen Ermittlungen
       wegen des Anfangsverdachts der Falschbeurkundung im Amt. Sie sitzen im
       Prüfungsausschuss des Vereins. „Der Prüfungsausschuss hatte Philipp F.
       ‚blanko‘ ein auf den 28. April 2022 datiertes Sachkundezeugnis
       ausgestellt“, heißt es seitens der Staatsanwaltschaft.
       
       Dieses Sachkundezeugnis ist nach dem deutschen Waffenrecht Voraussetzung
       zum Umgang mit Waffen und Munition. Wer das Zeugnis erhalten will, muss
       neben einer theoretischen auch eine praktische Prüfung erfolgreich
       absolvieren. Vor dem Prüfungsausschuss des Klubs musste auch Philipp F.
       einen sicheren Umgang mit Waffen vorweisen. Dazu gehört etwa, dass eine
       Waffe nach dem Schießen wieder gesichert abgelegt wird.
       
       Jedoch soll er bei dieser Prüfung durchgefallen sein. Daraufhin jedoch soll
       F. die Prüfung nicht wiederholt haben. „Stattdessen soll ein Mitglied der
       Prüfungskommission eine angeblich erfolgreich verlaufene ‚Nachprüfung‘
       vorgenommen haben, die anschließend mit dem Sachkundezeugnis gegenüber der
       Waffenbehörde dokumentiert wurde“, so die Staatsanwaltschaft. Folglich:
       Philipp F. hätte keine Waffe besitzen dürfen, die drei Verdächtigen sollen
       das erst illegal ermöglicht haben.
       
       Dabei soll es sich jedoch nicht um ein einmaliges Vorgehen gehandelt haben.
       Sie sollen in der Vergangenheit „in einer Vielzahl von Fällen unzutreffende
       Sachkundezeugnisse ausgestellt und damit die Durchführung einer irregulären
       Nachprüfung gegenüber der Waffenbehörde verschleiert haben“, teilt die
       Staatsanwaltschaft mit.
       
       Damit steht auch die Frage zur Zukunft des Hanseatic Gun Clubs, der den
       Schießstand als kommerzielles Unternehmen führt, im Raum. Fraglich ist, ob
       er als Betreiber noch geeignet und zuverlässig ist, wie es das Waffengesetz
       vorschreibt. Danach sieht es gegenwärtig nicht aus, auch wenn der Klub auf
       seiner Homepage noch immer damit wirbt, bei den Schütz:innen „eine
       entsprechende Bewertung von Zuverlässigkeit, physischer und psychischer
       Eignung vorzunehmen“.
       
       27 Apr 2023
       
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