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       # taz.de -- Ukrainische Krankenhäuser im Krieg: Schlaganfall bei Luftalarm
       
       > Auch im Krieg werden Menschen krank. Doch bei drohenden Raketenangriffen
       > fahren keine Rettungswagen. Auch nicht bei schweren medizinischen
       > Notfällen.
       
   IMG Bild: Bleiben bei Luftalarm in der Garage: neue Rettungswagen in der ukrainischen Hauptstadt Kyjiw
       
       „Coronavirus? Gibt’s das noch?“, fragte eine Bekannte, die als Freiwillige
       aktiv ist, als ich ihr von meiner Coviderkrankung erzählte. Und diese
       Reaktion ist auch verständlich. Wenn jeden Tag Menschen durch Minen und
       Bomben sterben und ganze Städte dem Erdboden gleichgemacht werden,
       verlieren Nachrichten über das Virus – und andere Krankheiten – vor diesem
       Hintergrund irgendwie an Bedeutung.
       
       Mit Kriegsbeginn galt schnell alle Aufmerksamkeit dem Kampf gegen den
       Gegner und der Hilfe für die Leidtragenden dieses Krieges. Die
       wöchentlichen Zahlen der an der Krankheit Gestorbenen wurden von den
       Nachrichten über die Opfer von Kampfhandlungen und Raketenangriffen
       abgelöst. Gleichzeitig ist die Belastung von Ärzten deutlich gestiegen. Und
       hier geht es nicht nur um Covid, obwohl die Zahl der Infizierten gerade
       wieder einmal stark ansteigt.
       
       In den ersten Kriegsmonaten blieb mein Vater, Herzchirurg am städtischen
       Krankenhaus, immer bis spätabends bei der Arbeit. Einer seiner besten
       Kollegen war an die Front gegangen, wo er bis heute arbeitet, während fast
       alle anderen wichtigen Herzzentren durch die Bombardierung entweder nicht
       mehr in Betrieb oder vom Rest der Ukraine abgeschnitten waren. [1][Die
       großen Ströme vor dem Krieg flüchtender Menschen] hatten dazu geführt, dass
       zu jener Zeit etwa die Hälfte aller Kranken in Lwiw aus anderen Regionen
       des Landes stammte. [2][Aus Mariupol, Odessa oder Dnipro zum Beispiel].
       
       Und fast alle Krankheitsfälle waren besonders schwere. Im Krieg möchte
       niemand wirklich gerne ins Krankenhaus, das heißt, es gingen überhaupt nur
       noch die zum Arzt, die es gar nicht vermeiden konnten. Zu jener Zeit war
       auch überhaupt noch nicht klar, ob Kyjiw, Charkiw oder Odesa fallen würden
       oder nicht. Ob die Logistik in den Krankenhäusern weiter funktionieren
       würde, ob es dort weiterhin Medikamente, Geld und Ausstattung gäbe.
       
       Mittlerweile hat sich die Lage stabilisiert. Aber der Krieg fordert
       weiterhin Menschenleben, auch fern der Front. Bei jedem Luftalarm stellen
       die Rettungswagen ihre Tätigkeit ein und die Aufnahmestationen der
       Krankenhäuser werden geschlossen. Und gerade während eines Luftalarms
       erlitt die Mutter eines meiner Freunde kürzlich einen Schlaganfall. Obwohl
       ihre Wohnung nicht weit von einem Krankenhaus entfernt lag, konnten die
       Ärzte ihr während eines Zeitraums von mehreren Stunden aus Angst vor
       Raketenangriffen nicht helfen. Sie starb einige Tage später.
       
       Wenn solche Dinge in Lwiw passieren, Tausende Kilometer von der Front
       entfernt, wie ist es dann erst in den Städten und Dörfern, die direkt an
       der Frontlinie liegen oder ständig bombardiert werden? Wir werden
       vermutlich nie erfahren, wie viele Menschen in Cherson, Mariupol und
       Charkiw aus dem einfachen Grund gestorben sind, weil sie nicht rechtzeitig
       medizinische Hilfe bekommen konnten.
       
       Mein Vater und seine Kollegen stellen während des Luftalarms nie die Arbeit
       ein. Sie können ihre Patienten nicht im einfach im Stich lassen. Oder sie
       nicht weiter behandeln. Und während an der Front jeden Tag Hunderte
       sterben, können Ärzte in den Operationssälen täglich stundenlang alles
       dafür tun, ein einziges Leben zu retten. Diese Kontrast ist manchmal
       erschütternd. Aber er gibt auch Hoffnung. Darauf, dass nach einem Ende des
       Krieges das Leben seinen Wert zurück erhält. Schade nur, dass es dann für
       viele zu spät ist.
       
       Aus dem Russischen von [3][Gaby Coldewey] 
       
       Finanziert wird das Projekt von der [4][taz Panter Stiftung].
       
       Einen Sammelband mit den Tagebüchern hat der [5][Verlag edition.fotoTAPETA]
       im September 2022 herausgebracht.
       
       15 Apr 2023
       
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