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       # taz.de -- Schau „Indigo Waves“ zu Afrika und Asien: Und so navigiert man weiter
       
       > „Indigo Waves and Other Stories“ zeigt Verbindungen zwischen Afrika und
       > Asien. Sie läuft im Gropius Bau und im Savvy Contemporary Berlin.
       
   IMG Bild: Adama Delphine Fawundu sucht die Gottheiten des Wassers in „Sopdet Illuminates“, 2017
       
       Über den Atriumboden des Berliner Gropius Baus erstreckt sich eine dunkle
       Fläche. Zahllose kleine Punkte blitzen auf, wenn man darüberläuft, der
       Himmel spiegelt sich in ihnen. Man könnte die Rauminstallation „Rainbow
       Serpent“ des australischen indigenen Künstlers Daniel Boyd glatt für einen
       Teil der Gruppenausstellung „Indigo Waves and Other Stories: Re-Navigating
       the Afrasian Sea and Notions of Diaspora“ halten, so gut passt sie zum
       Thema. Die (Re-)Navigation entlang der Küsten des Indischen Ozeans beginnt
       so schon vor den eigentlichen Türen der Schau.
       
       Bahari Hindi, Ziwa Kuu, Swahili-Meer. Der Indische Ozean zwischen Afrika,
       Asien und Australien hat viele Namen. Forscher und Dokumentarfilmer John
       Njenga Karugia nennt ihn „Afrasisches Meer“, das sei kosmopolitischer.
       
       In seinem ausgestellten Dokumentarfilm „Afrasian Memories from East Africa“
       erzählt er hier kaum bekannte Geschichten über Austausch und Verbindungen
       zwischen Kenia, Oman und Indonesien. Von einem kenianischen Priester etwa,
       der den Spuren seines Urgroßvaters folgt. Er war Ende des 19. Jahrhunderts
       erst versklavt und dann von Missionaren in Mumbai zum Pfarrer ausgebildet
       worden, bevor er zurück nach Mombasa kam.
       
       Das Kuratorenteam Natasha Ginwala und [1][Bonaventure Soh Bejeng Ndikung,
       der seit März neuer Intendant des Berliner Hauses der Kulturen der Welt
       ist], versammelt in dieser Ausstellung 39 Künstler:innen, von denen bislang
       noch nicht viele in Deutschland zu sehen waren, und sie zeigen
       zeitgenössische Kunst aus einem Kulturraum um jenes „Afrasische Meer“, der
       in hiesigen Ausstellungen kaum thematisiert wird.
       
       Dabei erstreckt sich die Schau auf zwei Standorte, die [2][großen,
       abstrakten Malereien von Oscar Murillo] etwa sind auch an einem anderen
       Teil der Stadt im Savvy Contemporary zu sehen, jenem Kunsthaus, das
       Bonaventure Soh Bejeng Ndikung bis vor Kurzem leitete.
       
       ## Perspektiven auf Migration, Kultur und Natur
       
       „Indigo Waves and Other Stories“ ist eine ästhetisch leise Schau. Geradezu
       vorsichtig scheinen sich Ginwala und der neue HKW-Intendant nun im Gropius
       Bau zu positionieren. Gibt das einen ersten Ausblick darauf, was Ndikung im
       HKW vorhat? Die beiden möchten Perspektiven nahebringen, menschliche und
       nichtmenschliche, auf Migration, Kultur und Natur.
       
       Um eine Dezentrierung des Blicks geht es ihnen, wie ihn auch die oft
       zitierte dekoloniale Denkerin Françoise Vergés theoretisiert hat, bisweilen
       weg vom geografischen Fokus auf den transatlantischen Raum im post- und
       dekolonialen Diskurs, hin zu anderen ozeanischen Verbindungen in unserer
       Geschichte. Und dieses Dezentrieren, man spürt es auch räumlich in der
       Ausstellung, die Kunst fädelt sich sehr sachte durch die Gänge.
       
       Im Senegal gesammelt, mit Kupfer überzogen und sorgsam auf einem weißen
       Podest im Gropius Bau angeordnet, liegen da zum Beispiel hunderte von
       Sepiaschalen, zerbrechlich und hülsenhaft. In der Arbeit der in Berlin
       lebenden Künstlerin Jeewi Lee sind die feinen Knochengewebe Träger
       ozeanischer Erinnerung, Speicher des Meereslebens.
       
       ## Gase und Erden sprechen
       
       Das Motiv des Wassers und der Wasserwege kommt immer wieder vor. Adama
       Delphine Fawundu beschwört in einer großen Sound- und Videoinstallation die
       Gottheiten der Gewässer. Clara Jo untersucht derweil in einer teils
       dokumentarischen, teils animierten Filmarbeit die Bedeutung von Ankunft und
       Erstkontakt auf der mauritischen Quarantäneinsel Flat Island aus der
       Vogelperspektive. Bild-Ton-Scheren verfremden das Gezeigte, ist man Vogel,
       ist man Mensch? In Köken Erguns poppigem Animationsfilm „China, Beijing, I
       Love You!“ über die maritime Seidenstraße im Indischen Ozean fangen auch
       die Gase und Erden an zu sprechen.
       
       Als internationales Ausstellungsprojekt mit Partnern in Südafrika, Pakistan
       und Australien wurde „Indigo Waves and Other Stories“ entwickelt, 2022 war
       es bereits im Seitz MOCCA in Kapstadt zu sehen. Der einzige europäische
       Ausstellungsstandort Berlin steht dabei zugleich für die europäische
       Kolonialgeschichte in der Region. Von 1885 bis 1918 waren die Länder
       Tansania, Burundi und Ruanda die Kolonie Deutsch-Ostafrika.
       
       Bis heute bestehende Abhängigkeiten zu Europa skizziert der aus dem
       französischen Departement La Réunion kommende Jack Beng-Thi in seinen
       aufwendig gefertigten Buchskulpturen. Sie erzählen vom kulturellen
       Austausch der Insulaner untereinander und entwerfen eine alternative
       Kartografie zu der militärischen oder wirtschaftlichen.
       
       Die Bezüge bleiben in dieser Schau etwas lose. Und wie stehen die beiden
       Standorte zueinander? Geht es um die lediglich feinen Linien, wie die
       Gedichtsbanner, die sich durch die musealen Säle des Gropius Baus bis zu
       den rohen Betonräumen des Savvy Contemporary weben? „The way return is both
       homecoming and distant island“, heißt es auf einem der Banner von Tishani
       Doshi. Und so navigiert man weiter.
       
       3 May 2023
       
       ## LINKS
       
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   DIR Amelie Sittenauer
       
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