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       # taz.de -- Letzter Tag der deutschen Atom-Ära: „Schwarzer Tag für Deutschland“
       
       > Am Samstag werden die letzten drei Atomkraftwerke abgeschaltet. Die einen
       > feiern, während Union und manche Wissenschaftler den Ausstieg
       > kritisieren.
       
   IMG Bild: Unwiederbringlich abgeschaltetes AKW: Sprengung des Kühlturms in Biblis im Februar
       
       Berlin dpa/taz | Für sie ist der Samstag ein Feiertag: Zahlreiche
       Anti-Atomkraftbürgerinitiativen bereiten sich auf die bevorstehende
       Abschaltung der letzten drei deutschen Atomkraftwerke vor. In der Nähe des
       AKW Emsland im niedersächsischen Lingen wollen etwa das Bündnis
       Atomkraftgegner_innen im Emsland (AgiEL) und der Bundesverband
       Bürgerinitiativen Umweltschutz demonstrieren.
       
       Sie haben lange für den Atomausstieg gekämpft. Wunschlos glücklich sind sie
       aber nicht: [1][Die örtliche Brennelementefabrik würden sie auch gern
       stillgelegt sehen.] Diese darf trotz Atomausstieg weiterlaufen und AKW in
       anderen Ländern beliefern.
       
       Neben dem AKW Emsland stehen die Anlagen Neckarwestheim 2 in
       Baden-Württemberg sowie Isar 2 in Bayern vor dem Aus. Derweil ist die
       Stimmung in Deutschland gemischt. Eine Mehrheit der Deutschen steht dem am
       Samstag geplanten Atomausstieg laut Umfragen kritisch gegenüber. Mit 59
       Prozent hält mehr als die Hälfte die Entscheidung der Politik für falsch,
       lediglich rund ein Drittel für richtig, wie die Befragung
       [2][Deutschlandtrend] für das ARD-“Morgenmagazin“ ergab.
       
       Kurz nach der Atom-Katastrophe im japanischen Fukushima im Jahr 2011 war es
       ungefähr andersherum gewesen. Damals hatte der Deutschlandtrend eine
       Mehrheit von 53 Prozent für einen raschen Atomausstieg ergeben, bei 43
       Prozent dagegen. Das ZDF-Politbarometer kam damals sogar auf 60 Prozent für
       einen schnellstmöglichen Atomausstieg.
       
       ## Junge Menschen sind für den Atomausstieg
       
       Unter den jungen Menschen, nämlich in der Gruppe der 18- bis 34-Jährigen,
       gibt es auch heute noch überwiegende Zustimmung für den Atomausstieg. Mit
       den Problemen, die auf diese Generation noch zukommen, begründet auch
       Bundesumweltministerin Steffi Lemke, warum sie den Schritt für richtig
       hält.
       
       „Vor uns liegen nun einerseits Jahrzehnte voller Herausforderungen, bis wir
       die atomaren Hinterlassenschaften sicher und verantwortbar beseitigt
       haben“, sagte die Grünen-Politikerin. Nach wie vor gibt es keinen Standort
       für ein Endlager, in dem hochradioaktiver Atommüll gelagert werden kann.
       Die bisherigen Endlager für leicht und mittel radioaktiven Atommüll
       [3][sind marode]. 2027 soll ein neues in Betrieb gehen. „Der Atomausstieg
       macht unser Land sicherer, die Risiken der Atomkraft sind letztlich
       unbeherrschbar“, resümierte Lemke.
       
       Das sieht CDU-Chef Friedrich Merz anders. Er nannte den Samstag gegenüber
       dem Sender NDR Info einen „schwarzen Tag für Deutschland“. Auch der
       CSU-Vorsitzende Markus Söder übte erneut scharfe Kritik. „Das ist ein ganz
       trauriges Kapitel deutscher Energiepolitik“, sagte er in der Sendung
       Frühstart von RTL/ntv.
       
       Söder argumentierte damit, Deutschland solle auf eine Diversifizierung der
       Energieversorgung setzen, um auf Energiekrisen besser reagieren zu können.
       Außerdem seien AKW klimafreundlich.
       
       ## Wissenschaftler:innen schreiben offenen Brief
       
       So argumentieren auch einige Wissenschaftler:innen in einem
       [4][offenen Brief] an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), den sie auf der
       Website der Organisation Replanet DACH veröffentlichten. Mit dabei sind
       etwa der US-amerikanische Klimaforscher James Hansen, der deutsche
       Physik-Nobelpreisträger Klaus von Kitzing. Die Gruppe fordert den
       Weiterbetrieb der AKW aus Klima-Gründen.
       
       Dabei überschätze sie aber den CO2-Einspareffekt, den die drei Anlagen
       hätten, [5][kritisierte etwa der Klimapolitikwissenschaftler Niklas Höhne
       auf Twitter]. Der methodische Fehler: Die Vertreter:innen des offenen
       Briefs würden davon ausgehen, dass die AKW ausschließlich die
       klimaschädlichen Kohlekraftwerke ersetzen würden – und nicht etwa auch
       klimafreundlichen Windstrom.
       
       Im vergangenen Jahr stammte fast die Hälfte des in Deutschland produzierten
       Stroms aus erneuerbaren Quellen. Es könnte jedoch mehr sein. Wenn die
       Stromnetze überlastet sind, [6][müssen immer wieder Windräder und teils
       auch Solaranlagen abgestellt werden]. Kohle- und Atomkraftwerke können
       nicht so schnell runter- und hochgefahren werden und sind deshalb weniger
       flexibel einsetzbar.
       
       Eine am Freitag vorgestellte [7][Studie] des Analyse-Instituts Enervis im
       Auftrag des Umweltverbands Greenpeace und des Ökostromunternehmens
       Greenpeace Energy legt auch nahe, dass der positive Klimaeffekt der drei
       AKW eher marginal ist. Die Analyst:innen haben untersucht, wie es sich
       ausgewirkt hat, dass die Anlagen erst jetzt vom Netz gehen anstatt wie
       ursprünglich angedacht Ende 2022.
       
       Das Ergebnis: Die Laufzeitverlängerung führte zu einer Einsparung von 1,5
       Millionen Tonnen CO2. Zum Vergleich: Das entspricht 0,2 Prozent der
       deutschen Emissionen aus dem vergangenen Jahr. Auch für die
       Versorgungssicherheit seien die AKW während ihres Streckbetriebs zu keinem
       Zeitpunkt entscheidend gewesen.
       
       14 Apr 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Deutsche-Brennstaebe-fuer-russische-AKW/!5928104
   DIR [2] https://www.tagesschau.de/inland/deutschlandtrend/
   DIR [3] /Atommuelllager-saeuft-ab/!5914980
   DIR [4] https://replanet-dach.eu/offener-brief-akw/
   DIR [5] https://twitter.com/niklashoehne/status/1646776253242830849
   DIR [6] /Zu-langsamer-Ausbau-der-Stromnetze/!5902431
   DIR [7] https://www.greenpeace.de/klimaschutz/energiewende/atomausstieg/streckbetrieb-gebracht
       
       ## TAGS
       
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