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       # taz.de -- Komponistin über Flucht als Opern-Thema: „Wir stumpfen langsam ab“
       
       > Die Komponistin Cat Hope zeigt ihre Oper „Speechless“ in Hamburg. Texte
       > gibt es in dem Stück nicht, dafür aber Sänger*innen mit
       > Fluchterfahrung.
       
   IMG Bild: Leben auf der Flucht: Blick in eine Notunterkunft in den Hamburger Messehallen im März 2022
       
       taz: Frau Hope, Sie stecken mitten in den Proben. 
       
       Cat Hope: Ja, stimmt, ich habe Ihren ersten Anruf fürs Interview auch
       verpasst, weil die Probe länger gedauert hat.
       
       Worum geht es in „Speechless“ – und wie ist es dazu überhaupt gekommen? 
       
       Ich hatte die Idee vor fast zehn Jahren, 2014, als die
       Menschenrechtskommission in meiner Heimat [1][Australien] einen Report über
       asylsuchende Kinder in Einwanderungshaft veröffentlicht hat. Die
       Bedingungen der Haft waren besonders für die Kinder sehr schlecht. Es gab
       ein hohes Maß an Selbstverletzung. Das australische Parlament hat auf
       diesen Bericht allerdings kaum reagiert, was mich sehr frustriert hat. Die
       Oper ist meine Antwort auf den Umgang mit Geflüchteten und Asylsuchenden
       auf der ganzen Welt.
       
       Sie nutzen Ihre Stimme als Künstlerin, um auf einen Missstand aufmerksam
       zumachen? 
       
       Das Werk ist ein künstlerischer Selbstausdruck, aber ich hoffe, damit
       dieses Thema in den Köpfen der Menschen am Leben zu erhalten. Man sieht so
       viele Berichte in den Nachrichten und stumpft langsam ab gegenüber all dem
       Leid. Ich hoffe, das Stück weckt vielleicht wieder ein bisschen Empathie.
       
       Durch den Krieg in der Ukraine ist das Flüchtlingsthema jetzt auch bei der
       europäischen Erstaufführung sehr aktuell. 
       
       Absolut, und diese Oper passt sich an ihre Umgebung an und reagiert darauf,
       das ist eine ihrer Besonderheiten: Die Musiker sollen immer dort leben, wo
       geprobt und aufgeführt wird. Die meisten von ihnen haben einen
       Fluchthintergrund. Deshalb besteht unser Opernchor in Hamburg auch aus
       ukrainischen Sängern. In Australien hatten wir zum Beispiel einen
       iranischen Musiker dabei, der in seiner Heimat nicht mehr auftreten durfte.
       
       Dass Musiker mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen mitwirken
       können: Liegt das auch an Ihrer besonderen Notationsweise? 
       
       Ja, denn ich schreibe so, dass die Partitur von jedem Musiker gelesen
       werden kann, nicht nur von denen mit westlichem Hintergrund. Ich schreibe
       keine Notenköpfe, sondern arbeite mit Formen und Farben. Es ist eine
       graphische Notation. Die Musiker lesen die Partitur auf miteinander
       verbundenen iPads. Es werden dabei auch weitere Möglichkeiten digitaler
       Medien genutzt: Die Partitur ist ständig in Bewegung und kontrolliert
       beispielsweise auch automatisch das eingespielte Video und das Licht der
       Aufführung. Ich nenne es „animierte Notation“. Das ist wirklich ein ganz
       neues System.
       
       Die Notation ist nicht das einzig Ungewöhnliche: „Speechless“ ist auch eine
       Oper ohne Text. Wird also gar nicht gesungen? 
       
       Eine gute Frage. Es wird gesungen, es gibt allerdings tatsächlich kein
       Libretto. Die Sänger haben also keinen Text, sondern produzieren Töne und
       Geräusche. Der Name der [2][Oper] ist hier Programm.
       
       In Australien wurde „Speechless“ 2020 als Werk des Jahres bei
       ausgezeichnet. Erwarten Sie ähnliche Reaktionen nun auch in Deutschland? 
       
       Das [3][Flüchtlingsthema] ist immer noch auf der ganzen Welt sehr aktuell
       und ich hoffe natürlich, dass die Reaktionen hier ähnlich ausfallen werden
       wie 2019 bei der Premiere in Australien. Wir wollen mit der Musik ein
       Bewusstsein schaffen und die Menschen zum Nachdenken, vor allem aber zum
       Handeln anregen. Das ist mein Ziel als Künstlerin.
       
       2 May 2023
       
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