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       # taz.de -- Leiter übers Kieler Frequenz-Festival: „Die Menschen kommen ganz zufällig“
       
       > Eine Woche lang verknüpft das Frequenz-Festival in Kiel Neue Musik,
       > Performances und Audiovisuelles. Sharif El Razzaz über Kunst und
       > Zugänglichkeit.
       
   IMG Bild: Inspiration für eines der Stücke des Ensemble Recherche (12. Mai): Atchafalaya Basin am Mississippi
       
       taz: Herr El Razzaz, warum braucht Kiel ein Festival für Neue Musik? 
       
       Sharif El Razzaz: Wir wollten die Neue Musik in die Stadt bringen und den
       Menschen zugänglich machen. Es ist sehr schwer, ein breites Publikum für
       klassische Musik zu begeistern, so sind wir darauf gekommen, auch
       Performances und audiovisuelle Kunst zu zeigen. Wir wollen nicht nur die
       typischen Konzertgänger erreichen, sondern die Bürgerinnen und Bürger
       Kiels. Das Motto lautet schließlich: „Ein Festival für meine Stadt“.
       
       Das Thema Zugänglichkeit beschäftigt gerade viele Veranstalter. Was
       unterscheidet Ihr Festival von den anderen? 
       
       Wir heben uns zum Beispiel dadurch ab, [1][dass das Festival kein
       bestimmtes Thema hat]. Das passiert ja im Kulturbetrieb häufig, dass auf
       einmal alle das Gleiche machen, weil es im Trend ist. Wir passen unser
       Programm ganz den Möglichkeiten der Stadt an und fragen uns: „Was ist
       interessant in Kiel, was passiert in Kiel?“
       
       Was ist denn interessant in Kiel? 
       
       Besonders sind natürlich schon unsere Spielorte, die eben nicht der
       klassische Konzertsaal sind. Stattdessen finden die Auftritte an bekannten
       und beliebten Orten statt, wie der Stadtgalerie oder dem Kulturforum.
       Dadurch kommen die Menschen oft ganz zufällig vorbei und sind dann schnell
       mittendrin. Für unsere Veranstaltungen muss man keine Karten reservieren
       oder bestellen, sondern kauft die direkt vor Ort.
       
       Einer dieser besonderen Orte ist auch das Zoologische Museum, dort wird die
       [2][Klanginstallation „Homeostasis“] gezeigt – was hat es damit auf sich? 
       
       An diesem Beispiel kann man schön sehen, wie gut die gezeigte Kunst zu
       ihrer jeweiligen Location passt. „Homeostasis“ wurde 2022 im Ozenanium in
       Stralsund uraufgeführt und nun im Auftrag des Festivals weiterentwickelt.
       Die Komponistin Kirsten Reese verknüpft Musik mit Lauten und Klängen von
       Tieren des Ozeans und Meeresgeräusche miteinander. Dazu projiziert der
       Künstler Robert Seidel abstrakte Filmsequenzen aus der Tier- und
       Pflanzenwelt des Meeres. Und das alles zwischen den beiden riesigen
       Wal-Skeletten des Museums: Sinnbildlicher kann es kaum sein.
       
       Sinnbildlich auch für das angeschlagene Verhältnis von Mensch und Natur und
       den Klimawandel? 
       
       Ja, es geht um das Gleichgewicht zwischen dem Meer und den Menschen. Das
       Werk soll allerdings keine Kritik sein, sondern eine Sensibilisierung. Wir
       Menschen können nicht sehen, was unter der Wasseroberfläche passiert, durch
       die Musik können wir aber klanglich ins Meer hinabtauchen. „Homeostasis“
       zeigt einen utopischen Entwurf des friedlichen Zusammenlebens aller Arten,
       im Meer sowie an Land. Es ist auch deshalb ein interessantes,
       interdisziplinäres Projekt, weil wissenschaftliche Themen mit
       künstlerischen Ausdrucksformen verbunden werden.
       
       Nachhaltigkeit ist generell ein wichtiger Aspekt des Festivals, nicht wahr? 
       
       Absolut, wir wollen kein Festival gestalten, dass bestimmte politische
       Ereignisse oder Strömungen ausnutzt, um erfolgreich zu sein. Unsere
       Kulturarbeit soll genau hier in die Bevölkerung investiert werden, sodass
       die Menschen vor Ort profitieren können. Mir ist es auch wichtig, dass
       Auftragskompositionen nicht nur ein- oder zweimal gespielt werden, sondern
       so wie „Homeostasis“ immer weiterentwickelt werden. Das ist für mich
       Nachhaltigkeit.
       
       5 May 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.frequenz-kiel.de/
   DIR [2] https://www.frequenz-kiel.de/neues/homeostasis-kirsten-reese-robert-seidel
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Selma Schiller
       
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