# taz.de -- Stuckrad-Barres #MeToo-Roman: Privilegiertheit, dient der Sache
> Patriarchale Machtstrukturen existieren noch. Deshalb hilft es, wenn
> mächtige Autoren wie Benjamin von Stuckrad-Barre dies anprangern.
IMG Bild: Literatur hat die Macht zur gesellschaftlichen Veränderung, weil sie Zustände nacherfahrbar macht
Klar, eigentlich war schon vor Beginn der Woche alles gesagt zu „Noch
wach?“, dem neuen Roman von Benjamin von Stuckrad-Barre. Lange war er
erwartet, gut choreografiert die Werbung vorab: vom Autor auf Instagram,
aber auch durch den [1][zeitlich günstigen Leak peinlicher Nachrichten von
Mathias Döpfner an Ex-Bild-Chef Julian Reichelt], zwei reale Personen, mit
denen die fiktionalen im Roman durchaus Ähnlichkeiten haben. Und dann
natürlich [2][die Rezensionen].
Aber wie immer, wenn’s diskursiv brisant wird, liest man am besten nicht
nur Sekundärliteratur, sondern den Originaltext.
Und der wird seine Wirkung über die Woche nach seinem Erscheinen hinaus
weiterhin entfalten. Ja, es ist ein Roman, wenn auch einer, der
unübersehbare Ähnlichkeiten mit der Realität aufweist – einer Realität,
die vielen Medienschaffenden wohlvertraut ist. Darum liegt es nahe, dass
mehr als bei anderen Romanen über die Grenzen zwischen Fakten und Fiktion
und über den Wahrheitsgehalt geredet wurde. Und ja, beim Lesen schleicht
sich immer wieder so eine Gala-und-Bunte-Schauderlust ins Hirn, die sich
aus der vermeintlichen Echtheit der ausgebreiteten Unsäglichkeiten speist.
Und ja, die Vorlagen in der Realität sind da.
Diese literarische Nähe zum Leben kann man blöd finden: Ist es ein
Verpetzen auf juristisch sicherer, weil ja am Ende doch fiktiver Seite? Ist
es amoralisch, „sich“ literarisch als Beobachter zu gerieren, wenn „man“ in
Wahrheit doch Teil des ausbeuterischen Systems ist? Das Buch handelt vom
ekligen Verhalten mächtiger Männer gegenüber Frauen. Und warum zum Teufel
muss überhaupt ein Mann über ebendiesen Machtmissbrauch schreiben?
Na ja, Kunst kommt am Ende immer von Machen. Klar erfordert es sehr viel
weniger Mut, sich mit dem Anprangern mächtiger Männer zu exponieren, wenn
man, wie der Autor selbst, finanziell nicht allzu prekär dasteht.
Am Ende aber ist es [3][Stuckrad-Barres Prominenz], seine Privilegiertheit,
die der Sache dient – weil er schlicht mehr Leser erreicht. Und weil
Literatur subtiler und nachhaltiger als Journalismus die Realität verändern
kann: Sie hat die Macht zur gesellschaftlichen Veränderung, weil sie
Zustände nach-erfahrbar macht. Deshalb spielt es am Ende gar keine Rolle,
ob der „Freund“ im Roman tatsächlich Döpfner ist. Wichtig ist, dass sehr
viel mehr Menschen, die nie von Machtmissbrauch betroffen waren, vielleicht
auch ein paar Bros aus der Branche, mitkriegen, wovon bei #MeToo wirklich
geredet wird. Teil des Systems zu sein reicht da ja eben nicht. Zur letzten
Erkenntnis braucht es das Brennglas der Literatur: die Verdichtung,
Dramatisierung, Skandalisierung.
29 Apr 2023
## LINKS
DIR [1] /Enthuellungsroman-ueber-Medienbranche/!5925468
DIR [2] /Stuckrad-Barres-neuer-Roman/!5926448
DIR [3] https://blendle.com/i/der-spiegel/da-gibt-es-nichts-mehr-zu-duzen/bnl-derspiegel-20230422-8_1?sharer=eyJ2ZXJzaW9uIjoiMSIsInVpZCI6ImFyaWFuZWxlbW1lIiwiaXRlbV9pZCI6ImJubC1kZXJzcGllZ2VsLTIwMjMwNDIyLThfMSJ9
## AUTOREN
DIR Ariane Lemme
## TAGS
DIR Benjamin von Stuckrad-Barre
DIR deutsche Literatur
DIR Schwerpunkt #metoo
DIR Literatur
DIR Sexismus
DIR GNS
DIR Springer
DIR Macht
DIR Mathias Döpfner
DIR Julian Reichelt
DIR Axel Springer
DIR Benjamin von Stuckrad-Barre
DIR Julian Reichelt
DIR Julian Reichelt
DIR Gewalt gegen Männer
DIR Kolumne Die Wahrheit
DIR Schwerpunkt Pressefreiheit
DIR Benjamin von Stuckrad-Barre
DIR Benjamin von Stuckrad-Barre
DIR Jan Böhmermann
## ARTIKEL ZUM THEMA
DIR Uraufführung von „Noch wach?“: Noch nicht aufgewacht?!?
Das Thalia Theater Hamburg bringt Stuckrad-Barres Roman. Mit Fokus auf
männliche Freundschaften und einer #MeToo-Fantasie im Dracula-Schloss.
DIR Presserat tagt zu „Zeit“ und Friedrich: Wer verpfeift wen?
Der Verleger Holger Friedrich hat Reichelt verpetzt, die „Zeit“ hat Leaks
aus dem Springer-Verlag veröffentlicht. Beide sind nun Thema im Presserat.
DIR Reichelt gegen Reschke: Kampf der Framings
Julian Reichelt ist juristisch gegen „Reschke-Fernsehen“ vorgegangen. Doch
damit hat der Wettstreit um Deutungshoheit erst begonnen.
DIR Sexuelle Belästigung in Dänemark: „Lizette macht so was“
Dänemarks mächtige Gewerkschaftsführerin Lizette Risgaard hat jüngere
Männer sexuell belästigt. Kurz vor dem 1. Mai ist sie nun zurückgetreten.
DIR Die Wahrheit: Der Relevanzliterat von Leipzig
Ein Roman wie eine Neutronenbombe. Ein Autor wie ein Atompilz. Sein
Gesicht, seine Kleidung und sein Buch stehen im Mittelpunkt der Buchmesse.
DIR Döpfners Einfluss auf die Pressefreiheit: Please Stärke die Unabhängigkeit
Die politische Unabhängigkeit der Medien wird diskutiert. Wer glaubt, es
gäbe keine freie Presse, fällt auf eine Erzählung der Rechten herein.
DIR Stuckrad-Barres neuer Roman: Versuch über die Verstrickung
„Noch wach?“ ist mehr als eine Abrechnung mit Springer. Der Roman ist ein
Abgesang auf die Zustände vor #MeToo und eine Abbitte, mitgemacht zu haben.
DIR Kritik an Döpfner aus dem eigenen Verlag: Gespenst der inneren Pressefreiheit
Ein Buch von Benjamin von Stuckrad-Barre und mehrere Recherchen zu Mathias
Döpfner belasten Springer. Und im Verlag regt sich plötzlich Kritik.
DIR Böhmermann vs. „Bild“ im neuen Podcast: Achtung, Reichelt!
Der Podcast „Boys Club“ ergründet die Machtstrukturen im Springer-Verlag –
über die Reichelt-Affäre hinaus.