# taz.de -- Nachruf auf Mark Stewart: Radikal offen und konfrontativ
> Mark Stewart war der Gründer von The Pop Group, einer der
> einflussreichsten Bands des Post Punk. Er starb im Alter von 62 Jahren.
IMG Bild: Mark Stewart bei einem Konzert von The Pop Group, 2015 in Aarhus
Die Sätze, die der damals gerade einmal 19-jährige Mark Stewart auf dem
ersten Stück von „Y“ singt, waren eine programmatische Kampfansage: „We do
not have anything / We have not learned anything / We do not know
anything“. Der Sound des 1979 erschienenen Debütalbums von The Pop Group
und ihres Sängers Mark Stewart standen für eine so paranoide wie
angriffslustige Musik.
The Pop Group nahmen Punk, Reggae, Dub, Funk, Freejazz, Krautrock, drehten
alles durch den Mischer und befreiten die Szene von der drohenden
musikalischen Erstarrung. Der Moment, der auf „Y“ festgehalten ist: Es
begann die Phase in der britischen Popgeschichte, in der die von der ersten
Punk-Welle postulierte radikale Freiheit auf die Musik selbst übertragen
wurde. Bis zu The Pop Group und einigen wenigen Wesensverwandten bedeutete
Freiheit im Punk vor allem eine weitgehende Liberalisierung von Autorschaft
– jeder durfte, jeder konnte, dem Anspruch nach zumindest. „Y“ war eine
musikalische Initialzündung.
## Noch heute frisch
Die Musik, die der 1960 geborene Mark Stewart in die Welt brachte, wirkt
auch heute noch frisch. Lebendiger klang, was sich aus Punk und durch ihn
entwickelte, danach eigentlich kaum etwas. Es waren Sounds, von denen aus
man überallhin und weiter gehen kann.
The Pop Group hätten damals eine Kiste aufgesprengt, sagte Stewart in einem
Interview. Da seien musikalische Ideen rausgekrabbelt. Danach hätten alle
sich davon nehmen können, was sie brauchten. Musiker:innen, die sich
ausdrücklich auf das Werk Mark Stewarts beziehen, kommen aus allen
Bereichen des Pop: Nick Cave etwa, Massive Attack und Nine Inch Nails.
## Traktathafte Texte
[1][The Pop Group] trennten sich bereits 1981 wieder, nach dem zweiten
Album, „How Long Do We Tolerate Mass Murder“. Hier arbeitete die Band mit
den Last Poets zusammen und ersetzte die mitunter kryptischen Lyrics des
Debüts durch traktathafte Texte: „Capitalism is the most barbaric of all
religions“. 2010 kam es zu einer Reunion. Es folgten zwei weitere
Pop-Group-Alben.
Nach dem vorläufigen Ende von The Pop Group hatte sich Mark Stewart an dem
von der Produzentenlegende Adrian Sherwood angestoßenen Reggae-Projekt The
New Age Steppers beteiligt. 1983 gründete er selbst The Maffia, mit der er
sich – auf der Basis von Dub – für Industrial und HipHop öffnete.
## Fordernd und unberechenbar
Der Sound blieb fordernd, unberechenbar, egal in welcher Konstellation. Es
folgte eine bis ins letzte Jahr reichende Reihe von Soloalben, für die Mark
Stewart mit [2][Neneh Cherry], Front 242, David Tibet, Richard Hell, Lee
„Scratch“ Perry, Primal Scream, Tricky und vielen anderen
zusammenarbeitete. Genres spielten für ihn keine Rolle mehr. Sein Werk
zielte auf ein radikal offenes, konfrontatives, grenzenloses Universum, das
sich nach eigener Logik strukturiert.
Am Freitag starb Mark Stewart im Alter von 62 Jahren.
23 Apr 2023
## LINKS
DIR [1] /Postpunk-Klassiker-von-The-Pop-Group/!5651042
DIR [2] /Neneh-Cherrys-Raw-Like-Sushi/!5656425
## AUTOREN
DIR Benjamin Moldenhauer
## TAGS
DIR Post-Punk
DIR Vereinigtes Königreich
DIR Pop-Underground
DIR Pop-Kultur
DIR Musikproduzent
DIR Indiepop
DIR Schwerpunkt Brexit
DIR taz Plan
DIR Musik
DIR Musik
## ARTIKEL ZUM THEMA
DIR Tod einer Produzentenlegende: Musikproduzent Richard Perry ist tot
Ringo, Rod und Barbra: Richard Perry produzierte die Hits zahlreicher
Musikgrößen. Nun ist er im Alter von 82 Jahren in Los Angeles gestorben.
DIR Von Sarah Records zu Skep Wax: Federleicht den Regen vermeiden
In fein ziselierter Softness schwelgen: das können nur Gitarrenpopbands des
Jungbrunnen-Labels Sarah Records aus Bristol. Ein Ortsbesuch in England.
DIR Noisepunk Benefits „Nails“: Dieser „Shite“ reinigt die Luft
England geht den Bach runter. Die Noisepunkband Benefits treibt derweil auf
ihrem Debütalbum „Nails“ mit Krach den Frust aus.
DIR Neue Musik aus Berlin: Der Zweifel gibt den Ton an
Auf die jüngere Berliner Postpunk-Szene ist Verlass. Das zeigt auch
„Talisman“, das Debütalbum der Band Die Letzten Ecken.
DIR Sänger Hendrik Otremba: Gattungen wie Schall und Rauch
Der Sänger der Gruppe Messer, Hendrik Otremba, kehrt zurück. „Riskante
Manöver“ heißt sein erstes im Alleingang entstandenes Album.
DIR Experimentelle Punkmusik aus Japan: Immer im Flow
„Our Likeness“, ein Postpunk-Album der japanischen Künstlerin Phew, wird
wieder veröffentlicht. Es verbindet Subkulturen zwischen Japan und Europa.