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       # taz.de -- Gewalt im Nordosten von Indien: Mehrheit fordert Minderheitenrechte
       
       > Im Bundesstaat Manipur beansprucht die größte Ethnie der Meitei besondere
       > Minderheitenrechte für sich. Das hat tödliche Unruhen ausgelöst.
       
   IMG Bild: Manipur am 4. Mai
       
       Mumbai taz | Ethnie, Religion und Kaste sind in Indien brisante Themen. Das
       zeigen die Gewaltausbrüche im Nordosten von letzter Woche. Mobs setzten
       Autos und Gebäude in Brand, verwüsteten Geschäfte und Hotels, zerstörten
       Kirchen und Tempel. Tausende Menschen im Bundesstaat Manipur sind seitdem
       geflüchtet.
       
       Das Militär evakuierte dort nach eigenen Angaben 23.000 Menschen in
       Notunterkünfte. Ausgangssperren wurden verhängt, die Sicherheitskräfte
       bekamen sogar einen Schießbefehl.
       
       In dem [1][Bundesstaat an der Grenze zu Myanmar] starben bei den Unruhen
       Berichten zufolge mindestens 54 Menschen. Der Konflikt entbrannte zwischen
       den indigenen Stämmen der Naga und Kuki und den mehrheitlich hinduistischen
       Meitei, die im Tal der Hauptstadt Imphal leben und Manipurs
       Bevölkerungsmehrheit stellen.
       
       Denn nach einem Gerichtsurteil sollen jetzt auch die Meitei einen
       besonderen Minderheitenstatus erhalten. Seit zwei Jahrzehnten fordern sie,
       in die Liste „geschützter Stämme“ aufgenommen zu werden, der ihnen
       Privilegien wie Quoten bei Regierungsposten und Hochschulplätzen, aber auch
       Zugang zu Waldgebieten verschaffen würde.
       
       ## Christliche Minderheit, hinduistische Mehrheit
       
       Viele Kuki in Manipur sind Christen. [2][Die hindunationalistische
       Regierungspartei BJP] verteidigt das Urteil zugunsten der hinduistischen
       Meitei. Die Kuki, die zu den anerkannten Stämmen gehören, fürchten die
       Souveränität über ihr angestammtes Land zu verlieren, sollte der Forderung
       der Meitei stattgegeben werden.
       
       Gegen das Gerichtsurteil hatte die All Tribal Students’ Union Manipur am
       letzten Mittwoch mit einem Marsch im Distrikt Churachandpur demonstriert.
       Dabei gab es Ausschreitungen und es folgte mehrtätige ethnische Gewalt. Die
       Regierung schickte 10.000 Soldaten in die Region und kappte die mobilen
       Internetverbindungen.
       
       Inzwischen werden die Märkte langsam wieder geöffnet, damit sich die
       Menschen mit Lebensmitteln versorgen können. Die Evakuierungen gehen aber
       weiter. Viele Frauen und Kinder versuchen sich in Sicherheit zu bringen. Am
       örtlichen Flughafen gab es einen Ansturm auf Flüge. Doch sind die
       Ticketpreise bereits auf das sechs- bis achtfache gestiegen.
       
       Indiens Innenminister Amit Shah (BJP) erklärte, die Situation sei
       inzwischen unter Kontrolle. Es werde Rücksprache mit allen Seiten gehalten,
       bevor eine Entscheidung über den Status der Meitei als anerkannter Stamm
       („Scheduled Tribe“) getroffen werde.
       
       ## Gericht verlangt Schutz vor Gewalt
       
       Am Montag forderte der oberste Gerichtshof die Zentralregierung auf, „den
       Schutz, die Rettung und die Wiedereingliederung der Menschen“ zu
       gewährleisten, die von der Gewalt betroffen waren. Vertriebene müssten in
       ihre Häuser zurückkehren. „Auch religiöse Stätten müssen geschützt werden“,
       hieß es.
       
       Der katholische Erzbischof von Bengaluru, Peter Machado, äußerte sich
       besorgt über das mutmaßliche Wiederaufleben der Verfolgung von Christen im
       Bundesstaat, wo 41 Prozent der Bevölkerung Christen seien. Er erinnerte die
       Regierung an ihre Verantwortung für die Religionsfreiheit.
       
       In Manipur regiert wie in der Hälfte der Bundesstaaten im Nordosten die
       BJP. Kursierende Falschmeldungen machten Rohingya und andere Muslime aus
       Bangladesch für die Gewalt ethnische verantwortlich.
       
       Indiens Nordosten ist seit Jahrzehnten immer wieder Schauplatz von Unruhen
       zwischen ethnischen und separatistischen Gruppen. Seit den 1950er-Jahren
       wurden dort mindestens 50.000 Menschen getötet. Die Konflikte haben in den
       letzten Jahren nachgelassen. Viele Gruppen einigten sich mit Delhi auf mehr
       Befugnisse.
       
       8 May 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Luftangriff-verstaerkt-Fluchtbewegung/!5929204
   DIR [2] /Hindu-Nationalismus-in-Indien/!5929885
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Natalie Mayroth
       
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