# taz.de -- Wahlkampf in der Türkei: Steine und Beschimpfungen
> Bei einem Wahlkampfauftritt in Ostanatolien greifen Nationalisten einen
> Oppositionspolitiker an. Präsident Erdoğan verschärft seinen Tonfall.
IMG Bild: Nationalisten feuerten Steine auf den Wahlkampfbus und hinderten İmamoğlu daran, die Veranstaltung fortzusetzen
Istanbul taz | Im [1][türkischen Wahlkampf] ist es zu einem ersten
gewaltsamen Angriff auf eine Wahlkampfveranstaltung der Opposition
gekommen. Im ostanatolischen Erzurum, einer Hochburg der AKP von Präsident
Erdoğan und seinem Koalitionspartner, der rechtsradikalen MHP, hat eine
Gruppe von 300 bis 400 fanatischen Nationalisten eine
Wahlkampfveranstaltung des Istanbuler Oberbürgermeisters Ekrem İmamoğlu
angegriffen.
Die Nationalisten feuerten Steine auf den Wahlkampfbus und hinderten
İmamoğlu, der von der Plattform auf dem Dach des Busses aus sprach, daran,
die Veranstaltung fortzusetzen. Die Scheiben des Busses wurden zerstört,
Mitarbeiter İmamoğlus und unbeteiligte Zuschauer wurden getroffen und
mussten teils mit blutenden Kopfverletzungen behandelt werden. Die
zahlreich anwesende Polizei griff nicht ein und hinderte die Nationalisten
erst am Ende, als İmamoğlu und seine Mannschaft bereits Richtung Flughafen
geflüchtet waren, daran, den Bus noch zu verfolgen.
Der Angriff auf İmamoğlu ereignete sich zum selben Zeitpunkt, als Präsident
Recep Tayyip Erdoğan bei seiner bislang größten Kundgebung in Istanbul vor
mehr als einer Million Menschen am Sonntagnachmittag seinen
[2][Herausforderer Kemal Kılıçdaroğlu] übel verunglimpfte und die
Opposition einmal mehr als Handlanger der kurdischen PKK darstellte.
Kılıçdaroğlu sei ein „betrunkener Säufer“, weil er [3][als Alevit] das
Alkoholverbot des Islam nicht beachte, stachelte Erdoğan seine Anhänger an
und ließ gleichzeitig auf einer Großleinwand ein Video ablaufen, bei dem
Kılıçdaroğlu beim Singen seiner Wahlkampfhymne mit der in Kampfmontur
auftretenden PKK-Führung gegengeschnitten wurde, die angeblich ebenfalls
die CHP-Hymne singt. Ein gefaketes Video, das Erdoğans Aussage, „wir werden
das Land nicht einer Regierung überlassen, die von der PKK abhängt“, noch
einmal unterstreicht.
## Würde Erdoğan eine Niederlage akzeptieren?
Mit der Rede Erdoğans am Sonntag und dem Angriff auf İmamoğlu in Erzurum
hat der Wahlkampf eine knappe Woche vor dem Urnengang am kommenden Sonntag
ein Stadium erreicht, das die Befürchtungen, Erdoğan würde eine Niederlage
womöglich nicht anerkennen, weiter anfacht. Der Präsidentschaftskandidat
der Opposition, Kemal Kılıçdaroğlu, rief am Montagmorgen seine Anhänger
dazu auf, ruhig zu bleiben, sich nicht provozieren zu lassen und vor allem:
sich nicht vom Wählen abhalten zu lassen. „Die Regierung will Angst
verbreiten, wir sollten dem nicht nachgeben“, sagte er.
Um möglichen Zwischenfällen am Wahltag vorzubeugen, ruft die Opposition
ihre Anhänger dazu auf, sich als Wahlbeobachter zu melden. Das
Oppositionsbündnis will es schaffen, dass in jedem Wahllokal VertreterInnen
von ihnen präsent sind, um die Auszählung zu überwachen. Das dürfte nach
dem Zwischenfall in Erzurum aber vor allem in den ländlichen Provinzen, in
denen die Rechte traditionell sehr stark ist, schwierig werden.
Angesichts der Strategie der Spannung der Regierung wird es nicht viele
Leute in diesen Gegenden geben, die offen für die Opposition auftreten.
Außer dem Angriff auf İmamoğlu wurden am Sonntag auch zwei Abgeordnete der
CHP in Trabzon auf offener Straße angegriffen.
Der eigentlich für die Sicherheit der Wahl zuständige Innenminister
Süleyman Soylu heizt die Stimmung stattdessen weiter an, indem er in den
regierungsnahen TV-Kanälen Verschwörungstheorien verbreitet, nach denen
Kılıçdaroğlu nicht nur von der PKK abhängig sei, sondern ebenso eine
Marionette der USA und Israels.
Zu dem Angriff auf İmamoğlu hat er auch eine eigene Theorie. Im
regierungsnahen Ülke-TV sagte er, das Ganze sei eine Inszenierung İmamoğlus
gewesen. Die Steine seien von seinen eigenen Anhängern geworfen worden, um
die Menschen von Erzurum zu diskreditieren.
9 May 2023
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## AUTOREN
DIR Jürgen Gottschlich
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