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       # taz.de -- OMR-Festival in Hamburg: Die Marketing-Fundamentalisten
       
       > Zum elften Mal pilgert die Marketing- und Digitalbranche nach Hamburg und
       > huldigt liberalen Glaubenssätzen im progressiven Gewand.
       
   IMG Bild: Kai Pflaume und OMR-Geschäftsführer Philipp Westermeyer begrüßen das Publikum
       
       Hamburg taz | In der Hamburger Innenstadt macht sich aktuell eine radikale
       Glaubensgemeinschaft breit: 70.000 Unternehmer*innen, Influencer*innen
       und Werber*innen treffen sich zum OMR-Festival in den Hamburger
       Messehallen. Gemeinsam wollen sie den Glauben an eine heilige Zukunft durch
       Fortschritt, Innovation und Technologieoffenheit [1][in Hamburgs linken,
       mittlerweile jedoch zunehmend gentrifizierten Szenevierteln verbreiten].
       
       Die Marketingmesse startete 2011 als Klüngel von 200 sogenannten Online
       Marketing Rockstars – eine Bezeichnung, von der sich die
       Festival-Veranstalter*innen aus Seriösitätsgründen mittlerweile zu lösen
       versuchen – in der Bucerius Law School. Mittlerweile haben sie ihren
       Wirkungskreis so stark gesteigert, dass sich die
       Marketingjünger*innen in den Hamburger Messehallen treffen.
       
       Die Marketingmesse gleicht dabei den Megachurch-Events aus den USA: Ein
       oder mehrere Prediger*innen stehen auf gigantischen Bühnen und beten
       ihrer Anhängerschaft religiöse Glaubenssätze vor, bis diese ehrfürchtig
       zusammenbrechen – im Falle der OMR vor dem heiligen Geist des Liberalismus.
       Unter den rund 800 Bühnen-Speaker*innen ist in diesem Jahr auch [2][Boris
       Becker, der bis vor Kurzem wegen vorgetäuschter Insolvenz] im Gefängnis
       saß.
       
       Die Zugehörigkeit zur religiösen OMR-Gemeinschaft löst bei den
       Besucher*innen so großen Stolz aus, dass sie ihre bunten
       Schlüsselbänder mit Ticket und Akkreditierung auch kilometerweit entfernt
       vom Veranstaltungsort um den Hals tragen, um zu zeigen: Ich gehöre zur
       Marketing-Avantgarde. So wirkt die liberale Botschaft auch weit außerhalb
       der Marketing-Pilgerstätte.
       
       ## OMR-Festival als Heilsbringer
       
       Diese Praxis wird durch zwei außenstehende Akteure zusätzlich gefördert:
       Regionale Medien hofieren das OMR-Festival durch ausgiebige
       Berichterstattung, und auch die Stadt fördert die Marketingmesse als
       Heilsbringer. So wurde für die [3][diesjährige OMR-Ausgabe mit der
       Karolinenstraße die Sperrung] einer Hauptverkehrsstraße für die Messe
       genehmigt. Die Stadt verspricht sich wohl davon, dass das OMR-Festival in
       Zukunft progressives Kapital heran bringt: Auch Bürgermeister Peter
       Tschentscher und Kultursenator Carsten Brosda (beide SPD) beehrten die
       Messe am Dienstag mit ihrer Anwesenheit.
       
       Schon jetzt ist die OMR ein Garant für wirtschaftlichen Aufschwung: Jahr
       für Jahr geben umliegende Hotels trotz horrender Preise im Zeitraum des
       Festivals bekannt, restlos ausverkauft zu sein. Damit solche äußeren
       Faktoren die Marketingmesse in Zukunft nicht mehr begrenzen, überlegen die
       Veranstalter*innen, Glamping (also Glamourcamping) anzubieten und auf
       diese Weise noch mehr Marketingjünger*innen nach Hamburg zu ziehen.
       
       Außerdem verspricht die OMR der Stadt ein weiteres Goodie, für das Hamburg
       dankbar in der Schuld steht, weil sie sich selbst nicht kümmern muss: Noch
       dieses Jahr wollen die OMR-Veranstalter*innen den Fernsehturm wieder für
       Besucher*innen öffnen. Ein weiterer Magnet für junge Menschen auf dem
       Weg in den Finanzhimmel? Auf jeden Fall muss man sich nicht [4][über ein
       Viertel Erstwähler*innenstimmen an die FDP] bei der letzten
       Bundestagswahl wundern.
       
       10 May 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Wem-gehoert-der-oeffentliche-Raum/!5900530
   DIR [2] /Haft-in-Grossbritannien/!5902923
   DIR [3] /Strassensperrung-fuer-Marketing-Messe/!5922578
   DIR [4] https://www.rnd.de/politik/bundestagswahl-2021-fdp-bei-erstwaehlern-am-staerksten-afd-auf-dem-letzten-platz-UT3PO46KTBHMNHDOOO5QI6ZGSI.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nina Nevermann
       
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