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       # taz.de -- Rechtsextremismus an Schulen: Brandenburg ist überall
       
       > Nach einem Brandbrief von Lehrkräften werden immer mehr rechtsextreme
       > Vorfälle an Schulen bekannt. Keine Überraschung, sagen Expert:innen.
       
   IMG Bild: Baustein gegen rechtsextremes Gedankengut: Besuch der Gedenkstätte in Sachsenhausen
       
       Berlin taz | An diesem Mittwoch wird Steffen Freiberg in Potsdam [1][als
       neuer Bildungsminister von Brandenburg] vereidigt. Von seiner Vorgängerin
       Britta Ernst erbt der SPD-Politiker eine [2][angespannte Personalkrise] an
       Schulen. Sein Amtsantritt wird dennoch von einem anderen Thema bestimmt.
       Nach einem Brandbrief von Lehrer:innen steht der Umgang
       brandenburgischer Schulen mit Rechtsextremismus im Fokus.
       
       Ende April beschrieben Lehrkräfte der Grund- und Oberschule Burg im
       Spreewald, [3][wie alltäglich Nazisymbole und rassistische Anfeindungen] an
       ihrer Schule sind und wie selten Kolleg:innen oder die Schulleitung
       dabei einschreiten. Seither bemüht sich das Bildungsministerium um
       Aufarbeitung. Noch-Staatssekretär Freiberg appellierte an alle Lehrkräfte,
       „sich zu melden“, wenn sie bei diesem Thema Probleme hätten, und verwies
       auf einen Fünfpunkteplan zur Stärkung der politischen Bildung, der noch
       unter Britta Ernst ausgearbeitet worden ist. Gleichzeitig räumte Freiberg
       ein, dass er von dem Vorfall „nicht überrascht“ sei. „Dass es diese
       Herausforderungen gibt, wissen wir.“
       
       Spätestens seit der Studie „[4][Jugend in Brandenburg]“ von 2017 ist in
       Potsdam bekannt, dass ein wachsender Anteil von Schüler:innen offen für
       rechtsextremistische und menschenfeindliche Äußerungen ist. Und die
       schlagen sich in Taten nieder. In der Vergangenheit zählte das
       Bildungsministerium im Jahr zwischen 24 und 53 Meldungen zu extremistischen
       Vorfällen an Schulen. Im laufenden Schuljahr waren es – vor dem aktuellen
       Fall in Burg – 6 Meldungen.
       
       Die Zahl dürfte jetzt in die Höhe schnellen. Nicht nur wegen der
       mutmaßlichen Straftaten an der Schule im Spreewald, die nun ans Licht
       gekommen sind. Nach dem Brandbrief haben sich weitere Schulen mit ähnlichen
       Erfahrungen an die Öffentlichkeit gewandt. Am Montag wurde dann bekannt,
       dass Schüler:innen aus Berlin am Wochenende in einer Jugendherberge im
       brandenburgischen Heidesee [5][rassistisch beleidigt und bedroht] worden
       sein sollen – laut Polizei von Jugendlichen aus dem Umland.
       
       ## Unklare Datenlage
       
       Auch wenn Brandenburg aktuell im Fokus steht – rechtsextreme Vorfälle
       kommen im ganzen Bundesgebiet vor. Das zeigt eine Umfrage der taz unter den
       Bundesländern. Thüringen etwa zählte seit Jahresbeginn an Schulen etwa 33
       Fälle von „Volksverhetzung“ oder „Verwendung von Kennzeichen
       verfassungswidriger Organisationen“. In Mecklenburg-Vorpommern sind es im
       laufenden Schuljahr insgesamt 30 Fälle mit „extremistischem Hintergrund“
       oder nicht erlaubten Kennzeichen oder nicht erlaubter Propaganda. In
       Sachsen meldeten Schulen in den ersten drei Monaten dieses Jahres 17
       Vorkommnisse mit „rechtsextremem Hintergrund“, Niedersachsen spricht von
       „rechtsextremistischen Einzelfällen“ an Schulen.
       
       Die Ministerien selbst weisen auf eine gewisse Unschärfe der Daten hin: So
       seien Zahlen, die auf den Meldungen der Schulen beruhten, nicht
       zwangsläufig deckungsgleich mit denen der Polizei. In Sachsen
       beispielsweise stehen den 73 rechtsextremen Straftaten an Schulen aus dem
       Jahr 2022 nur 48 entsprechende Meldungen der Schulen gegenüber. „Im
       Meldeverhalten der Schulen liegt … viel Ermessungsspielraum“, heißt es dazu
       aus dem Dresdner Bildungsministerium.
       
       In Niedersachsen ist der Regelfall sogar, dass Schulen rechtsextreme
       Vorfälle zwar der Polizei melden, nicht aber dem Kultusministerium.
       Rechtsextremistische Äußerungen würden nur „vereinzelt“ gemeldet, teilt ein
       Sprecher mit. Auch das Schulministerium Nordrhein-Westfalens verweist auf
       die Zuständigkeit des Innenministeriums, das eine taz-Anfrage bis
       Redaktionssschluss jedoch unbeantwortet lässt. Die Bildungsministerien
       wissen also nicht unbedingt, welche Vorfälle überhaupt gemeldet werden.
       
       ## Die ganze Bandbreite
       
       „Wir müssen von einer hohen Dunkelziffer ausgehen“, sagt Marlene Jakob. Die
       34-Jährige koordiniert seit 2018 in Sachsen das Netzwerk „Schule ohne
       Rassismus – Schule mit Courage“. Allein über die 109 sächsischen Schulen im
       Netzwerk bekämen sie gut mit, wie alltäglich Rassismus und Ausgrenzung in
       Klassenzimmern und auf Pausenhöfen seien. Darüber hinaus gingen
       Mitarbeitende des Netzwerks aber auch regelmäßig für Workshops an die
       übrigen Schulen. „Häufig werden wir auch als Feuerwehr gerufen“, sagt Jakob
       der taz. „Also erst dann, wenn es bereits brennt.“
       
       Die Vorkommnisse deckten die ganze Bandbreite ab: Hakenkreuzschmierereien,
       Naziparolen, Einschüchterungsversuche Andersdenkender. Besonders regelmäßig
       seien Schulen in Regionen mit traditionell starker Neonaziszene betroffen.
       
       So ähnlich formuliert das auch die Rechtsextremismusforscherin Heike
       Radvan für Brandenburg. In der Region, zu der die Grund- und Oberschule
       Burg gehört, die jetzt durch den Brandbrief bekannt wurde, gebe es eine
       gewachsene rechte Szene, die AfD habe dort ihre Hochburgen. Was Jakob und
       Radvan beide betonen: Rassistische oder homophobe Einstellungen finden sich
       nicht allein am rechten Rand.
       
       „Diese Einstellungen haben wir in der Mitte der Gesellschaft“, sagt Jakob.
       Auch Lehrer:innen verstärkten oft Stereotype oder die Ausgrenzung
       einzelner Schüler:innen. Etwa, indem sie Kinder mit Migrationsgeschichte
       bäten, etwas über ihre vermeintliche Heimat zu erzählen. Dafür müsse man
       viele Schulen noch sensibilisieren. Deswegen sei es auch so wichtig,
       diejenigen zu stärken, die sich klar gegen Rassismus und rechte Hetze
       einsetzten. Manchmal stehen sie damit vor Ort ziemlich alleine da.
       
       ## Vorbild Sachsen
       
       Wie weit gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit verbreitet ist, zeigt unter
       anderem der Sachsen-Monitor, der regelmäßig im Auftrag der Sächsischen
       Staatskanzlei erhoben wird. Zuletzt gaben darin 40 Prozent der Befragten
       an, dass die Bundesrepublik „durch die vielen Ausländer gefährlich
       überfremdet“ sei. Mehr als jede:r Fünfte stimmte der Aussage zu, dass
       Juden heute Vorteile daraus ziehen wollten, dass sie im Zweiten Weltkrieg
       die Opfer gewesen seien.
       
       Als 2016 der erste Sachsen-Monitor erhoben wurde, waren die
       menschenfeindlichen Einstellungen zum Teil sogar noch höher. Die
       Landesregierung [6][stärkte daraufhin die politische Bildung] an Schulen
       und kooperierte enger mit außerschulischen Initiativen wie „Schule ohne
       Rassismus“. Auch deshalb sieht Sachsens Bildungsminister Christian Piwarz
       sein Land heute gut gegen Rechtsextremismus an Schulen gerüstet.
       
       Auch die anderen Bundesländer verweisen auf Notfallpläne und eine Vielzahl
       an präventiven Maßnahmen: Lehrerfortbildungen, mobile Beratung und
       Workshops an Schulen, die Behandlung entsprechender Themen im Unterricht.
       Bayern hebt unter anderem den Stellenwert der Erinnerungsarbeit inklusive
       verpflichtendem KZ-Gedenkstättenbesuch an Gymnasien und Realschulen hervor.
       
       Sachsen-Anhalts Bildungsministerin Eva Feußner (CDU) lobt das Engagement
       vieler Schulen im Netzwerk „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“:
       „Vielleicht auch deshalb ist die Zahl der verfassungsfeindlichen Vorfälle
       an unseren Schulen überschaubar“, sagt sie der taz.
       
       ## Neuanfang in Burg?
       
       Die Rechtsextremismusforscherin Radvan hält die derzeitigen Anstrengungen
       insgesamt für zu gering. Sie fordert die Kultusministerkonferenz (KMK) auf,
       sich stärker mit Rechtsextremismus an Schulen zu befassen. Die KMK müsse
       genauer hinsehen und eine Interventionsstrategie entwickeln. Wenn so etwas
       wie in Burg passiere, müssten alle Akteure „klare Kante“ zeigen.
       
       Das soll jetzt im brandenburgischen Ort Burg passieren. Am Montag teilte
       das Bildungsministerium mit, dass sich die im Brandbrief erhobenen Vorwürfe
       in den Gesprächen mit allen Beteiligten vor Ort bestätigt hätten. Das
       Kollegium soll sich nun – auch mithilfe eines Coachings – besser auf einen
       einheitlichen und offenen Umgang mit extremistischen und
       menschenfeindlichen Äußerungen einigen. Auch die Schulleitung wolle künftig
       klare Haltung zeigen.
       
       Dass dies nicht einfach wird, zeigt ein Vorfall von vergangener Woche.
       Anhänger der rechtsextremistischen Kleinstpartei „Der Dritte Weg“
       verteilten vor der Schule Handzettel.
       
       9 May 2023
       
       ## LINKS
       
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   DIR [4] https://www.brandenburg.de/media/bb1.a.3780.de/JiB%202017-Kurzbericht-end%2002.pdf
   DIR [5] /Rechte-Bedrohungen-gegen-Schulklasse/!5930187
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