URI: 
       # taz.de -- Undemokratisches Wahlrecht in Thailand: „Wir brauchen einen Wechsel“
       
       > Thailand wählt am Sonntag ein neues Parlament. Doch den höchsten
       > Stimmanteil zu bekommen, genügt nicht, um die Regierung zu stellen.
       
   IMG Bild: Die hochschwangere Paetongtarn Shinawatra, Tochter des Ex-Premiers Thaksin Shinwatra, am 3. April
       
       Bangkok taz | „Beweg dich“ hat sich Parnthum „Parn“ Nakabutara in Thai auf
       seine Finger tätowieren lassen. „Ich neige zur Bequemlichkeit und das soll
       mich daran erinnern, nicht faul zu sein“, erklärt er lachend. Parns Tattoo
       erinnert an die Partei Move Forward („Nach vorne gehen“), der Umfragen bei
       der Parlamentswahl am kommenden Sonntag einen großen Erfolg vorhersagen.
       
       Es wird sogar schon spekuliert, Move Foward könnte als Partei mit der
       ehrgeizigsten Reformagenda dem bisherigen Favoriten Pheu Thai (PT), der
       ebenfalls reformorientierten Oppositionspartei des Thaksin-Clans, den Rang
       als stärkste Partei streitig machen.
       
       Der 2006 vom Militär gestürzte Thaksin Shinawatra lebt zwar im Exil, ist
       jedoch die treibende Kraft hinter der PT. Die wird jetzt von seiner Tochter
       Paetongtarn Shinawatra geführt. Die 36-Jährige hat als Ziel die Eroberung
       von 310 Mandaten ausgegeben. Damit könnte Paetongtarn mit Unterstützung
       kleinerer Parteien Premierministerin werden.
       
       Trotz Schwangerschaft führte sie einen fulminanten Wahlkampf, den sie nur
       am 1. Mai kurz für die Geburt ihres zweiten Kindes unterbrach. Nach einem
       Instragram-Foto mit Mann und neugeborenem Sohn Thasin ging sie zwei Tage
       später wieder auf Wahlkampftour.
       
       ## Wahlsieg garantiert keine Regierungsübernahme
       
       Stärkste Partei zu werden, ist in Thailand keine Garantie für einen
       Machtwechsel. Die von der Junta nach dem Putsch gegen Paetongtarns Tante
       Yingluck Shinawatra im Mai 2014 maßgeschneiderte Verfassung gibt dem
       Militär die Oberhand.
       
       Regierungschef wird, wer von mindestens 376 der 500 gewählten
       Parlamentariern und den 250 von der Junta handverlesenen Senatoren gewählt
       wird. Hat ein Kandidat den kompletten Senat auf seiner Seite, reichen schon
       126 Stimmen der gewählten Abgeordneten.
       
       So geschehen nach der letzten Wahl 2019 in Kombination mit nachträglicher
       Änderung des Zählverfahrens und verordneter Auflösung der Partei [1][Future
       Foward], der Vorgängerin von Move Forward, wegen angeblicher
       Gesetzesverstöße.
       
       Piyarat „Toto“ Chongtheps Auftritt wenige Tage vor der Wahl in einer
       Shopping Mall in Bangkoks Stadtteil Bang Na spiegelt die Popularität in den
       Umfragen von Move Forward und ihres charismatischen Spitzenkandidaten Pita
       Limjaroenrat wieder. Das Publikum begrüßt den 32-jährigen Kandidaten Toto
       mit Victory-Zeichen und plaudert bei Selfies mit ihm wie mit einem lieben
       Nachbarn.
       
       ## Erste Wahl seit den Jugendprotesten
       
       Als Gründer und Chef des Netzwerkes WeVO (We Volunteer, Wir Freiwillige)
       war Toto eine der zentralen Personen der [2][Jugendproteste 2020] gegen
       die militärnahe Regierung.
       
       WeVo schützte Demonstranten vor Übergriffen der Polizei. Zwar wurden die
       Proteste niedergeschlagen, lösten aber einen grundlegenden Wandel im
       politischen Diskurs aus.
       
       Denn erstmals wird offen über bisherige Tabus wie die Abschaffung des
       drakonischen Gesetzes zur Ahndung angeblicher Majestätsbeleidigung
       gesprochen. Das Gesetz schützt die Monarchie und ermöglicht Militär und
       konservativer Elite, ihre Einflüsse zu wahren und zugleich Protagonisten
       fortschrittlicher Reformen einzuschüchtern oder aus dem Verkehr zu ziehen.
       
       Jetzt haben die jüngeren Generationen bei dieser ersten Wahl seit den
       Jugendprotesten eine Schlüsselrolle. Mit etwas über 40 Prozent der 52
       Millionen Wahlberechtigten sind die bis 42-Jährigen die größte
       demografische Gruppe.
       
       ## Politologin: Konservative haben dazugelernt
       
       Kanokrat Lertchoosakul hält das Wahlverhalten ihrer Landsleute jeglichen
       Alters jedoch für unvorhersehbar. Die junge Generation sei ebenso
       fragmentiert wie die konservative Elite, sagt die Politologin der
       Chulalongkorn Universität in Bangkok. Sie forscht zur neuen Jugendbewegung,
       sagt aber auch: „Viele Konservative haben in den letzten Jahren dazugelernt
       und kapiert, dass sie nicht mehr gegen das Volk regieren können.“
       
       Die Oppositionsparteien Pheu Thai und Move Forward dürften jetzt die
       meisten Stimmen bekommen. Die konservativen Parteien von [3][Putschgeneral
       und Premierminister Prayuth Chan-o-cha] (69) und seinem Stellvertreter und
       langjährigen Mentor Prawit Wongsuwan (77) liegen in Umfragen zurück.
       
       Waren die beiden damaligen Generäle beim Putsch und in der folgenden Junta
       ein Herz und eine Seele, sind sie jetzt als Politiker Rivalen. Die
       militärnahe Palang-Pracharath-Partei kürte Prawit zum Spitzenkandidaten,
       nachdem Prayuth zur United Thai Partei gewechselt war und sofort ihr Chef
       und Spitzenkandidat wurde.
       
       ## Der Amtsinhaber ist nicht sehr beliebt
       
       In Umfragen liegt Prayuth, der nie sonderlich beliebt war, stark zurück.
       Die Thais sind unzufrieden mit dem Coronamanagement seiner Regierung und
       sehen ihn als Verantwortlichen für die schwächelnde Wirtschaft an.
       
       Doch wird die konservative Elite einen demokratischen Wechsel akzeptieren?
       Werden Pheu Thai und Move Forward zusammengehen? Oder hat Pheu Thai
       Gerüchten zufolge längst einen Deal mit den Konservativen geschlossen?
       
       Das wäre ein Treppenwitz der Geschichte. Seit 2001 haben Thaksins Parteien
       jede Wahl gewonnen, wurden aber durch von der konservativen Elite
       inszenierte Militärputsche gestürzt und formierten sich immer wieder neu.
       
       Getreu seines Tattoos „Beweg dich“ ist es Parn fast schon egal, welche
       Koalition letztlich regieren wird. „Thailand stagniert unter der
       gegenwärtigen Regierung“, sagt er. „Wir brauchen Neues, wir brauchen einen
       Wechsel.“
       
       10 May 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Parteiverbotsverfahren-in-Thailand/!5655803
   DIR [2] /Massenproteste-in-Thailand/!5720021
   DIR [3] /Thailands-Juntachef-simuliert-Demokratie/!5598235
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Michael Lenz
       
       ## TAGS
       
   DIR Thailand
   DIR Parlamentswahl
   DIR Bangkok
   DIR Majestätsbeleidigung
   DIR Militärputsch
   DIR Thailand
   DIR Thailand
   DIR Thailand
   DIR Thailand
   DIR Luftverschmutzung
   DIR Drogenkonsum
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Politdrama in Thailand: Kein Regierungschef gewählt
       
       Der siegreiche Oppositionskandidat ist bei der Wahl zum Premierminister im
       Parlament durchgefallen. Er bereitet sich auf eine zweite Wahlrunde vor.
       
   DIR Sieg der Opposition in Thailand: Noch ist nichts entschieden
       
       Der deutliche Sieg der Opposition gibt Hoffnung. Aber die Gefahr, dass die
       Machthaber mit Tricks zurückschlagen, bleibt.
       
   DIR Parlamentswahlen in Thailand: Ein Korb für die Konservativen
       
       Die Opposition hat sich bei der Wahl in Thailand durchgesetzt. Mit einer
       hohen Wahlbeteiligung stimmte die Mehrheit für eine demokratische Zukunft.
       
   DIR Hungerstreik in Thailand: Hunger nach Gerechtigkeit
       
       Der Hungerstreik zweier Demokratieaktivistinnen war von vornherein
       aussichtslos. Er hat aber die Absurditäten von Thailands politischem System
       deutlich gemacht.
       
   DIR Luftverschmutzung in Thailand: Den Menschen bleibt die Luft weg
       
       Brandrodungen sorgen in Thailand für Smog. Kinder und Menschen mit
       Atemproblemen sollen zu Hause bleiben. Behörden verteilen Atemschutzmasken.
       
   DIR Thailand legalisiert Cannabis: Auf eine Bong in Bangkok
       
       Als erstes asiatisches Land hat Thailand Cannabis legalisiert. Seitdem
       boomt der private Konsum – allerdings bislang vor allem unter Reicheren.