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       # taz.de -- Wie Russland um Soldaten wirbt: „Du bist doch ein Kerl!“
       
       > Mit Chauvinismus und finanziellen Wohltaten versucht Putin, Männer für
       > den Krieg zu gewinnen. Dafür werden extra Anlaufstellen eingerichtet.
       
   IMG Bild: „Diene unter Vertrag“: Rekrutierungsplakat in Sankt Petersburg am 24. März
       
       Moskau taz | Knapp 50 Sekunden lang ist der Clip, der gerade im russischen
       Staatsfernsehen, in den sozialen Medien und auf Veranstaltungen präsent
       ist: Ein Mann in Camouflage steht in einem Supermarkt, er ist ein
       Mitarbeiter des Sicherheitsdiensts, das Gewehr im Anschlag. „Hast du etwa
       davon geträumt, solch ein Beschützer zu werden?“, heißt es in einem
       eingeblendeten Spruch daneben. Die Szene ändert sich: In einem
       Fitnessstudio nimmt ein Trainer dem Menschen vor sich das Trainingsgerät
       weg. „Liegt etwa darin deine Stärke?“, wird eingeblendet.
       
       Wieder Szenenwechsel: Es wird Nacht, ein Taxi fährt durch die nasse
       Dunkelheit, der Fahrer packt das Geld seines Gastes ein. „Wolltest du etwa
       solch einen Weg einschlagen?“, wird gefragt. Dann tauchen alle drei Männer
       aus dem Nebel auf, alle in Armeeuniform, samt einem Z auf dem Arm – dem
       [1][Propaganda]-Symbol des Kremls für den Angriffskrieg gegen die Ukraine.
       
       „Du bist doch ein Kerl! Dann sei es auch! Diene unter Vertrag“, lautet die
       Botschaft des russischen Verteidigungsministeriums, das mit diesem Filmchen
       um neue Vertragssoldaten wirbt: Kanonenfutter für die Front in der Ukraine.
       Die Botschaft hinter dem Video ist recht primitiv: Wachmann,
       Fitnesstrainer, Taxifahrer – das seien keine Berufe für wahre Männer, ein
       richtiger Mann müsse eine Waffe in die Hand nehmen und sein „Vaterland
       verteidigen“. Das sei doch der Traum aller „Muschiks“, wie der Macho-Mann
       in Russland genannt wird.
       
       Das patriarchale Bild, wonach ein Junge ein „Verteidiger“ sei, das sind
       offiziell in [2][Russland] „einzigartige, traditionelle, russische Werte“,
       die nicht zu hinterfragen sind. Was ein Mann verteidigt und warum, ist
       nicht Teil irgendeiner Diskussion im Land. Im Werbefilm zeigt sich
       vielmehr ein Chauvinismus, der die präsentierten Berufe entwertet: Berufe,
       von denen in Russland viele Männer leben, selbst wenn sie bereits in Rente
       sind.
       
       Gescheiterte Existenzen für den Krieg 
       
       Aus Sicht des Verteidigungsministeriums sind sie aber quasi gescheiterte
       Existenzen, und natürlich helfe da nur eins: die Unterschrift unter den
       Vertrag als Zeitsoldat. Dafür wirbt das Ministerium mit allerlei
       „Wohltaten“: einem Monatseinkommen von umgerechnet mindestens 2.300 Euro,
       was viel Geld ist in Russland; mit einem warmen Kindergarten- oder
       Schulessen für die Kinder von Soldaten; mit Putzhilfen für die älteren
       Angehörigen von Soldaten. [3][Moskau] hat im Norden der Stadt eine extra
       Anlaufstelle für die zukünftigen Zeitsoldaten eingerichtet – doch Andrang
       dort ist kaum zu beobachten.
       
       Dass ein „anständiger Lebensstandard“ mit zivilen Berufen offenbar kaum zu
       erreichen ist, ist die Tragik in einem Land, das seine Männer für sinnlose
       Imperialismusträume eines Präsidenten verheizt. Die Unzufriedenheit mit
       seinem Leben, so suggeriert die Werbekampagne, lasse sich lediglich mit
       einer Waffe in der Hand abstellen. Woher eine solche Unzufriedenheit
       womöglich kommt, interessiert den Staat nicht. Stattdessen lässt die
       Regierung Banner entlang der Straßen aufstellen, auf denen martialisch
       aussehende Kämpfer zu sehen sind, daneben der Satz: „Es gibt einen solchen
       Beruf – die Verteidigung des Heimatlandes.“
       
       Das „Echte“ und „Richtige“ ist der Krieg, mehr hat der Staat nicht zu
       bieten. Wohlstand erreicht nur jemand, so zeigen Russlands Verwaltungen,
       Gerichte, Beamt*innen unmissverständlich, wer sich in den Dienst an der
       Waffe stellt – und als Subjekt völlig aufgibt.
       
       27 Apr 2023
       
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       ## AUTOREN
       
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