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       # taz.de -- Obdachlose in Hamburg: Noch mehr Tote von der Straße
       
       > In Hamburg sind in diesem Winter bis zu 27 Obdachlose gestorben. Im
       > Schnitt wurden sie nur 46 Jahre alt. Nötig sind Pflegeplätze.
       
   IMG Bild: Für kranke Menschen zu gefährlich: Leben auf der Straße
       
       Hamburg taz | Die Zahl der [1][Obdachlosen], die in diesem Winter in
       Hamburg gestorben sind, ist wohl höher als bisher angenommen. Bereits vor
       einer Woche wurde durch eine [2][Anfrage der Linken-Politikerin Stephanie
       Rose] bekannt, dass in der Zeit vom 25. November bis 27. März [3][22 Tote
       gab]. Acht Menschen verstarben laut Rechtsmedizin im öffentlichen Raum und
       14 Personen ohne festen Wohnsitz in den Krankenhäusern. Wie nun durch eine
       CDU-Anfrage publik wurde, gab es fünf weitere Tote an den zwei Standorten
       des [4][Winternotprogramms].
       
       Gefragt, ob die Stadt Hamburg nun von 27 Toten ausgeht, legt sich die
       zuständige Sozialbehörde noch nicht ganz fest. Die Zahlen unterlägen noch
       einer „statistischen Unschärfe“. Es könnten bis zu 27 sein. Nicht
       ausgeschlossen werden könnten aber „Überschneidungen“ mit den anderen
       Fallgruppen.
       
       „Diese fünf muss man oben drauf addieren“, sagt indes Jörn Sturm,
       Geschäftsführer des Straßenmagazins Hinz&Kunzt. Denn es handle sich mit dem
       Winternotprogramm um einen dritten Ort. „Der Totenschein wird vor Ort
       ausgestellt vom Arzt, der den Tod festgestellt hat“, sagt auch Ronald Kelm,
       ehrenamtlicher Helfer des „[5][Gesundheitsmobils]“, das Obdachlosen Hilfe
       anbietet.
       
       ## Obdachlose sterben immer jünger
       
       CDU-Politiker [6][Andreas Grutzeck, der die Anfrage stellte], geht auch von
       einer höheren Zahl aus. „So oder so, es sind viel zu viele, die gestorben
       sind“, sagt er zur taz. „Wir brauchen mehr Unterstützung für Obdachlose.
       Das ‚Housing First‘-Modell mit seinen 30 Plätzen ist nur ein Tropfen aus
       den heißen Stein“.
       
       Erschreckend sind an der Todesfall-Liste, mit der der Senat die
       Linken-Anfrage beantwortet hatte, die Altersangaben. Der jüngste Obdachlose
       starb Mitte Januar [7][nahe des Michels mit 24 Jahren], wie Hinz&Kunzt
       berichtete. Zwei weitere waren 31 und 32 Jahre jung. Das Durchschnittsalter
       der Toten liegt bei 46,4 Jahren. Bei zwei der im Krankenhaus Gestorbenen
       gab es zudem „Hinweise auf eine Unterkühlungsphase“.
       
       Für Jörn Sturm sind die Zahlen Ausdruck dessen, wie schlecht der
       Gesundheitszustand der Menschen auf der Straße ist. Viele seien ernsthaft
       krank. „Es gibt einen Mangel an Möglichkeiten der Gesundpflege.“ Ein
       solches Angebot ist die Krankenstube der Caritas im früheren
       Hafenkrankenhaus. Doch die dortigen 20 Plätze reichen nicht. „Die
       Krankenstube ist häufig voll belegt“, sagt Caritas-Sprecherin Tanja
       Weingärtner. „Zu Hochzeiten wird dann auch mit einer Warteliste gearbeitet
       und es müssen Anfragen abgelehnt werden“. Definitiv wären zusätzliche und
       anschließende Einrichtungen für die Versorgung obdachloser kranker Menschen
       „sinnvoll“.
       
       Krankenpfleger Ronald Kelm hat in diesem Winter mit dem „Gesundheitsmobil“
       am Hauptbahnhof Menschen versorgt. „Lungenentzündung, Hepatitis,
       Bauchspeicheldrüsenentzündung – die hatten Krankheitsbilder, die lässt man
       nicht auf die Straße“, sagt er. Im Winternotprogramm bietet ein
       Pflegedienst zwar täglich Sprechstunden an, eine ärztliche Sprechstunde
       gibt es aber in der Regel nur einmal pro Woche. „Patienten haben sich bei
       uns beschwert, dass sie dort nicht drankommen“, berichtet Kelm.
       
       Auch Hamburgs Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer (SPD) hat registriert,
       dass die Lage sich verschlechtert hat. Immerhin dürfen in diesem Jahr bis
       zu 120 Menschen über den März hinaus im Winternotprogramm bleiben. Es
       handle sich um so verletzliche obdachlose Personen, dass für sie ein Leben
       auf der Straße unabhängig vom Wetter zur „Gefahr für Leib und Leben“ würde,
       so ihre Behörde. Etliche dieser Obdachlosen sollen schlicht im Rollstuhl
       sitzen.
       
       Doch dieses Angebot ist als „niedrigschwellige Notversorgung“ konzipiert.
       „Es handelt sich daher nicht um Pflegeplätze“, sagt Schlotzhauers
       Sprecherin Stefanie Lambernd.
       
       ## Probleme nach dem Klinik-Aufenthalt
       
       Dass es eine Versorgungslücke für Obdachlose gibt, die aus dem Krankenhaus
       kommen, hatten die Fraktionen von SPD und Grünen im Rathaus schon vor einem
       Jahr erkannt und in [8][einem Antrag den Senat aufgefordert], darzulegen,
       wie für diese Gruppe das „Entlassungsmanagement“ aus Kliniken verbessert
       werden kann.
       
       Im dem Bericht, [9][den Schlotzhauer im Januar dazu vorlegte], wird
       aufgelistet, dass Hamburg mit seinen Kliniken eine „Handlungsanleitung“
       abgestimmt habe und es schon seit zwei Jahren eine Unterbringung für
       Obdachlose mit „medizinisch-pflegerischem“ Bedarf im Stadtteil Groß Borstel
       gebe. Zwei weitere „spezielle Wohnunterkünfte“ mit je 50 Plätzen für Männer
       und Frauen mit psychiatrisch-psychotherapeutischem Bedarf seien geplant,
       eine davon noch in diesem Jahr.
       
       Doch richtige Pflegeeinrichtungen nach Sozialgesetzbuch XI, in denen die
       Menschen exakt entsprechend ihrer Pflegebedürftigkeit eingestuft und
       versorgt werden, sind nicht geplant. Denn viele Obdachlose kommen aus dem
       EU-Ausland und haben weder Leistungsanspruch noch
       Krankenversicherungsschutz. Für diese gestaltet sich laut Schlotzhauer die
       Entlassung aus dem Krankenhaus „herausfordernd“, da Anschlusshilfen oft nur
       einen „hilfsweisen“ und „temporären“ Charakter haben könnten. Hier wären
       Gespräche einer „Bund-Länder-AG“ abzuwarten, um abschätzen zu können, ob
       weitere Verbesserungen in der Gesundheitsversorgung Obdachloser zu
       erreichen wären, so die Senatorin etwas unverbindlich.
       
       „Die Situation ist hoch dramatisch. Angesicht von mindestens 2.000
       Obdachlosen muss die Hilfe massiv ausgeweitet werden“, hält CDU-Politiker
       Grutzeck dagegen, der gleich noch eine Anfrage stellen will. „Wir brauchen
       richtige Pflegeplätze für Obdachlose, wo diese nicht nur akut behandelt,
       sondern gesund gepflegt werden“, sagt auch Hinz&Kunzt-Geschäftsführer
       Sturm. Das Gesundheitsmobil habe in dieser Woche drei Anfragen von Kliniken
       gehabt, die nicht wussten, wohin sie die Menschen entlassen sollen, ergänzt
       Ronald Kelm. „Wir sind von dieser Mängelverwaltung richtig genervt.“
       
       28 Apr 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Polizei-vertreibt-Bettler-aus-Innenstadt/!5921450
   DIR [2] https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/83282/todesfaelle_im_oeffentlichen_raum_viii.pdf
   DIR [3] https://www.hinzundkunzt.de/22-wohnungslose-im-winter-gestorben/
   DIR [4] /Obdachlose-in-Winter/!5899297
   DIR [5] https://www.gesundheitsmobil-hamburg.de/
   DIR [6] https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/83492/bessere_chancen_fuer_obdachlose_hat_das_winternotprogramm_2022_2023_kaeltetote_verhindert_und_sogar_fuer_einige_nutzer_die_obdachlosigkeit_beendet.pdf
   DIR [7] https://www.hinzundkunzt.de/mindestens-sechs-obdachlose-im-januar-verstorben/
   DIR [8] https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/80003/zuverlaessiges_aufnahme_und_entlassmanagement_fuer_wohnungs_und_obdachlose_menschen.pdf
   DIR [9] https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/82668/buergerschaftliches_ersuchen_vom_1_juni_2022_zuverlaessiges_aufnahme_und_entlassmanagement_fuer_wohnungs_und_obdachlose_menschen_drs_22_8358.pdf
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kaija Kutter
       
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