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       # taz.de -- Kunstwerk gegen Pushbacks: Sorry, nicht so gemeint
       
       > An der Oderpromenade in Frankfurt steht wieder eine Mauer. „Sorry“ von
       > Joanna Rajkowska ist ein irritierendes und deshalb gelungenes Kunstwerk.
       
   IMG Bild: Irritation am Oderufer: Joanna Rajkowskas „Sorry“
       
       „‚Sorry‘ ist kein freundliches Kunstwerk“, sagt [1][Joanna Rajkowska in
       einem Interview]. „Es hat eine andere Energie als meine anderen Projekte im
       öffentlichen Raum. Es hat ein schlechtes Karma, weil in ihm die
       Verzweiflung sichtbar wird.“
       
       Nach der ersten Station in Posen steht „Sorry“, das Mahnmal mit dem
       schlechten Karma, nun an der Uferpromenade in Frankfurt (Oder) – und löst
       bereits vor der offiziellen Einweihung am 29. Juni Diskussionen aus. „Warum
       steht das ausgerechnet hier“, fragt ein Mann, vielleicht sechzig, auf dem
       leergeräumten Plateau an der Stadtbrücke, wo man einen besonders guten
       Blick auf die Promenade hat. „Und warum Sorry? Für was müssen wir uns
       entschuldigen?“
       
       Sorry, der Schriftzug, den die drei Meter hohen Betonmauern mit den
       Glasscherben auf ihrer Spitze bilden, ist für Joanna Rajkowska keine
       Entschuldigung, eher das Gegenteil. In Großbritannien, wo die 1968 in
       Bydgoszcz geborene Künstlerin lange Zeit lebte, begegne einem ein „Sorry“
       auf Schritt und Tritt. „Sogar wenn du jemanden auf den Fuß trittst,
       entschuldigt sich die betroffene Person mit einem Sorry“, sagt die
       Künstlerin. „Ganz oft ist das der Versuch, einer Konfrontation aus dem Weg
       zu gehen.“
       
       Es ist dieser irritierende Raum zwischen Entschuldigung und Wegschauen, die
       auch René Pachmann überzeugt hat. Schon als „Sorry“ in Posen aufgestellt
       wurde, haben [2][der katholische Seelsorger an der Europa-Universität
       Viadrina] und seine Frau Constance Krüger Kontakt zu Joanna Rajkowska
       aufgenommen. „Wir wollten „Sorry“ unbedingt nach Frankfurt holen“, sagt
       Pachmann und spricht von einem Bogen, der damit von der heutigen
       Außengrenze der EU zur ehemaligen Außengrenze zwischen Deutschland und
       Polen geschlagen werde.
       
       Tatsächlich waren es die unmenschlichen Szenen an der polnischen Grenze zu
       Belarus, die Joanna Rajkowska zu ihrem Kunstwerk bewegt haben: Der Bau
       eines Grenzzauns, die Pushbacks, die Verzweiflung der Migrantinnen und
       Migranten, die zum Spielball des belarussischen Diktators Lukaschenko und
       des EU-Grenzschutzes wurden. „‚Sorry‘ wurde aus dem Gefühl geboren, dass
       wir als Gesellschaft seit der Zeit des Holocaust keinen schwierigeren
       Moment hinsichtlich unserer Verantwortung und Solidarität durchlebt haben“,
       [3][schreibt Rajkowska auf ihrer Website].
       
       ## Auch die Palme hat Debatten ausgelöst
       
       Die Irritation, die schon den Beobachter auf der Brücke erfasst hat, trifft
       auch diejenigen, die auf der Oderpromenade flanieren. „Wer am Oderufer
       entlang geht, kommt plötzlich nicht weiter, weil er vor einer Mauer steht“,
       sagt René Pachmann. „Man muss drumherumgehen und ausweichen.“ Pachmann
       hofft, dass es in Frankfurt ähnliche kontroverse Diskussionen gibt wie bei
       Rajkowskas wohl bekanntestem Kunstwerk, der sogenannten [4][„Palme“, die
       2002 am Warschauer Rondo Charles de Gaulle aufgestellt wurde].
       
       Den Ort für die Palme hatte Rajkowska damals bewusst gewählt. Am Rondo
       kreuzen sich der alte Warschauer Königsweg und die Aleje Jerozolimskie, die
       Jerusalemer Alleen. Mit der Palme wollte Rajkowska daran erinnern, dass
       Warschau vor dem Krieg mit etwa 300.000 Jüdinnen und Juden die größte
       jüdische Stadt in Europa war. Eine unbequeme Erinnerung war das, auch vor
       dem Hintergrund des polnischen Antisemitismus. Heute ist die Palme ein
       Wahrzeichen des liberalen Warschau geworden.
       
       Die Frankfurter Stadtverwaltung freut sich auf das Projekt, das vom
       polnischen Magazin Polityka zu den zehn wichtigsten Kunstereignissen in
       Polen 2022 gekürt worden war. „Auf der Oderpromenade stellt sich den
       Flanierenden eine graue Barriere in den Weg“, heißt es in der [5][Einladung
       zur Vernissage]. „Drei Meter hoch und mit Glas bespickt steht sie
       einschüchternd da und es scheint, als seien die dunklen Zeiten hoher
       Grenzmauern an die deutsch-polnische Grenze zurückgekehrt.“ Doch dieser
       Eindruck sei kalkuliert.
       
       Für Frankfurt ist „Sorry“ auch das erste große Projekt, in das [6][die
       Kulturkoordinatorin der Stadt, Constance Krüger], involviert ist. Vor zwei
       Jahren hat Krüger ihre Stelle angetreten, mit der die Aktivitäten zwischen
       Stadt und Universität intensiviert werden sollen. „Die Studenten, die
       Mitarbeiter der Uni und die Stadtbewohner sollen die kulturellen Angebote
       der Stadt kennenlernen und so miteinander in Dialog treten“, [7][sagt
       Krüger zu ihrer Arbeit].
       
       ## CDU will wieder Grenzkontrollen
       
       Gerade Rajkowskas „Sorry“ sei eine Möglichkeit, ins Gespräch zu kommen,
       sagt Krüger. Das Kunstwerk zwinge den Betrachter, sich eine Meinung dazu zu
       bilden, verriet sie bereits im Februar der Märkischen Oderzeitung, da hatte
       es noch gar kein grünes Licht gegeben.
       
       Oben, auf dem Plateau der Brücke, fängt der Mann um die sechzig an zu
       nicken. An die Zeit der Grenzkontrollen erinnert er sich gut, auch wenn er
       vor seiner Rückkehr nach Frankfurt 23 Jahre in Baden gearbeitet hat. Auch
       an diesem Tag stehen Beamte der Bundespolizei auf der Słubicer Straße auf
       der deutschen Seite, gerade haben sie ein Auto herausgewunken.
       
       Geht es nach dem Brandenburgischen Innenminister Michael Stübgen (CDU)
       sollen an dieser Stelle nach sechzehn Jahren Schengen wieder stationäre
       Kontrollen stattfinden. Sorry, tut uns leid, aber die Migranten.
       
       23 Jun 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.dwutygodnik.com/artykul/10214-mury-nie-runa.html
   DIR [2] https://www.heilig-kreuz-ffo.de/gemeindeleben/hochschulseelsorge/ansprechpartner/
   DIR [3] http://www.rajkowska.com/sorry/
   DIR [4] https://de.wikipedia.org/wiki/K%C3%BCnstliche_Palme_in_Warschau
   DIR [5] https://www.frankfurt-oder.de/Verwaltung-Politik/Verwaltung/Aktuelles/Kunstwerk-SORRY-von-Joanna-Rajkowska-erstmals-in-Deutschland.php?object=tx%2C2616.14&ModID=7&FID=2616.35122.1&NavID=2616.27&La=1
   DIR [6] https://www.europa-uni.de/de/struktur/zse/kulturkoordination/index.html
   DIR [7] https://www.moz.de/lokales/frankfurt-oder/europa-uni-frankfurt-_oder_-warum-an-der-oderpromenade-bald-eine-mauer-stehen-koennte-69124061.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Uwe Rada
       
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