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       # taz.de -- Israelisch-polnische Beziehungen: Klassenfahrt nach Polen
       
       > Israel und Polen beenden ihren langen Konflikt. Israelische Schulfahrten
       > zu den KZs umfassen fortan auch das Gedenken für alte Nazis und
       > Antisemiten.
       
   IMG Bild: Junge Juden und Israelis gedenken in Auschwitz der Opfer des Holocausts
       
       Polen und Israel sind vor nicht allzu langer Zeit über ein Abkommen einig
       geworden, das die Besuche jugendlicher israelischer Delegationen in Polen
       regelt und einen jahrelangen diplomatischen Streit beendet. Die Besuche in
       den Konzentrationslagern sind ein Erziehungsritual und aus dem Curriculum
       staatlicher israelischer Schulen nicht wegzudenken. [1][Tatsächlich aber
       sind sie umstritten].
       
       Die Rechte und die politische Mitte Israels tendieren dahin, sie als
       pädagogische Notwendigkeit zu betrachten, während die Linke eher auf
       Distanz geht und sie als nationalistische Indoktrination ablehnt. Linke
       Lehrkräfte protestieren dagegen, [2][dass die Schoah eine so zentrale
       Rolle für die israelischen Identität] spielt. Stattdessen müsse man sie als
       universales Phänomen betrachten.
       
       Die Polen wiederum stören sich an der Tatsache, dass sie auf diesen Reisen
       oft in eine Reihe mit Antisemiten und Nazikollaborateuren gestellt werden.
       Die polnische Regierungspartei PiS versucht nun ein neues historisches
       Narrativ zu erstellen. Man könnte das Geschichtsbeschönigung nennen.
       
       Die neue Version stellt den polnischen Widerstand gegen die Nazis, den es
       in der Tat gab, in den Mittelpunkt und strebt gleichzeitig danach, die in
       der polnischen Bevölkerung damals durchaus vorhandene [3][Kollaboration zu
       vertuschen]. Dieses Narrativ stellt die Polen als zweifache Opfer dar: der
       Nazibesatzung und der sowjetischen Besatzung.
       
       ## Die neue Version, in der es keinen Holocaust gegeben hat
       
       Diese Haltung spiegelt sich in gewisser Weise auch in der
       [4][Wiedergutmachungsforderung Polens an Deutschland] wider. Man ist Opfer
       – nicht Täter. Das ist insofern bemerkenswert, dass, auch wenn dieses
       Narrativ zum Teil unwahr ist, es doch die Einsicht signalisiert, dass die
       heutige Norm eine Distanzierung von jeglichem Antisemitismus erforderlich
       macht. Antisemitismus und Fremdenhass sind nicht mehr gesellschaftsfähig.
       
       Die europäische Rechte entwickelte über die Jahre eine gespaltene
       Identität. Sei ein Fremdenhasser daheim, aber ein bisschen weniger
       fremdenfeindlich, wenn du in die Öffentlichkeit gehst. Dieser heuchlerische
       Liberalismus löscht die Xenophobie nicht aus, aber es besteht doch ein
       Konsens darüber, dass die „Wahrheit“ verheimlicht werden muss. Die neue
       Rechte sagt nicht mehr: „Gut, dass die Juden vernichtet wurden“, sondern
       sie hält sich an die Version, dass es gar keinen Holocaust gegeben hat.
       
       Auch die israelische Rechte befindet sich in einem Dilemma. Traditionell
       tendierte sie dazu, den Antisemitismus als Hauptmerkmal für Nichtjuden zu
       betrachten und beharrte darauf, dass die ganze Welt gegen uns ist. Wir sind
       die ewigen Opfer, deshalb müssen wir stark sein und erbarmungslos. Auf der
       anderen Seite empfindet die israelische Rechte in ihrer aktuellen Version
       eine Nähe zur europäischen Rechten und identifiziert sich mit ihrem
       Fremdenhass, vor allem mit der Islamophobie.
       
       ## Israelische Linke als Hauptkritiker des Abkommens
       
       Das ist die Erklärung dafür, dass ausgerechnet die israelische Rechte mit
       den Polen einen wirklich revolutionären Vertrag unterzeichnet hat, der in
       ihren Augen die traditionelle Erzählung komplett auf den Kopf stellt. Das
       Abkommen sieht nämlich vor, dass die israelischen Jugenddelegationen auch
       Gedenkstätten besuchen, die die Geschichte des polnischen Widerstands
       erzählen, darunter [5][Denkmäler von nationalistischen, antisemitischen
       Polen] par excellence.
       
       In einem seltsamen und ironischen Rollentausch sind israelische Linke heute
       zu den Hauptkritikern des Abkommens geworden, das sie als Kapitulation vor
       Antisemitismus und polnischem Nationalismus betrachten.
       
       Aus dem Hebräischen von Susanne Knaul
       
       14 May 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.haaretz.com/israel-news/2023-04-18/ty-article/.premium/israeli-knesset-to-renew-discussion-over-controversial-deal-with-poland/00000187-936b-dc6c-a5ff-ff7b49340000
   DIR [2] /Deutsch-israelische-Beziehungen/!5920177
   DIR [3] https://www.sueddeutsche.de/politik/israel-polen-holocaust-holocaust-gedenken-1.5809129
   DIR [4] /Polen-und-Deutschland/!5888552
   DIR [5] https://www.juedische-allgemeine.de/politik/neuer-streit-um-gruppenfahrten-nach-polen/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Hagai Dagan
       
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