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       # taz.de -- Grüne in Thüringen: Wo es leider nur um Köpfe geht
       
       > Die Grüne Anja Siegesmund will lieber für einen Lobbyverband arbeiten,
       > als Ministerin zu sein. Das verrät viel über die Krise der Landespolitik.
       
   IMG Bild: Thüringens Ex-Umweltministerin Anja Siegesmund
       
       Aus „persönlichen Gründen“, so sagte sie es, legte Thüringens grüne
       Umweltministerin Anja Siegesmund Ende vergangenen Jahres ihr Amt nieder, um
       eine „Auszeit“ ging es, und man mochte denken: Kann ja schon mal vorkommen,
       dass so ein Landesministerium jemanden nicht mehr erfüllt.
       
       Doch dann [1][fand die regionale Qualitätspresse heraus], dass die
       persönlichen Gründe doch eine berufliche Note hatten. Der Bundesverband der
       Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Kreislaufwirtschaft hatte Siegesmund
       offenbar bereits als nächste Präsidentin ausgesucht.
       
       Diesen Job kann die grüne Spitzenkraft allerdings nicht so schnell wie
       geplant antreten. Vielleicht ist Siegesmund entgangen, dass die
       rot-rot-grüne Koalition, der sie angehörte, sich eine
       „[2][Karenzzeit-Regelung]“ gab. Demnach sollen ausscheidende PolitikerInnen
       erst eine ganze Weile ins Abklingbecken, bevor sie ihre Kontakte und
       Kenntnisse zum Beispiel in Unternehmensverbänden einbringen. Ein großes
       grünes Thema übrigens – auch in Thüringen warben die Grünen für „Je länger,
       je lieber“.
       
       [3][Siegesmund könnte nun dagegen klagen, dass diese Regelung für sie
       gilt]. Ich für meinen Teil bin nicht nur gespannt, wann Anja Siegesmund und
       der Bundesverband der Entsorgungs-, Wasser- und Kreislaufwirtschaft
       zusammenkommen. Gern nehme ich auch Wetten entgegen, wie sich die Sache –
       zumal, wenn das alles noch dauert – auf die Landtagswahlen in Thüringen in
       etwas über einem Jahr auswirkt.
       
       ## Der Goebbels-Imitator steht bei 28 Prozent
       
       In Thüringen steht die AfD in Umfragen derzeit bei 28 Prozent. Um sie von
       der Macht fernzuhalten, arbeitet Ministerpräsident Bodo Ramelow schon jetzt
       mit einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung in einer Art
       Darf-so-aber-nicht-heißen-Kooperation mit der CDU. Unglaubwürdige
       Grünen-Politikerinnen schaden in solchen Situationen nicht nur der eigenen
       5,2-Prozent-Partei.
       
       In den Bundesländern, in denen die AfD stärkste Kraft im Landtag zu werden
       droht, geht es demokratisch gesehen um alles. Die Thüringer AfD-Truppen
       rings um Goebbels-Imitator Björn Höcke schlachten angreifbare Personalien
       aus, wo es nur geht. Wie es sich halt für eine Partei gehört, die nur aus
       Ressentiments besteht.
       
       Nun lässt sich der Mechanismus „Hurra, wir können uns auf
       Personalgeschichten stürzen, dann fällt niemandem auf, dass wir keine
       Vorschläge in der Sache haben“ natürlich derzeit auch [4][im Bund und bei
       anderen Parteien] beobachten. Doch hege ich bei Habeck/Graichen die
       Hoffnung, dass die schiere Wichtigkeit des Klimathemas bald dafür sorgt,
       dass wir wieder darüber reden dürfen, wie die Energiewende beim Wohnen
       funktionieren kann, und was eben noch so ansteht.
       
       Das Problem in der Landespolitik ist dagegen ihre schiere
       Bedeutungslosigkeit. Die Länder gestalten praktisch nichts. Relevante
       Bildungspolitik – genau, „Ländersache“ – haben fast alle aufgegeben.
       Landeskrankenhäuser ließ man erst verfallen und hat sie dann verkauft.
       Profiliert haben sich die Bundesländer zuletzt nur durch sorgfältiges
       Verhindern – man denke an die Pandemiepolitik. MinisterpräsidentInnen
       werden offenbar auch zu Hause dadurch bekannt, dass sie mit entschlossener
       Mimik mehr Geld vom Bund fordern. Mehr scheint es nicht zu brauchen, um
       wiedergewählt zu werden.
       
       Wo aber keine Themen, sondern nur noch Köpfe eine Rolle spielen, wo auch
       nicht mehr erkennbar ist, wofür welcher Kopf steht – außer dass man ihn
       halt schon kennt –, schrumpft Politik auf Personaltheater. Und eine
       Karriereentscheidung einer Landesministerin gerät zu anhaltend giftigem
       Schlagzeilenmaterial.
       
       13 May 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.thueringer-allgemeine.de/blog/debes-zwischenruf/zwischenruf-stellen-sie-sich-vor-id237386833.html
   DIR [2] https://lobbypedia.de/wiki/Karenzzeit_(Bundesl%C3%A4nder)
   DIR [3] https://www.tagesschau.de/inland/regional/thueringen/mdr-kabinett-bestaetigt-laengere-job-pause-fuer-ex-umweltministerin-siegesmund-100.html
   DIR [4] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/patrick-graichen-oppositionelle-fordern-die-entlassung-von-robert-habecks-staatssekretaer-a-f1735d29-e008-4016-94e4-10da7ff5e1dd
       
       ## AUTOREN
       
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