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       # taz.de -- Neues Kulturhaus in Berlin: Ein besseres Humboldt Forum
       
       > Das neue Kulturhaus Spore kümmert sich um die großen Themen der Zeit:
       > Wissensgerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Dekolonialisierung.
       
   IMG Bild: Das Team von Spore setzt sich für biokulturelle Vielfalt ein
       
       Berlin taz | Der Häcksler funktioniert nicht, also schneiden die
       Kursteilnehmer*innen die Zweige mit Gartenscheren in kleine Stücke.
       „Gibt es hier irgendwo Macheten?“, fragt lachend Valiana Aguilar vom
       Kollektiv Suumil Móokt’aan. Nach der mühsamen Handarbeit werden die Zweige
       mit Gras, Laub, Küchenabfall, Gesteinsmehl und viel Wasser vermischt, um
       sich gut abgedeckt eine Woche lang stark zu erhitzen und dann sehr viel
       schneller Humus zu bilden als herkömmlicher Kompost.
       
       „Heißkompost“ heißt der Workshop im Garten des Kulturhauses Spore in der
       Hermannstraße, einem neuen Kulturhaus für Ausstellungen und Workshop rund
       ums Thema Ökologie und Kunst. Der Blick geht auf einen der Signalmasten zur
       „Anflugbefeuerung“ des alten Flughafens Tempelhof, er geht auf die letzten
       Grabsteine im Anita-Berber-Park, dem ehemaligen Friedhof der
       St.-Thomas-Gemeinde, und nicht zuletzt auf das Kulturhaus selbst.
       
       Im dem Gebäude aus Backsteinen aus Abrisshäusern mit seinen etagenhohen
       Fenstern stellt das Suumil Móokt’aan Kollektiv ihr Solar Maya vor: Ein
       Lernort, den sie nach dem Vorbild eines traditionellen Hofs bei den Maya
       auf der lateinamerikanischen Halbinsel Yucatán gebaut haben – inklusive
       Bienenhaus, Saatguthaus, Trockentoilette und Gemeinschaftsküche.
       
       Yucatán war einst das Zentrum der Jahrtausende alten Maya-Kultur. Heute
       umfasst das beliebte karibische Urlaubsziel Teile von Mexiko, Belize und
       Guatemala. Durch staatlich geförderte Programme der „Urbanisierung“ wurden
       traditionelle Lebensweisen der Maya teilweise verdrängt, erzählt Valiana
       Aguilar. Es geht also auch um Selbstermächtigung durch die Wiederaneignung
       der Kultur, Sprache und des Wissens der indigenen Völker.
       
       ## Soziale Verantwortung, im Kiez und global
       
       Sollte man den Auftrag des Hauses Spore, wo sich derzeit sehr vieles um die
       Halbinsel Yucatán dreht, in einem einzigen Wort zusammenfassen, müsste die
       Wahl wohl auf den spröden Ausdruck Wissensgerechtigkeit fallen. Ein Haus
       für alle, ohne Eintritt und mit vielfältigem Programm: Es geht darum,
       Ökologie und Kunst zusammen zu denken. Es geht um Nachhaltigkeit, soziale
       Verantwortung, nachbarschaftliche Beziehungen, Niedrigschwelligkeit im
       nicht gerade bürgerlichen Kiez in der Neuköllner Hermannstraße sowie
       Gerechtigkeit und Achtsamkeit zwischen Globalem Norden und Süden.
       
       Jenem Süden, der an erster Stelle vom Klimawandel betroffen ist und wo die
       Auswirkungen auch in Zukunft am stärksten spürbar sein werden, berichtet
       die Direktorin und künstlerische Leiterin des Spore-Hauses. Antonia Alampi
       hat sich schon zuvor als Kuratorin, Forscherin und Autorin in Italien,
       Kairo und Antwerpen sowie am Berliner Kunstraum Savvy Contemporary mit
       Themen wie Dekolonialisierung und kulturelle Aneignung auseinandergesetzt.
       
       Schon beim ersten Raum, den Alampi zeigt und der derzeit den Namen Xook
       K’iin, Zeitlichkeiten wahrnehmen, trägt, wird klar, wo im Spore die
       Prioritäten liegen. Es gibt Installationen, Gemälde und Dokumentationen und
       eine Art Holzregal in der Mitte, das unter anderem von den
       Künstler*innen Estela Ay Chan und Santos Chuc Caamal stammt und auch ein
       Gedicht des guatemaltekischen Poeten Humberto Ak'abal einbezieht.
       
       Bei den bunten Vogelskulpturen inklusive Vogelstimmen und deren
       Interpretation, geht es um eine spezielle Methode der Kleinbäuer*innen:
       Die Milpa ist ein über drei Jahrtausende in ganz Mittelamerika entwickeltes
       System der Agroforstwirtschaft, bei dem Kürbis, Mais und Bohnen zusammen
       angebaut werden. Dabei geht es nicht nur um eine Symbiose der drei
       Pflanzen, sondern auch darum, Wetterschwankungen und Naturphänomene
       vorherzusagen und zu deuten.
       
       „Jede Bewegung, jedes Geräusch, jede Farbe ist nicht einfach nur schön und
       lädt zur Kontemplation ein, sondern hat eine Bedeutung für all jene, deren
       Existenz davon abhängt, die Natur zu lesen“, sagt die küstlerische Leiterin
       Antonia Alampi. „Alles, was uns umgibt, hat eine Bedeutung. Und wenn wir
       wieder fähig wären zuzuhören, wäre das schon mal ein Schritt in die
       richtige Richtung.“
       
       ## Gegen die Deutungsherrschaft des Westens
       
       Doch es geht hier nicht nur um die indigenen Völker, die nur sechs Prozent
       der Weltbevölkerung ausmachen und 80 Prozent der weltweiten Biodiversität
       pflegen. Es geht auch darum, die „Deutungsherrschaft“ abzugeben – eine
       Praxis, mit der sich ethnologische Museen wie das Humboldt Forum nach wie
       vor schwer tun. „All die Themen und Projektideen kommen nicht von uns,
       sondern von unseren Partner*innen“, sagt Alampi.
       
       Den Anfang haben sie mit Künstler*innen, Ernährungswissenschaftler*innen,
       Kleinbäuer*innen, Imker*innen, Illustrator*innen, Dichter*innen,
       Biolog*innen, Archäolog*innen, Übersetzer*innen, Handwerker*innen,
       Radiomoderator*innen und Filmemacher*innen auf Yucatán gemacht.
       Es werden andere aus anderen Kulturen folgen.
       
       Doch immer werden sie zuerst mit ihren Gemeinschaften vor Ort arbeiten.
       Erst im zweiten Schritt werden sie gemeinsam mit dem inzwischen 14-köpfigen
       Team von Spore überlegen, wie man die Ergebnisse in Berlin präsentieren und
       weiterführen kann. Viele der so entstandenen Filme, Bücher und Broschüren
       waren in Yucatán also längst im Umlauf, bevor sie es nach Berlin schafften.
       
       Derzeit verfügt das Spore über drei Ausstellungsbereiche, riesige
       Workshop-Räume, ein hauseigenes Kino und eine weitläufige Bibliothek. Hier
       finden kulturelle Programme, Workshops und auch die Besuche von
       Schulklassen statt. Massivholzregale von Berliner Tischler*innen stehen
       neben alten Ledersofas und schweren Chromlampen aus zweiter Hand: Einiges
       in diesem Haus ist gebraucht, alles ist erlesen.
       
       ## Hinter dem Kulturhaus steht viel Geld
       
       Es ist überall zu sehen: Hinterm Spore steht Geld, viel Geld.
       Verantwortlich ist die Stiftung der Familie Schöpflin, die durch ihren
       Versandhandel reich geworden ist und inzwischen vor allem in Bereiche wie
       soziale Verantwortung und Umweltgerechtigkeit investiert. „Natürlich geht
       es auch darum, andere Rollen zu suchen und Gruppen und Gemeinschaften, die
       beim Schutz der biologischen Vielfalt und bei der ökologischen Regeneration
       an vorderster Front stehen, endlich ein angemessen wertschätzendes Podium
       anzubieten“, sagt Alampi dazu. „Historisch gesehen wurden diese lange genug
       marginalisiert, unterdrückt und ausgeschlossen.“
       
       Zusätzlich traut man hier auch den jüngsten Besucher*innen zu, mit
       gutem Material umgehen zu können, sagt die Direktorin und zeigt dann die
       vielleicht berührendste Ausstellung im Spore Haus. U Juum Báalam Raab, das
       Summen der Wächterbiene, heißt der Raum, der von einer stark gefährdeten,
       winzigen, stachellosen einheimischen Biene Yucatáns handelt, die in
       ausgehöhlten Baumstämmen gehalten wird und deren rarer Honig als Heilmittel
       gilt.
       
       Dominiert wird der Raum von einer großen Installation des Künstlers Ariel
       Guzik aus flexiblen, mit bemaltem Stoff verhängten Wänden. Schon von
       draußen hört man die Tonaufnahmen aus dem Inneren von
       Melipona-Bienenstöcken. Die fantastischen Landschaften, Ideogramme und
       Gedichte laden ein, die Installation auch dann zu betreten, wenn man Angst
       vor Bienen hat – und einen stilisierten Bienenstock aus Ton vorzufinden,
       der allerdings bald nach Yucatán zurückkehren wird.
       
       Um die Installation herum wird die Auseinandersetzung von Kindern aus
       Yucatán und Berlin mit den Bienen dokumentiert. „Wir erzählen hier eine
       sehr dringende Geschichte“, sagt Antonia Alampi. „Wir müssen uns gemeinsam
       um die wichtigsten Beschützer*innen der Erde kümmern, einschließlich
       der vielen Bienenarten, die wesentliche Bestäuberinnen für ganze Ökosysteme
       sind“, fügt sie an. „Das kollektive Sorgetragen ist etwas, das wir hier
       manchmal verlernt haben.“
       
       15 May 2023
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Messmer
       
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