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       # taz.de -- Politisch motivierte Kriminalität: Wirrköpfe sprengen die Statistik
       
       > Nicht rechts, nicht links: Bei der politisch motivierten Kriminalität in
       > Niedersachsen sind die meisten Taten nicht zuzuordnen.
       
   IMG Bild: Links oder rechts: Welchem Spektrum sind Aluhüte zuzuordnen?
       
       Hannover taz | Kritik an der polizeilichen [1][Statistik zur ‚Politisch
       motivierten Kriminalität‘ (PMK)] gibt es, seit diese 2001 eingeführt wurde.
       Über viele Jahre hinweg bestand die vor allem darin, dass
       zivilgesellschaftliche Organisationen monierten, dass rechte, rassistische
       Gewalt untererfasst wird – während sich die konservative bis rechte Seite
       darüber mokierte, dass es doch nicht sein könne, dass es so wenig linke
       Kriminalität gebe.
       
       Zumindest in dieser Hinsicht hat Niedersachsens neue Innenministerin
       Daniela Behrens (SPD) in diesem Jahr Positives zu verkünden: In beiden
       „Phänomenbereichen“, wie es in der Statistik heißt, sind die Zahlen
       zurückgegangen. Die Statistik weist 1.725 politisch motivierte Straftaten
       von rechts aus (minus 13 Prozent im Vergleich zum Vorjahr) und 693 Fälle
       von links (minus 43 Prozent).
       
       Auch insgesamt sind die Zahlen zurückgegangen – um elf Prozent auf 4.768
       Taten. Niedersachsen steht damit ein klein wenig besser da als der Bund, wo
       Innenministerin Nancy Faeser schon in der vergangenen Woche die Zahlen
       vorstellte.
       
       Gleichzeitig zeigt sich sowohl im Bund wie auch in Niedersachsen, wie
       [2][die Statistik der Realität hinterherhinkt]. Zum ersten Mal machen in
       Niedersachsen die Taten aus dem Phänomenbereich „Sonstige/nicht zuzuordnen“
       den größten Anteil aus. 2181 Fälle entfielen 2022 auf diesen Bereich.
       
       ## Vor allem Propagandadelikte
       
       Die PMK kennt nämlich zur Zeit nur fünf Phänomenbereiche: rechts, links,
       ausländische Ideologie, religiöse Ideologie und eben: „nicht zuzuordnen“.
       Darunter tummeln sich so verschiedene Phänomene wie Reichsbürger,
       Querdenker, Putin-Fans und Klima-Aktivisten.
       
       „Damit bin ich natürlich auch unzufrieden“, räumt Daniela Behrens ein.
       Immerhin steuert diese Statistik auch, wo Arbeitsschwerpunkte gesetzt
       werden und in welche Bereiche Präventionsmittel fließen. Allerdings: Die
       niedersächsische Innenministerin kann bei dieser Gelegenheit zwar sehr
       ausdrucksstark unzufrieden gucken, aber wenig tun.
       
       Um die Definition der „Phänomenbereiche“ in der PMK, sowie der
       „Oberthemenfelder“ und „Unterthemenfelder“, denen die Taten dann auch noch
       zugeordnet werden, ringt eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe, und bis die sich
       auf Änderungen einigt, dauert es seine Zeit. Gleichzeitig führt daran kein
       Weg vorbei, wenn man die Zahlen halbwegs vergleichbar halten will. Sie
       wolle sich allerdings dafür einsetzen, hier nachzuschärfen, erklärt
       Behrens.
       
       Auf den ersten Blick verblüffend wirkt, wie wenige der sogenannten
       Reichsbürger und Selbstverwalter als eindeutig rechts einsortiert werden:
       Nur 32 von 148 Fällen sind das in Niedersachsen. „Es gibt viele Anhänger
       von Verschwörungsideologien, die sich nicht eindeutig dem klassischen
       rechten Spektrum zuordnen lassen, auch wenn ihre häufig antisemitisch und
       fremdenfeindlich geprägten Weltbilder viele Anknüpfungspunkte dorthin
       aufweisen“, versucht Behrens zu erklären.
       
       ## Z-Zeichen-Verbot schafft eigenes Deliktfeld
       
       Die Polizei sortiert sie bisher nur dann dort ein, wenn sie explizit Bezug
       auf völkischen Nationalismus, Rassismus, Sozialdarwinismus oder
       Nationalsozialismus nehmen und dies auch zentral für die Tatmotivation oder
       Tatbegehung ist.
       
       Das gilt aber beispielsweise nicht bei Reichsbürgern, die vor allem wirre
       Pamphlete an Amtsträger senden, in denen sie absurde Goldmarkbeträge als
       Schadensersatz für vermeintlich erlittenes Unrecht fordern, versucht
       Landespolizeidirektor Ralf Leopold zu erklären. Er sei selbst auch schon
       Opfer solcher Bedrohungs- und Erpressungsversuche geworden.
       
       Gleichzeitig muss man betonen, dass tatsächliche Gewaltdelikte den
       kleinsten Teil der erfassten Taten ausmachen. Ein Großteil entfällt auf
       Propagandadelikte. Im Phänomenbereich ‚rechts‘ macht das typische Zeigen
       verfassungsfeindlicher Symbole, also etwa Hakenkreuze und Hitlergrüße, 60
       Prozent der Fälle aus.
       
       Das gilt auch für den Bereich „Sonstige/nicht zuzuordnen“. Hier wurde mit
       dem Verbot des Z-Zeichens im März 2022 quasi ein neues Deliktfeld
       aufgemacht, das nun mit 201 Fällen zu Buche schlägt. Das Z-Symbol gilt
       seither als Zeichen für die Unterstützung und Billigung des russischen
       Angriffskrieges und ist damit strafbar nach Paragraf 140 StGB Belohnung und
       Billigung von Straftaten.
       
       Auch neu in der Statistik: Bei den [3][Straftaten aus dem Bereich der
       Hasskriminalität] sind zum ersten Mal vier „männerfeindliche Straftaten“
       verzeichnet, die Kategorie gibt es erst seit dem letzten Jahr. Nach
       Auskunft des Innenministeriums handelt es sich dabei um drei
       Farbschmierereien im öffentlichen Raum und einen Facebook-Post. Zu den
       Inhalten gab es keine weitere Auskunft.
       
       Die weiteren erfassten Straftaten in diesem Bereich: 15 richteten sich
       gegen Frauen, 36 gegen geschlechtsbezogene Diversität und 64 gegen die
       sexuelle Orientierung.
       
       17 May 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.mi.niedersachsen.de/startseite/aktuelles/presseinformationen/politisch-motivierte-kriminalitat-in-niedersachsen-2022-ruckgang-der-straftaten-nach-fallzahlenhoch-in-2021-222257.html
   DIR [2] /58916-Delikte-im-Jahr-2022/!5932762
   DIR [3] /Hasskriminalitaet-im-Internet/!5899627
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nadine Conti
       
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