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       # taz.de -- Linken-Kongress in Hannover: Spaltung steht weiter im Raum
       
       > Rund 240 Mitglieder der Linken versammelten sich am Samstag in Hannover.
       > Sie machten ihrer Wut auf die aktuelle Parteiführung Luft.
       
   IMG Bild: Teile der Linkspartei liebäugeln mit einer Abspaltung
       
       Hannover taz | Sie sendet nur eine kurze Videobotschaft und schafft es
       trotzdem, die ganze Zeit präsent zu sein. „Die Sahra“, [1][Sahra
       Wagenknecht], wird von etlichen Rednern herbeibeschworen und zitiert. 240
       Genossen haben sich am Samstag in Hannover zum „Was tun?! Die Linke in
       Zeiten des Krieges“ Kongress versammelt. Aufgerufen dazu hatten die
       Sozialistische Linke, die AG Frieden und Antimilitarismus und diverse
       Karl-Liebknecht-Kreise. Und erst einmal sind sie vor allem da, um ihrer Wut
       und ihrem Frust auf die Parteiführung Luft zu machen.
       
       Es fallen Sätze wie „diese Parteiführung muss weg“, „die Linke hat fertig“,
       „was haben wir noch zu tun mit all diesen Wellsows und Ramelows“. Dass die
       Parteiführung von einer Teilnahme an der großen „Aufstand für den
       Frieden“-Demo von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht im Februar mehr
       oder minder offen abgeraten hat, war für viele hier der Tropfen, der das
       Fass zum Überlaufen gebracht hat.
       
       Als Verrat an ur-linken Positionen, am Erfurter Programm, ja gar als
       Wiederholung der historischen Spaltung der Arbeiterbewegung am Vorabend des
       1. Weltkrieges, wird dies hier gewertet. Mitglieder der Friedensbewegung
       fühlen sich diffamiert und ausgegrenzt, weil die Veranstaltung als
       „rechts-offen“ bezeichnet wurde. Dass es in verschiedenen Städten wie
       beispielsweise in Aachen nun um die Ostermärsche ähnliche Konflikte gab und
       zum Teil konkurrierende Veranstaltungen, hat den Konflikt noch einmal
       aktualisiert.
       
       Wie blank die Nerven liegen, zeigt sich auch daran, dass Sevim Dagdelen
       sich gleich zu Beginn genötigt fühlt, auf den Tweet einer nd-Redakteurin zu
       reagieren. „Unsere historische Verantwortung ist es, einer Partei, die zur
       Kriegspartei mutiert, nicht noch Legitimität zu geben“, hatte Dagdelen in
       ihrer Rede gesagt. Als deutlichen Aufruf zur Spaltung hatte Jana
       Frielinghaus vom Neuen Deutschland das interpretiert. Was Dagdelen wiederum
       als „Fake News“ bezeichnete.
       
       ## Misstrauen überall
       
       Man sucht die Öffentlichkeit und misstraut ihr zugleich. Auch ein
       Fernsehteam wird mehrfach gebeten, das Filmen im Saal einzustellen,
       Debattenteilnehmer sollen nicht mit Namen zitiert werden. Man fühlt sich
       permanent von Feinden umzingelt, beklagt den enger werdenden
       Meinungskorridor in Deutschland.
       
       Die Antwort auf die Kongress-Frage „Was tun?!“ fällt allerdings auch nicht
       so eindeutig aus. Die einen plädieren für ein neues Netzwerk innerhalb der
       Partei, die anderen hoffen auf eine Parteineugründung. Eine Spaltung steht
       weiter im Raum. Auch Sahra Wagenknecht äußert sich in ihrer Videobotschaft
       gegen Mittag dazu nicht klarer als in den ganzen letzten Wochen und Monaten
       schon – obgleich sie viel davon sprach, was für eine linke Partei sie sich
       wünschen würde.
       
       Der Grundsatzstreit um eine linke Haltung zu Waffenlieferungen und Nato ist
       untrennbar vermischt mit viel älteren Konflikten. Eine Rückbesinnung auf
       marxistische und sozialistische Werte wird gefordert. Was auch nicht fehlt:
       Seitenhiebe auf Bewegungslinke und Pragmatiker, auf „Studenten, die kaum
       beigetreten, gleich in Ämter gewählt werden“ oder – wie Wagenknecht es
       ausdrückt – das Sammelsurium an Forderungen vom bedingungslosen
       Grundeinkommen bis hin zum Menstruationsurlaub, mit dem man die „normalen“
       Leute, Arbeiter und Angestellte schon lange verloren habe. Diejenigen, die
       diesen Wirtschaftskrieg ausbaden müssten, während „andere in ihrem
       Sabbatical angeblich klimaneutral durch die Welt“ reisten.
       
       ## Dehm fordert mehr Geld und mehr Disziplin
       
       Auch der in Niedersachsen lange unvermeidliche Diether Dehm, gegen den im
       Übrigen noch ein Ausschlussverfahren läuft, tritt auf und erklärt schon
       einmal, wie man es besser machen könnte. Eine [2][neue Partei], meint er,
       bräuchte mehr Geld und mehr Disziplin, einen streng marxistischen Kader
       nach innen, aber eine breitere Aufstellung nach außen.
       
       Gleichzeitig äußern mehrere Redner ihre Skepsis, innerhalb der aktuellen
       Partei noch viel bewegen zu können: Ein Sonderparteitag würde sich genauso
       zusammensetzen wie der letzte, mahnt ein Redner, man habe innerhalb der
       Partei keine solide Mehrheit mehr, ein anderer.
       
       Es sind aber längst nicht nur altgediente Genossen und semi-prominente
       Parteimitglieder, die sich hier äußern. Ans Saalmikro treten auch Menschen,
       die von sich sagen, noch nicht oder noch nicht lange in der Partei zu sein.
       Sie eint die Sehnsucht nach klaren linken Positionen, einer eindeutigen
       oppositionellen Haltung.
       
       Am Ende einigt man sich auf ein Abschlussdokument, das eine Rückkehr zu
       grundlegenden Aussagen des Erfurter Programmes fordert, ebenso wie einen
       Mitgliederentscheid zur Friedenspolitik und vage ankündigt, „darüber zu
       sprechen, welche Chancen es noch gibt, die Linken wieder auf einen
       antikapitalistischen und friedenspolitischen Kurs zu drehen und daraus die
       notwendigen Schlussfolgerungen zu ziehen.“
       
       6 May 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Wagenknecht-und-die-Rechten/!5915376
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       ## AUTOREN
       
   DIR Nadine Conti
       
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       ein.