URI: 
       # taz.de -- Roger Waters im Konzert: Putins britischer Nachtwolf
       
       > Der kontroverse Rockstar Roger Waters startet in Hamburg seine Tournee.
       > Mit dabei ist ein fliegendes Schwein und die übliche
       > Holocaustrelativierung.
       
   IMG Bild: Roger Waters in Hamburg
       
       „Wer entscheidet, was gut und wer böse ist? Die Regierung! Die verdammte
       Regierung? Fuck me? Fuck you!“ Roger Waters hat eine Meinung. Und er hat
       ausreichend Ruhm und Geld, um sie in fünf Meter hohen leuchtenden Versalien
       vor gut 7.000 Menschen über eine Leinwand flackern zu lassen. Wir sind in
       Hamburg, in der großen Mehrzweckhalle im Westen der Stadt. Der Mitbegründer
       der Band Pink Floyd spielt am Sonntag das erste Deutschland-Konzert seiner
       Tour. „This Is Not A Drill“ hat er sie betitelt – „Dies ist keine Übung“.
       
       Es gibt sicher gute Gründe, den Ernstfall auszurufen. US-Präsidenten von
       Ronald Reagan bis Donald Trump auf der Riesenleinwand als Kriegsverbrecher
       zu bezeichnen, auch das lässt sich begründen. Auch Joe Biden wird diese
       zweifelhafte Ehre zuteil, mit dem Zusatz „Just getting started“ – er habe
       gerade erst begonnen. Vor dem Hintergrund von Waters’ Äußerungen zum
       Angriff auf die Ukraine – der Westen als Provokateur, Putin sei angetreten,
       gegen die ukrainischen Faschisten zu kämpfen – wiegt das schwerer als der
       übliche platte Antiamerikanismus des 79-jährigen Briten.
       
       Die Stadt Frankfurt am Main und das Land Hessen hatten versucht, das
       Waters-Konzert in der Frankfurter Festhalle Ende des Monat verbieten zu
       lassen, mit Hinweis auf die [1][wiederholten antisemitischen Äußerungen des
       Musikers]. Waters ist gerichtlich dagegen vorgegangen und hat gewonnen.
       Jetzt lässt er in einer Ansage in Hamburg verkünden: Ein Gericht in
       Frankfurt habe festgestellt, dass er kein Antisemit sei, und dass er das
       „exzellent“ finde.
       
       Festgestellt hat das Verwaltungsgericht lediglich, dass bei Waters’ Konzert
       nicht mit Volksverhetzung und der Verwendung verfassungswidriger Symbole zu
       rechnen sei. Das Urteil, ob Waters Antisemit ist oder nicht, dürfte ein
       Gericht nur schwer fällen können.
       
       ## George Orwell hatte recht
       
       Aber was juckt das einen Lautsprecher wie Waters, der auf der Hamburger
       Bühne seinen „White Saviour“-Komplex in eitelster Weise auslebt: Bilder von
       Bombenexplosionen und hungernden Kindern flimmern über die Leinwand,
       während er in die Gitarrensaiten greift und Pink-Floyd-Songs spielt – oder,
       wie er sagt: Musik aus einer früheren Zeit, „als ich meine Songs in einer
       anderen Band gespielt habe“.
       
       Aldous Huxley und George Orwell hatten recht mit ihren Dystopien, verkündet
       Waters. Und er hätte genauso recht gehabt, als er seinen Song „Sheep“
       schrieb, in dem er Menschenmassen als Schafherde beschreibt, die sich
       willenlos zur Schlachtbank führen lässt. Zu seinem Song „The Powers That
       Be“ laufen Bilder von schlagenden Uniformierten, dazu Namen wie George
       Floyd und dazwischen – aus dem Kontext gerissen – Anne Frank und Sophie
       Scholl.
       
       Die Relativierung des Holocausts gehört zu Waters’ Standardrepertoire. Das
       fliegende Schwein, das sein Markenzeichen wurde, taucht auf der Leinwand
       ständig auf, bis es schließlich im Saal aufsteigt und ferngesteuert über
       die Ränge schwebt. Einen Davidstern trägt es nicht, aber die Verbindung mit
       diesem Symbol hat Waters bei seinen Konzerten so etabliert, dass es kaum
       noch einen Unterschied macht.
       
       „Steal from the poor, give to the rich“ steht auf dem Schwein – und man
       fragt sich, ob der Multimillionär sein Publikum für so dumm hält, dass es
       nicht einmal auf die Idee kommt, eine Parallele zu ihm zu ziehen, der für
       die billigsten Plätze noch über hundert Euro verlangt.
       
       ## Totalitäre Bühnenshow
       
       Am Auffälligsten ist, was für totalitäre Züge die Bühnenshow selbst trägt.
       Waters haut nonstop Slogans raus. Bis auf einige Stücke, bei denen er am
       Klavier sitzt, liegt eine visuelle Inszenierung über der Musik, die schon
       immer einen Hang zur Überwältigung hatte – an diesem Abend geht sie voll
       auf die zwölf. Die mitgelieferten Slogans sind so eindeutig wie die Bilder
       von Gewalt, Krieg und Armut.
       
       Kunst sollte immer mehrdeutig sein, geistige Freiräume schaffen. Waters
       geht es vor allem darum, den Leuten seine Weltsicht einzutrichtern. In
       einer Ansage hat er es deutlich gemacht: „If you are one of those 'I love
       Pink Floyd, but I can’t stand Roger’s politics’ people, you might do well
       to fuck off to the bar right now.“ Wer Waters’ Musik will, hat gefälligst
       zu denken wie er. Jubel hat er in Hamburg selbst hierfür bekommen.
       
       9 May 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Geplante-Mai-Tour-von-Roger-Waters/!5920614
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dirk Schneider
       
       ## TAGS
       
   DIR Roger Waters
   DIR Antisemitismus
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Rockmusik
   DIR Rock
   DIR Klassische Musik
   DIR Antisemitismus
   DIR Kolumne Großraumdisco
   DIR Verschwörungsmythen und Corona
   DIR R&B
   DIR Antisemitismus
   DIR Musik
   DIR Antisemitismus
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Münchner Philharmoniker gecancelt: Rhetorisches Schlachtfeld in Flandern
       
       „Blanker Antisemitismus“: Die Ausladung der Münchner Philharmoniker wegen
       ihres israelischen Dirigenten beim Flanders Festival in Gent löst Debatte
       aus.
       
   DIR Bertelsmann Music Group und Roger Waters: Eine Äußerung zu viel
       
       In den letzten Jahren fiel der britische Superstar Roger Waters durch
       antisemitische Äußerungen auf. Nun zieht sein Majorlabel BMG Konsequenzen.
       
   DIR 60s-Grafikdesign im Hamburger Umland: Es gibt nur ein Schaf auf Hawaii
       
       Die Babyboomer werden alt, ihre kulturellen Errungenschaften stehen
       zunehmend im Museum. Aber hippes Londoner Grafikdesign im Hamburger
       Speckgürtel?
       
   DIR Disziplinarverfahren gegen LMU-Professor: Beamter im Schwurbelmodus
       
       Gegen Michael Meyen, Ex-Herausgeber der Zeitung „Demokratischer
       Widerstand“, wird ermittelt. Unter anderem vom Wissenschaftsministerium.
       
   DIR SBTRKT veröffentlicht ein neues Album: Eine Pop-Oper im Miniaturformat
       
       Jahrelang was es ruhig und öde um den Künstler SBTRKT. Auf den 22 Tracks
       von „The Rat Road“ zeigt er, was ihn von anderen Produzenten unterscheidet.
       
   DIR Geplante Mai-Tour von Roger Waters: Mit missionarischem Eifer
       
       Roger Waters ist Mitgründer der Rockband Pink Floyd. Längst macht er nicht
       mehr mit Musik von sich reden, sondern durch fragwürdige Außenpolitik.
       
   DIR Pink-Floyd-Schlagzeuger Nick Mason: „Wir fühlen uns alle hilflos“
       
       Der Musiker spricht über seine neue Band und alte Zeiten, erzählt von
       seiner Sportwagensammlung – und davon, was im Leben wirklich wichtig ist.
       
   DIR München-Konzert trotz Judenhass: Roger Waters' antisemitische Mission
       
       Waters ist auf Tournee in Deutschland und ruft zum Boykott gegen Israel
       auf. Er unterstützt BDS-Kampagnen, darf aber trotzdem in München auftreten.